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Im Schlawinchen wird geküsst, gefeiert ... und manchmal auch ein Nickerchen an der Theke gehalten.

© David Heerde

Kneipenbesuch: 24 Stunden im Schlawinchen

Silvester feierten viele bis in den Morgen. Na und? Im „Schlawinchen“ läuft der Zapfhahn das ganze Jahr über rund um die Uhr. An dieser Kneipe lässt sich Berlin erklären. Unser Autor hat 24 Stunden durchgehalten.

Wo Kreuzberg auf Neukölln stößt, da fühlt es sich ein bisschen an wie Prenzlauer Berg. Westlich des wuseligen Kottbusser Damms mit seinen Billig-Mode-Läden und türkischen Supermärkten liegt der Graefekiez. Eine beschauliche Wohngegend, in der Platanen die schmale Fahrbahn säumen. Sanierte Altbauten aus der Gründerzeit, steigende Mieten: Das Modewort der Gentrifizierung liegt in der Luft.

Wer die verkehrsberuhigte Zone im nördlichen Teil der Graefestraße hinter sich lässt und mit ihr die Restaurants, in denen zu Linguine und selbstgemachtem Basilikumpesto Segelzeitschriften ausliegen, wer an „Gudruns Kulturraum“ vorbei durch die Böckhstraße schlendert und an der nächsten Ecke in die Schönleinstraße einbiegt, der steht nach wenigen Metern vor dem Eingang zu einer anderen Welt. Einer rührend gestrigen und doch ganz und gar zeitlosen Welt. Vor der Tür zum „Schlawinchen“.

Kreuzberger Institution

Einer Kneipe, die genau das ist: eine Kneipe. Keine Cocktailbar, keine Lounge, kein Szenecafé. Das Schlawinchen, das viele liebevoll „Schlawi“ nennen, zieht die an, die sich abschießen wollen, all jene, die kickern, rauchen und keine horrende Rechnung bezahlen möchten. Und das zu jeder Tageszeit, denn die Kreuzberger Institution hat rund um die Uhr geöffnet.

Wer um neun Uhr morgens aus dem gleißenden Sonnenlicht ins Schlawinchen tritt, verabschiedet sich auf unbestimmte Zeit von der Außenwelt. Der wird Teil eines Paralleluniversums in dunklem Holz und schwerem Rauch. Allerlei Antiquitäten hängen von der rotbraunen Decke herab, ein Kontrabass, Holzschiffe und Schaukelpferde, ein Motorrad und ein Grammofon, dazu metallene Werbe- und Hinweisschilder. Die Wände zieren Gemälde mit feuchtfröhlichen Kneipenszenen, grotesk sind sie und ein wenig furchteinflößend. Bierselige Gemütlichkeit und klaustrophobische Enge, das Schlawinchen vermittelt beides.

Es kann passieren, dass einem ein Mittdreißiger entgegenwankt, mit halbvollem Bierglas und schlaftrunkenem Blick. „Scheiße, du bist ja nüchtern“, sagt er und grinst. „Das rieche ich doch.“

Geschmackliche Untiefen auf der Getränkekarte

Das Schlawinchen gibt es seit fast dreieinhalb Jahrzehnten, im Juli 1979 ging das erste Bier über die Theke. Selbst in Sven Regeners Westalgie-Roman „Herr Lehmann“ taucht die Kneipe auf. Dort streift die Hauptfigur durch Kreuzberg 61, den bürgerlicheren Teil des Bezirks, auf der Suche nach seinem manischen Freund Karl. Auch die Tür zum Schlawinchen öffnet er. „Ohne Erfolg“, heißt es im Roman, „und das war auch besser so, denn wenn er schon im Schlawinchen ist, dachte Herr Lehmann, dann steht es ganz schlecht um ihn.“

„Bei Schlawinchen“ heißt die Kneipe in der Schönleinstraße offiziell, viele Gäste nennen sie liebevoll „Schlawi“.
„Bei Schlawinchen“ heißt die Kneipe in der Schönleinstraße offiziell, viele Gäste nennen sie liebevoll „Schlawi“.

© David Heerde

Die Getränkekarte hält geschmackliche Untiefen bereit. Futschi, Waldi und Pfeffi etwa, Berliner Kultgetränke. Weinbrand mit Cola, Wodka mit Waldmeister und Pfefferminzlikör. Für den guten Atem. Auch der Jägermeister wird abgekürzt, als „Hörni“, von 14 bis 21 Uhr kostet er einen Euro.

