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Jens Mühling lernt Türkisch: „Palto“ heißt „Mantel“

Geht es nach der Linken, soll der Sankt-Martins-Umzug künftig nicht mehr Sankt-Martins- Umzug heißen, sondern „Sonne- Mond-und-Sterne-Fest“. Damit sich Angehörige nicht christlicher Religionen nicht länger ausgeschlossen fühlen.

Insbesondere, sagt der NRW-Linke Rüdiger Sagel, habe er das Wohl türkischer Kinder im Auge.

Aha.

Skurrilerweise hat dieser Vorstoß mir persönlich erst wieder bewusst gemacht, dass beim Sankt-Martins-Umzug ein christlicher Heiliger gefeiert wird. Ich hatte das wirklich fast vergessen! Dass ausgerechnet die Linke einmal mein Bewusstsein für religiöse Feiertage schärfen würde, hätte ich nie gedacht.

Der kostümierte Mann, der bei den Laternenumzügen meiner Kindheit vorneweg ritt, sah nicht so aus, wie ich mir Heilige vorstellte. Mit seiner Ritterrüstung erinnerte er mich eher an die alten Römer aus meinen Asterix-Heften, was historisch auch völlig korrekt ist: Der Mantel, den Martin im vierten Jahrhundert mit einem Bettler geteilt haben soll, gehörte zur Felduniform der römischen Reiterarmee, Martin diente noch als Soldat, er war nicht einmal getauft. Das wusste ich als Kind natürlich nicht, aber schon damals war dieser berittene Schwertschwinger in meiner Vorstellung nicht der barmherzige Bischof von Tours, sondern eher ein Held der Antike, eine Art Comic-Centurio. An der Mantelteilung interessierte mich vor allem ihre technische Durchführung: Fasziniert stellte ich mir vor, wie Supermartin seinen Supermartinsumhang in die Luft geworfen und ihn – swuuusch! – mit dem Schwert in zwei Teile zerschlitzt hatte.

Dass die Weckmänner, die in meiner niederrheinischen Heimat zu Sankt Martin gehören, gebackene Bischofsfiguren sind, entging mir als Kind völlig. Auch in den Martinsliedern entdecke ich rückblickend keinerlei religiöse Hinweise, ich erinnere mich nur an Herbststurmgebraus und Lichterglanz und Rabimmel-Rabammel-Rabumm. Die Lampions schließlich, die wir im Kunstunterricht bastelten, waren un-, wenn nicht antichristlich. Den jährlichen Fackelwettbewerb gewann ich einmal mit einer Laterne in Form eines Damenschuhs, mit beleuchtetem Stiletto-Absatz aus Transparentpapier.

Dann erinnere ich mich noch an ein Familienfest nach der Wiedervereinigung, bei dem einer meiner ostdeutschen Verwandten unvorsichtigerweise das Ost-Wort „Laternenumzug“ benutzte. Sofort fand sich ein katholischer West-Verwandter, der donnernd entgegnete: „Das heißt ja wohl immer noch Sankt Martin!“ Es folgte eine sehr unangenehme Stille, die mich lehrte, Feste nicht zu ideologisieren.

Allemal muss das für Feste gelten, die ideologisch so flexibel sind wie Sankt Martin. Lichterzüge zum Winterbeginn gab es schließlich lange vor der Mantelteilung – die Christen kaperten bloß ein heidnisches Ritual. Die Protestanten wiederum, die es mit Heiligen nicht so hatten, ersetzten nach der Reformation kurzerhand den Sankt-Martins-Tag (11. November) durch den Geburtstag Martin Luthers (10. November), um weiter Martins-Lieder singen zu können. Halloween ist Sankt Martin mit Kürbissen. Auch in der DDR starb der herbstliche Lichterlauf nicht aus, man gab ihm bloß ein sozialistisches Antlitz, etwa bei den FDJ-Fackelzügen zum Tag der Republik.

Für Letzteres war bekanntlich eine Partei verantwortlich, die sich damals noch streng an Sankt Marx hielt: Religion ist Opium. Heute schiebt die Linke den Islam vor, weil sie einen christlichen Heiligen ernster nimmt als der Rest des Landes. Verrückt.

Unnötig zu sagen, dass kein Türke, den ich kenne, ein Problem mit Sankt Martin hat. Für Islamisten ist Teilen nicht weniger tugendhaft als für Christen – und für Sozialisten sowieso.

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