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Wollen unseren Teamspirit nach außen tragen: Andreas Mies (links) und Kevin Krawietz.

© Juergen Hasenkopf

Kevin Krawietz und Andreas Mies zu den ATP-Finals: „Plötzlich knabberten wir am Kaviar“

Andreas Mies und Kevin Krawietz waren Nobodys – bis sie als deutsches Doppel einen Grand-Slam-Titel gewannen. Was macht der Erfolg mit den Tennisprofis?

An diesem Sonntag beginnen die ATP Finals in London. Nur die acht besten Paarungen des Jahres sind dafür qualifiziert. Andreas Mies und Kevin Krawietz haben sich als drittbestes Doppel dieser Saison qualifiziert. Ihr erster Auftritt ist am Montag um 13 Uhr. Der Bezahlsender „Sky“ überträgt live.

Herr Mies, Herr Krawietz, können Sie sich noch daran erinnern, wo Sie vor einem Jahr um diese Zeit gewesen sind?
ANDREAS MIES: Klar! Ende Oktober haben wir in Eckental bei Nürnberg ein kleines Turnier gewonnen, ein sogenanntes „Challenger“. Da habe ich bei der Siegerehrung auf die Frage, ob wir nächstes Jahr wiederkommen, ins Mikro getönt: „Ich hoffe, wir sind so gut, dass wir das nicht müssen.“
KEVIN KRAWIETZ: Das Publikum hat gegrölt vor Lachen. Es konnte ja auch keiner absehen, dass es mit uns so schnell gehen wird. Wir waren gerade erst dabei, uns hochzuarbeiten, um irgendwann auf der großen Bühne auftreten zu können.

Nur sieben Monate später holten Sie sensationell den Grand-Slam-Titel in Paris. Sie siegten 6:2, 7:6 gegen die Franzosen Jeremy Chardy und Fabrice Martin. Dazu kamen das Halbfinale bei den US Open und der Turniersieg in Antwerpen, jetzt spielen Sie bei der WM und dem Daviscup-Finale. Was war bisher Ihr wahnsinnigster Moment des Jahres?
MIES: Da muss ich nicht lange überlegen, die French Open. Ich habe einen ganzen Film im Kopf: Wie wir beim Matchball synchron auf den Rücken sinken, ich gucke in den Himmel, alles um mich herum ist absolut still, obwohl die Zuschauer toben. Dann fallen wir uns in die Arme, gucken zur Box, Tränen laufen die Wangen runter – unsere Freunde und Familien tanzen auf der Tribüne wie die Derwische. Diesen Taumel vergesse ich nie.
KRAWIETZ: Ich erinnere pure Erleichterung. Mit dem verwandelten Matchball ist eine Last abgefallen, alles wurde puderleicht. Und dann der Moment, als wir diesen Pokal in die Höhe stemmen.

Davon haben Sie als Kind geträumt?
MIES: Ich habe schon als Steppke Roger Federer im Fernsehen bewundert. Da lag ich abends im Bett und habe mir vor dem Einschlafen vorgestellt, wie es wäre, wenn ich selbst auf dem CentreCourt stehe.
KRAWIETZ: Ich hatte als Jugendspieler und sogar Erwachsener noch solche Tagträume. Und als der Traum dann wahr geworden ist, mussten wir einander ständig versichern, dass es tatsächlich stimmt: „Du bist Grand-Slam-Sieger, weißt du das eigentlich?“ So gingen unsere Whatsapp-Nachrichten hin und her.
MIES: Beim ersten Turnier nach den French Open, das war in Halle, hat Roger Federer neben uns trainiert. Wir waren gerade beim Warmmachen auf dem Trainingsplatz, und er kam extra zurück, um uns die Hand zu schütteln: „Gratuliere, Jungs! Starke Leistung.“ So schön, das vom besten Spieler aller Zeiten zu hören!

