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Tagesspiegel-Kolumnistin Katja Demirci.

© Mike Wolff

Katja Reimann macht sich locker: Kopfkino auf der Yogamatte

Es ist wenige Wochen her, da hatte Freundin R. genug. Sie pflückte eine Menge Kleidung aus Schränken und Schubladen, stopfte sie in Säcke und fuhr damit zur Bahnhofsmission.

Sie räumte die Küche aus, strich die Wände und räumte die Küche wieder ein. Sie sortierte Kontoauszüge und Briefe der vergangenen drei Jahre. Sie machte Termine bei ihrer Bank und Versicherung. Sie entsorgte ihr altes Auto.

Als wir kürzlich telefonierten, saß sie gerade in der S-Bahn auf dem Weg nach Hause. „Schon!“, rief sie. Das Handy am Ohr drehte ich mich zum Fenster. Draußen wurde es dunkel. Ich drehte mich weiter Richtung Wanduhr. Es war kurz vor acht am Abend. Sie habe, erklärte sie fröhlich, beschlossen, künftig weniger Überstunden zu machen, abends zeitiger den Schreibtisch zu verlassen, der Arbeits- wieder mehr Lebenszeit abzutrotzen. „Ich räume mein Leben auf“, sagte R. voller Begeisterung und lachte. Weil ich sie sehr gern habe, lachte ich ein bisschen mit. Dabei stimmt mich die Aufräumerei nachdenklich. Nicht speziell ihre. Es gibt da auch noch andere. Sie alle räumen auf. Und nicht alle finden das nur befreiend.

Weil in den Schubladen manches steckt, das man lieber vergessen hätte. Alte Briefe etwa, in die man dann lesend, grübelnd versinkt. Und dabei ganz vergisst, warum sie angefangen hat, die Räumerei: weil man die Kontrolle wiederhaben will über sein kleines Leben, das eingekeilt zwischen Verpflichtungen vor sich hinschrumpelt. Verstehe ich. Eine Übersprungshandlung. Es erinnert mich an eine frühere Mitbewohnerin, die der Ansicht war: So, wie das Zimmer eines Menschen aussieht, so sieht es in seinem Kopf aus. Schon damals war ich nicht sicher, ob Aufräumen von außen nach innen gut funktioniert. Oder andersherum?

Vor vier Wochen besuchte ich zum ersten Mal einen Meditationskurs in meinem Yogastudio. Meditation hatte ich bislang skeptisch betrachtet. Gelegentlich hatte ein früherer Yogalehrer kleine Meditationen in seine Stunden eingebaut. Meistens gab er uns ein Mantra vor. Dieses Mantra war oft ein Wort in Sanskrit, wohlklingend und so kompliziert, dass ich es nach wenigen Minuten vergaß. Ein kleines Schlagloch auf dem Pfad zur inneren Ruhe und schon hatte ich das Wichtigste verloren. Beispiel: Mein Ohrläppchen juckte, weg war das Mantra. Und was macht man dann ganz ohne, in Stille versunken? Man denkt rum.

Die erste Stunde nun war wunderbar. Es gab kein Mantra, es gab Ruhe. Mit verschränkten Beinen saß ich auf meiner Matte und passte auf, das Atmen nicht zu vergessen. In meinen Gedanken ging ein Männchen auf und ab, es fegte und feudelte und verschwand. Mein Kopf wurde leicht wie ein Luftballon. Nur mein rechtes Bein schlief entsetzlich fest ein.

In der zweiten Stunde gab es eine „Metta-Meditation“: Einer Person unserer Wahl sollten wir in Gedanken gute Wünsche schicken. Ich dachte an meine Aufräumer und konnte mich doch nicht für eine von ihnen entscheiden. Mein Bein kribbelte, ich war drauf und dran, die Ruhe zu verlieren. Schnell schickte ich alles los, was ich nur wünschen konnte.

Zu Hause angekommen fand ich meinen lieben C. in der Küche. „Und“, fragte ich, „hast du etwas gemerkt?“ C. versteckte sich hinter der geöffneten Kühlschranktür. „Ich hab dir positive Gedanken geschickt.“ „Ach das“, sagte C., lieb wie er ist, und öffnete ein Bier. „Ja, danke.“ Er verschwand ins Nebenzimmer, aus dem bald lautes Knacksen und Rattern zu hören war. Als ich die Tür öffnete, saß er zwischen Ordnern vor einem grauen Kasten, in den er Papier um Papier schob. „Schau mal“, sagte er strahlend. „Ich habe einen Schredder gekauft. Wir sollten echt mal aufräumen.“

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