Warum das Schlawinchen? Immer wieder diese Frage. „Warum saß der Robert Stadlober letzte Woche hier?“, entgegnet ein Gast. „Weil der auch nicht mehr weiß, wo er hingehen soll.“ Vielsagend fügt er hinzu: „Das hier ist eine Bar, in der Dinge geschehen.“

Der Laden ist ein Rückzugsort für all jene, die keinem Trend folgen wollen, denen Ehrlichkeit wichtiger ist als Stilsicherheit. Er zieht Menschen an, die sich sonst nicht begegnen. Professoren und Hartz-IV-Empfänger, Künstler und Touristen. Manchmal kommt eine lokale Berühmtheit vorbei, ein Soap-Darsteller oder Rapper. Und in der Nacht vor allem Partyvolk. Mancher erscheint auch allein, im Schlawinchen ist das nächste Gespräch nie fern.

Claudi sitzt an der Bar und drückt ihre Zigarette im Aschenbecher aus. Die 40-Jährige ist groß und schlank, der braune Pony hängt ihr tief ins Gesicht, ein markanter Lidstrich umrahmt die Augen. Seit 15 Jahren gehört sie zum Inventar. Vorher hat sie in einer Kneipe um die Ecke gearbeitet, am 6. Februar 1998 begann ihre erste Schicht im Schlawinchen. „Ich konnte die Gäste immer gut ziehen. Und dafür sorgen, dass die schön hier hängenbleiben“, sagt sie. „Dass ich selbst nicht mehr wegkomme, wusste ich ja auch nicht.“

Was Claudi voll pervers findet

Der Flipper ist weg...dafür gibt´s Fußi zum selber spielen.
Der Flipper ist weg...dafür gibt´s Fußi zum selber spielen.

© David Heerde

Sieben Jahre stand Claudi hinter dem Tresen, bevor sie Geschäftsführerin wurde. Seitdem stellt sie das Personal ein, nimmt Getränke ins Sortiment, schmeißt andere heraus. Cointreau oder Fernet-Branca trinke heute keiner mehr, sagt sie. Stattdessen steht nun Aperol auf der Karte, und Jameson-Whiskey. Neben absonderlichen Mixturen wie dem Pfeffi. „Der ist ja voll pervers“, findet Claudi, „aber die Leute trinken ihn wie blöde.“

Gegen Nachmittag wird es ruhig im Schlawinchen. Vereinzelt hocken ältere Männer vor ihrem Bierglas oder stehen an den Spielautomaten. Der Monat hat gerade begonnen, da sitzt das Geld bei manchem noch locker. Werner wirft Pellets in einen schweren Ofen in der Mitte des Ladens. Anschließend holt er einen Besen aus der Kammer und kehrt plattgetretene Luftschlangen zusammen, die den Boden übersäen. Die letzten Zeugen einer durchfeierten Nacht.

Saubermachen gehört zur „Schweineschicht“ von sechs bis zehn. Ihren Namen verdankt sie nicht nur dem Putzen. Wer am frühen Morgen zu arbeiten beginnt, muss sich um die Pflegefälle kümmern. Diejenigen, die den Absprung verpasst haben, die ihren Liebeskummer oder Lebensfrust im Alkohol ertränken. Oder Partytouristen, die die unbegrenzte Öffnungs- als grenzenlose Trinkzeit interpretieren. Da sollte wenigstens der Wirt ausgeschlafen sein.

Erst Stammgast, dann Mitarbeiter

Werner war zwei Jahrzehnte Stammgast, bevor er hinter dem Tresen anfing. Sein Bauchumfang verrät es noch heute, inzwischen ist er 47. Die Schweineschicht ist seine Spezialität. „Wenn ich länger als drei Tage zu Hause bin, fällt mir die Decke auf den Kopf“, sagt er. Einst hat er Heizöltanks überprüft, ungelernt, und fing im Schlawinchen an, als die Aufträge ausblieben. Die Kneipe ist eine Ersatzfamilie. „Man sieht sich, Großer“, ruft er den Leuten zum Abschied hinterher.