Der einzig vergleichbare Sieg eines deutschen Herren-Doppels liegt 82 Jahre zurück.
KRAWIETZ: Da ist etwas mega in Erfüllung gegangen. Doch die Matches danach waren ehrlicherweise fast schwerer als das Finale in Paris. Die Erwartungen sind gestiegen, das wird ja nicht nur von außen an uns herangetragen. Der Anspruch an uns selbst ist mittlerweile ein anderer. Und ich merke schon, dass wir in engen Situationen angespannter sind.

Es gab einige ziemlich enge Situationen: Von den ersten zehn Matches nach Paris konnten Sie nur zwei für sich entscheiden.
KRAWIETZ: Vorher waren wir die absoluten Nobodys, keiner hatte uns auf dem Schirm. Dann kamen wir in die für uns komplett ungewohnte Favoritenrolle. Die Gegner studierten unsere Spielzüge per Video. Doch wir haben uns nicht kirre machen lassen.
MIES: Wir sind keine fertigen Spieler. Und mal ehrlich, wie viele Turniere können wir gewinnen von den 30, die man spielt in einem Jahr? Man muss es schaffen, Sieg und Niederlage gleich zu behandeln, hat mal jemand Schlaues zu mir gesagt – bei Siegen nicht abheben und nach Niederlagen nicht verzweifeln.

„Beim Tennis ist man ständig am Nachdenken“ – so formulierte es der deutsche Top-Ten-Spieler Alexander Zverev.
MIES: Für den Kopf ist Doppel extrem anstrengend, weil es immer so eng zugeht. So ein Match ist wie das Leben, eine permanente Achterbahn der Gefühle. Mal denkst du, du gewinnst. Mal sieht es so aus, als ob du verlierst. Mal kämpfst du dich zurück. In jedem Fall lernst du dich besser kennen. Wir haben in anderthalb Jahren gemeinsam elf Turniere gewonnen, davon einen Grand Slam und zwei ATP-Turniere. Trotzdem erwartet jetzt jeder, dass wir immer gewinnen. Das wird nicht passieren. Aber wir haben Luft nach oben.

Sie bezeichnen sich selbst als die „KraMies“ und sind eine der wenigen Doppelpaarungen, die im einheitlichen Dress auftreten, unter anderem in Froschgrün – warum eigentlich?
MIES: Wir wollen unseren Teamspirit nach außen tragen. Es macht optisch mehr her, wenn man als Einheit agiert. Und beeindruckt auch die Gegner.

Wie haben Sie sich kennengelernt?
MIES: Wir kennen uns schon seit 2013. Vor knapp zwei Jahren haben wir dann darüber geredet, wie doof wir es finden, dass wir oft an einem Freitagabend nicht wissen, mit welchem Partner wir am Montag in ein Turnier gehen.

Das müssen Sie erklären.
KRAWIETZ: Es kommt immer aufs „Combined Ranking“ an. Bei den Australian Open im Januar sind wir zum Beispiel zusammen nicht reingekommen, da lag der Cut, also die Grenze, bei 141, und wir hatten 144, mussten uns also jeweils einen besser platzierten Partner suchen.
MIES: Unser erster Versuch im Doppel war bei einem Challenger-Turnier in Meerbusch. Das haben wir auf Anhieb gewonnen.

Klingt wie die große Liebe auf den ersten Aufschlag.
KRAWIETZ: Es passt einfach gut zwischen uns. Und das nicht nur sportlich: Andy ist emotionaler, er reißt mich mit seiner Energie oft mit. Ich bin eher der ruhige Part, kann ihn wieder runterbringen, wenn er ungeduldig wird und overpaced.
MIES: Ich könnte jedenfalls nicht mit jemandem zusammenspielen, den ich nicht mag.

Wie fühlt es sich an, wenn man jahrelang am Minimum gelebt hat und plötzlich reich ist?
MIES: Das ja nun nicht gerade!