Wer während seiner Stunden im Schlawinchen Hunger bekommt, kauft sich eine abgepackte Minisalami, Käsestangen oder eine Gewürzgurke in der Dose. Oder aber er holt sich gleich nebenan einen veganen Burger, in einem Laden, in dem die Speisen nach Werken Friedrich Schillers benannt sind.

Bis vor fünf Jahren konnte man auch im Schlawinchen noch magenfüllend essen. Knacker, Bouletten, Gulaschsuppe. Die Ölsardinen mit Zwiebeln und Butterstulle waren besonders beliebt. Dann kam das Rauchverbot, und man stand vor der Frage: mampfen oder quarzen.

Die Entscheidung fiel leicht. „Natürlich ist den Leuten das Rauchen wichtiger“, sagt Claudi, die selbst eine Zigarette nach der anderen aus der Packung zieht. „Heute würde es eh keiner schaffen, nebenbei noch Salatgarnituren anzurichten.“

Revival im alten Kiez

Das Schlawinchen hat ein Revival erlebt, einen Ansturm, der jedem Trend zu widersprechen scheint. Seit einigen Jahren rennen die Menschen abends den Laden ein, vor allem am Wochenende. „Früher gab’s hier fast nur Stammgäste“, sagt Claudi. „Heute kenne ich an einem Freitagabend vielleicht noch einen.“ Das Publikum sei jünger geworden, viele Studenten kämen jetzt ins Schlawinchen. Und Touristen. „Früher sind hier morgens um vier nicht mehr so viele eingeritten“, sagt Claudi, „da war dafür am Tag mehr los.“

Das Schlawinchen teilt sich seinen Kiez mit einem Lakritzfachgeschäft, dem Schülerladen „Hasenbau“ und einer Praxis für Gestalttherapie. Der Kiez hat sich seit der Wende gewandelt, ganz offensichtlich. Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt, Alteingesessene wie Werner ziehen wegen steigender Preise weg, Jüngere nehmen ihre Plätze ein. Bei der Bundestagswahl dieses Jahr gaben im Wahlbezirk 02 204, in dem das Schlawinchen liegt, die meisten Bewohner ihre Zweitstimme den Grünen: 27,3 Prozent. Hans-Christian Ströbele, Direktkandidat in Kreuzberg, kam auf bayerische 51,5 Prozent.

Nachts kommen vor allem junge Leute. Seit der „Guardian“ den „anarchischen Vibe“ der Kneipe lobte, ist sie international bekannt.
Nachts kommen vor allem junge Leute. Seit der „Guardian“ den „anarchischen Vibe“ der Kneipe lobte, ist sie international bekannt.

© David Heerde

Kleine Beete zwischen Gehsteig und Straße, eine Beratungsstelle für Grünes Wohnen, für Solar- und Windenergie: Die Raucherkneipe mit den matt gewordenen Fensterscheiben wirkt längst wie ins falsche Viertel gesetzt. Nur wenige Straßenecken entfernt liegt das Restaurant „Zitrone“. Die Außenfassade blau getüncht, aufgeräumt in der Einrichtung, auf der Karte stehen „Sandwiches Parisiens“ und Riesling aus ökologischem Anbau. „Da sitzen sie mit ihren Milchkaffeeschalen und ihrem Müsli“, sagt Claudi. „Ich sage immer: Körnerfresser.“

Kaffee, Fußball und Zigaretten

Gegen Abend kommt ein älterer Mann ins Schlawinchen. Claude ist Musiklehrer, Gitarre spielt er und Klavier. Die weißen Haare hat er zum Zopf gebunden, sein Blick ist wach und warm. Er bestellt einen Kaffee. „Das dauert aber ein bisschen“, sagt Tresenkraft Michel. „Dann ein Bier“, sagt Claude. Er warte auf eine neue Niere, erzählt er, aber ein bisschen was gehe schon.

Seit mehr als 30 Jahren ist Claude Stammgast im Schlawinchen, den Graefekiez kennt er seit 1975. Damals sei die Gegend ein einziger Trampelpfad gewesen, auf dem man von einer Kneipe in die nächste fallen konnte. „In den letzten Jahren haben sich immer mehr Edelfresskneipen etabliert“, sagt er. „Andere würden sagen: breitgemacht.“

Noch im Sommer hatte Kreuzbergs damaliger grüner Bezirksbürgermeister Franz Schulz gewarnt, das Wohngebiet dürfe nicht „umkippen“, und sich dafür ausgesprochen, dass freie Gewerbeflächen fortan nicht mehr für Kneipen genutzt werden.