Der French-Open-Titel ist mit 580 000 Euro dotiert, macht für jeden 290 000. All die Jahre auf der Tour zuvor haben Sie zusammen nicht so viel verdient.
MIES: Das war auf einen Schlag eine unfassbare Summe! Du hattest vorher schon so viel, oder?
KRAWIETZ: Kommt in etwa hin.

Bei Ihrem letzten Challenger-Titel vor dem großen Durchbruch wurden 11 000 Euro ausgelobt ...
KRAWIETZ: Moment – das gilt nur fürs Einzel! Im Doppel wird da etwa die Hälfte an Preisgeld ausgeschüttet, das man sich dann noch teilen muss.
MIES: Wenn Tennis rentabel sein soll, muss man es entweder im Einzel unter die Top 100 oder im Doppel unter die Top 30 schaffen. Das war auch meine Überlegung in den zehn Monaten Reha nach meiner Knieverletzung. Durch den Knorpelschaden habe ich voll auf die Doppel-Karte gesetzt und bin froh, dass es funktioniert hat.

Sie hatten anfangs kaum Einnahmen und hohe Kosten für Flug, Unterkunft, Anmietung der Trainingsplätze, Verpflegung, Bespannung der Schläger. Wie kommt man in den Niederungen des Profitennis über die Runden?
MIES: Entweder hast du reiche Eltern oder einen Sponsor. Anders geht das gar nicht.

Wie war es bei Ihnen?
MIES: Haha! Ich hatte weder noch. Ich bin nach dem Abitur mit einem Tennis-Stipendium für vier Jahre an ein College nach Alabama gegangen. Danach habe ich im ersten Jahr zwischen den Turnieren Training gegeben, um mir meinen Profistart zu finanzieren. Einer meiner Tennis-Schüler wollte mir helfen und wurde mein Mäzen. Zum Glück! Sonst hätte ich mir das nicht leisten können. Auf der Future-Tour verdienst du ja gar nichts.

Für einen Sieg bekommt man in dieser untersten Turnier-Kategorie 200 Euro.
KRAWIETZ: Da geht es nicht ums Geld, sondern um Punkte für die Weltrangliste. Du musst dich im Tennis knallhart hocharbeiten über diese kleinen Turniere. Die zweite Stufe sind Challenger. Und alle wollen von dort nach oben auf die attraktive ATP-Tour. Da muss jeder Spieler durch. Bei mir gab es zwischendrin auch Situationen, wo ich dachte, jetzt wird es arg zäh, wie soll das klappen? Doch ich hatte Glück und früh einen Sponsor.

Ihr Trainer Dirk Hortian meinte noch im Frühjahr, Sie könnten es sich nicht leisten, dass er das ganze Jahr über mitfährt.
MIES: Das würde ich so definitiv nicht mehr sagen. Im Moment testen wir, an welchen Stellen es sich lohnt zu investieren. Wir haben beide Trainer, die an unseren Wohnorten – Kevin in München, ich in Köln – leben. Dort trainieren wir individuell. Vor den French Open war quasi nie ein Coach dabei. Weil das in Paris mit Dirk so gut geklappt hat, haben wir uns nun auf zehn Turniere verständigt. Für die große Bühne müssen wir uns professionalisieren. Wir haben auch schon einen privaten Physiotherapeuten ausprobiert.
KRAWIETZ: Der knetet nicht nur Wehwehchen weg, sondern macht ebenfalls Athletiktraining mit uns, Warm-ups und Fitness an den freien Tagen. Der ist dann 24 Stunden nur für uns da.

Was treibt Sie an: Reichtum? Ruhm?
KRAWIETZ: Im Tennis kann es ganz schnell gehen. In anderthalb Jahren haben wir über 100 Plätze gutgemacht, sind jetzt beide in den Top Ten. Das ist der Wahnsinn! Unsere Motivation sind die großen Events und der Centre-Court. Wir lieben diesen Sport, wir spielen definitiv nicht fürs Geld.
MIES: Als Sportler will man natürlich ran an die exquisiten Speisen. Vorher, in der Holzklasse der Turniere, haben wir im übertragenen Sinn noch die Teller selber gewaschen. Ich weiß genau, wie wir in Hamburg eine Wildcard für die Qualifikation bekommen haben. Nur ein Jahr später waren wir schon top gesetzt und knabberten am Kaviar. Davon will man immer mehr. Bei meiner ersten Bundesliga-Partie der Saison standen die Fans doch wirklich eine ganze Stunde lang an – nur um mal einen Grand-Slam-Sieger live zu sehen. Da strömten 4000 Leute auf die Anlage meines Vereins Kölner THC. Das gab es noch nie! Völlig surreal.

Auf den Ball fokussiert. Das Erfolgsduo „KraMies“ bei den Swiss Indoors in Basel.
Auf den Ball fokussiert. Das Erfolgsduo „KraMies“ bei den Swiss Indoors in Basel.

© Imago/Beautiful Sports

Sie bekommen jetzt Antrittsgeld, erhalten viele Privilegien.
MIES: Und unser Coach bekommt ein eigenes Zimmer! So glamourös ist es für die Mehrheit der Spieler sicher nicht. Man muss sehr geduldig sein, weil man nie die Garantie hat, dass die Reise in die richtige Richtung geht – so wie jetzt bei uns. Eine Reihe unserer früheren Mitspieler hat längst kapituliert, wahrscheinlich haben sie gedacht, sie schaffen es nicht, oder sie hatten keinen Spaß mehr, ein Future für kein Geld in Rumänien, Kasachstan oder im Iran zu spielen.

„Popularität ist eine Strafe, die wie eine Belohnung aussieht“, meint Filmemacher Ingmar Bergmann. Hat sich nach Paris auch etwas für Sie verschlechtert?
KRAWIETZ: Eigentlich ist alles besser: Wir spielen jetzt auf den Turnieren, von denen wir als Kind geträumt haben. Die Turniere sind allesamt professioneller. Die Bedingungen – vom Trainingsplatz bis zum Hotel – sind komfortabler.
MIES: Und auf der Straße können wir uns bis jetzt trotzdem ganz entspannt und unerkannt bewegen. Bei den deutschen Turnieren sind wir mittlerweile Zugpferde. Wir können Wünsche für die Spielansetzung anmelden. Vor Paris waren wir froh, wenn wir überhaupt in ein Turnier reingekommen sind.

John McEnroe fragte mal in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Was bringt das Doppel eigentlich dem Tennis?“ Wird man als Paar überhaupt für voll genommen in der Szene?
KRAWIETZ: Manche behaupten, wir spielen „nur“ im Doppel, aber man darf uns nicht unterschätzen. Ich empfinde auch überhaupt keinen Klassenunterschied zu den Einzelspielern. Ganz ehrlich, wir trainieren vom Umfang her genauso viel und hart, nur eben anders. Ich finde es etwas schade, dass Doppel in der Wahrnehmung oft die zweite Geige spielen. Nach Paris haben uns viele Leute erzählt, wie gerne sie das sehen, manche sogar lieber als Einzel: wegen der spektakulären Ballwechsel, des hohen Tempos, des Nervenkitzels.

Sie sind 29 Jahre alt, Kevin 27 – da denkt so mancher Fußballspieler an seine Rente.
MIES: Bei uns hat die verrückte Reise gerade erst begonnen!

Okay, Boris Becker war bei seinem ersten Wimbledonsieg erst 17. Wie viel Wegstrecke haben Sie beide noch vor sich?
KRAWIETZ: Unser Ziel waren die Top Ten, das haben wir jetzt schon erreicht. Für 2020 haben wir die Olympischen Spiele fest im Visier. Wir wissen: Bei uns ist kein Limit gesetzt. Wir können ganz nach oben kommen.
MIES: Stand heute spielen wir, bis wir 40 sind. Man hat nur eine Karriere, die wollen wir so lange wie möglich genießen.

Cornelia Heim

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