Als später am Abend ein Fußballspiel über den Großbildschirm flimmert, verliert sich ein Dutzend Menschen im Schlawinchen. Satzfetzen und Dialogfragmente wabern durch den Raum, Raucherhusten dringt aus einer dunklen Ecke. Ein Gast blickt aufs unscharfe Bild des Fernsehers und sagt zum Wirt Michel: „Na, haste wieder HD ausgepackt?“ – „Brauch’ ich nicht. Blaue Spieler gegen rote Spieler, mehr musste nicht wissen.“

Nach dem Schlusspfiff

Von der Theke aus kann das eine oder andere Schwätzchen gehalten werden.
Von der Theke aus kann das eine oder andere Schwätzchen gehalten werden.

© David Heerde

Nachdem der Schlusspfiff ertönt ist, füllt sich das Schlawinchen. Es dauert eine halbe Stunde, dann ist der Laden brechend voll. Bis weit in den nächsten Morgen hinein werden die 20- bis 35-Jährigen die Kneipe füllen. Sie kommen aus anderen Bars, wenn diese schließen, aus den Clubs, oder sie treffen sich direkt im Schlawinchen. Eine Gruppe Französinnen, zwei Engländer, das Team einer Internetagentur aus der Dieffenbachstraße. Einer erzählt von seiner Bewerbung auf ein „FAZ“-Volontariat. Susanna ist aus Finnland zum Arbeiten nach Berlin gekommen, an der Bar raucht sie indonesische Nelkenzigaretten und erregt sich mit durchdringender Stimme über rechtsextreme Parteien in ihrer Heimat. Ein Mädchen sagt zu ihren Freunden: „Wir sind echt die einzigen Berliner hier.“ Sofort wird sie von einem korrigiert, der hinter ihr steht: „Von wegen.“

Die Gäste heißen nun nicht mehr Frank und Carmen, sondern Philipp, Helene und Benjamin. Sie tragen starkrandige Brillen, die Männer scheinbar nachlässig frisierte Bärte, enge Jeans und Baumwollbeutel mit dem Aufdruck „Sometimes a pony gets depressed.“ Die Hipster fallen ein in einen Laden, von dem man das nie erwarten würde. Cafés mit abgewetzten Sesseln und altmodischen Stehlampen, durchgestylte Bars, in denen Minimal läuft und unausgesprochener Coolness-Zwang herrscht, gibt es zuhauf in Berlin, auch im nahen Weserkiez. Das Schlawinchen bleibt hingegen, was es schon lange ist: Ein perfekt konserviertes Relikt aus Frontstadtzeiten, als Kreuzberg noch ein Auffangbecken für Wehrpflichtflüchtige, Autonome und Lebenskünstler war.

Empfehlung im "Guardian"

Spätestens seit Reiseführer den Charme der Kneipe rühmten, ist sie auch für ausländische Touristen zum Anlaufpunkt geworden. Vor zwei Jahren empfahl der britische „Guardian“ das Schlawinchen als eine von zehn Berliner Kneipen, pries den „anarchischen Vibe“ und notierte, der Laden sei ideal für „verblüffende Gespräche zu jeder Uhrzeit“.

Mittwoch bedeutet Kickertag im Schlawinchen, für 24 Stunden lassen sich kostenlos Hartgummibälle in die Tore dreschen. Der Tisch im Schlawinchen ist in erstaunlich gutem Zustand, von „Highpower-Stangen“ fachsimpelt einer, der sie vor dem Spielen mit Zinkoxid einsprüht. An der Lampe über dem Tisch hängt ein Hinweisschild mit grammatikalisch zweifelhafter Aufschrift: „Auf’m Kicker keine Getränke stellen“ steht dort – und aus gutem Grund wurde die Bitte gleich noch ins Englische und Spanische übersetzt. Die ganze Nacht lang stehen sich Einheimische und Touristen am Tisch gegenüber.

„Ein Schönheitschirurg ist hier regelmäßig zu Gast“, erzählt Claudi. „Der hat richtig Kohle“, sagt sie verschwörerisch. Einer Kollegin am Tresen habe er mal einen Hundert-Euro-Schein zugesteckt, nur damit sie einen Schnaps mit ihm trinke. „Den Mann muss ich unbedingt kennenlernen“, sagt sie und setzt hinterher: „Nicht wegen dem Geld.“ Man habe ja immer irgendwelche Mängel. Vielleicht könne man da mal über einen Rabatt reden.

Kicker statt Flipper

Eine Postkarte liegt im Schlawinchen aus, darauf ist die Kneipe als Gemälde in Mischtechnik festgehalten – im Jahr 1989. Am Interieur hat sich seitdem kaum etwas geändert: Dieselben Holzschiffe hängen von der Decke, dieselben Schaukelpferde und Musikinstrumente. Dieselben Plakate prangen an den Wänden, der Ofen, ein Tisch in Elefantenform. Nur den Flipper gibt es nicht mehr, stattdessen steht ein Kickertisch in einer Ecke des Ladens. Die beiden Männer, die auf dem Gemälde am Tisch sitzen und in einer Zeitung blättern, sind inzwischen gestorben. Genauso wie „Rowdy“, der Kneipenhund.

Claude kann sich noch an die Dependance erinnern, die es zeitweise in Schöneberg gab, das „Paulinchen“. „Das konnte aber nicht funktionieren“, sagt er in gepflegtem Berlinerisch. „Das war nicht original. Man kann kein zweites Schlawinchen aufmachen.“

„Mach mir einen Cuba Libre“, ruft ein Mann mit weißem Haar und leicht entrücktem Blick Michel zu, der mittlerweile hinter dem Tresen steht. „Den trinkst du doch wieder nur zur Hälfte“, ruft der zurück und beginnt, den Drink zu mischen. Er habe einst die Grünen mitgegründet, erzählt der Gast, heute arbeite er bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Die Grünen waren mal richtig geil“, sagt er. Auf die Frage, was er denn vor der Wende war, antwortet er trocken und ohne Hintersinn: „Wessi.“ Einmal nippt er noch an seinem Cuba Libre, dann steht er auf und geht. Das Glas bleibt zur Hälfte voll.

Kneipengespräche, mittags um zwölf

Ein hagerer Mann mit raspelkurzem Haar zieht einen der Barhocker heran und setzt sich. „Thomas, hallo“, sagt er mit ruhiger Stimme. Ein Pflaster verdeckt die frische Wunde auf der Nasenwurzel, ein Überbleibsel der frühen Morgenstunden. Er arbeite um die Ecke, erzählt er. In einem türkischen Restaurant in der Dieffenbachstraße, dem „Dildile“. Der Name bedeute so viel wie „Zunge“. „Türkisch ist eine agglutinierende Sprache“, erklärt Thomas, „da hängt man an ein Wort immer weitere Wörter ran.“ Kneipengespräche im Schlawinchen, mittags um zwölf.

Viele junge Touristen treiben sich dort rum.
Viele junge Touristen treiben sich dort rum.

© David Heerde

Und dann war da noch die Sache mit Adolf Hitler. Am Abend, bevor die Berliner Dependance von „Madame Tussauds“ die wächserne Version des Diktators erstmals dem Publikum präsentierte, im Juli 2008, schloss ein Mann im Schlawinchen eine Wette ab: Er werde dem Führer den Kopf abschlagen, versprach er. Und tat genau das am Morgen danach. In den folgenden Tagen belagerten Reporter die Kneipe, erinnert sich Werner. Als er damals mit seinem Schlawinchen-Shirt in der U-Bahn saß, erntete er böse Blicke. „Alles nur wegen einer Suffwette.“

Musik ist im Schlawinchen immer da, kaum einer bemerkt sie. Deutscher Indie-Pop, später Metal, Elektro und trashiger 90er-Jahre-Eurodance. Eine krude Mischung. „Alles außer Scooter“, fasst einer der Gäste die Auswahl zusammen. Obwohl man selbst in diesem Punkt nicht ganz sicher sein kann. Wegen der Musik ist aber ohnehin niemand hier.

Wenn man dann in den Morgenstunden den Mantel überstreift und aus dem Schlawinchen zurück ins Sonnenlicht tritt, kann es sein, dass hinter einem gerade „Marmor, Stein und Eisen bricht“ aus den Boxen schallt und ein Mann seinen Barhocker wild über dem Kopf schwingt, begleitet von den beschwörenden Worten der anderen Gäste.

Dann weiß man, dass noch lange nicht Schluss ist im Schlawinchen.

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