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Tagesspiegel-Kolumnistin Katja Demirci.

© Mike Wolff

Katja Reimann macht sich locker: Majariasana und zwei Brüder

Der Legende nach wollte mein Bruder nie eine Schwester. Er wollte eine Katze. Bekommen hat er trotzdem: mich. Ich hingegen wollte rasend gern eine Schwester haben – und bekam einen zweiten Bruder dazu.

Meine Kindheit und Jugend hindurch stellte ich mir das Aufwachsen mit einer Schwester großartig vor. Eine Zwillingsschwester hätte ich ideal gefunden, was daran lag, dass ich alle Hanni-und-Nanni-Bände las, manche sogar mehrfach.

In meiner Vorstellung war eine Schwester eine Verdopplung meiner selbst. Dieselben Ideen, dieselben Hobbys und die doppelte Menge Klamotten. Dass meine beste Freundin mit ihrer Schwester durchaus gegenteilige Erfahrungen machte, irritierte mich nicht. Ich sah das Gute. Und wenn es nur aus getauschten Haargummis bestand.

Was hatte ich von meinen Brüdern? Kleine Schwester sein war Luxus, große selbstverständlich ungemein verantwortungsvoll. Was hatten meine Brüder von einer Schwester? Darüber habe ich mir bis jetzt, ganz ehrlich, nie Gedanken gemacht.

Ich schrieb eine Mail an meinen großen Bruder, eine SMS an den kleinen, so ratlos war ich. Ich rechnete nicht mit einer schnellen Antwort. Meine Brüder haben nicht das Mitteilungsbedürfnis ihrer Schwester. Wenn wir telefonieren, verteilen sich die Redeanteile zu 80 Prozent auf mich – und zu 20 auf den jeweiligen Bruder. Diese Statistik ist, glaube ich, repräsentativ für das gesamte Bruder-Schwester-Bundesgebiet. Wir sind jedenfalls keine Ausnahmen.

Mein lieber C hat drei Schwestern. Wenn sie anrufen, sitzt er manchmal neben mir auf dem Sofa. Ich weiß Bescheid über dieses Ende der Leitung.

Ich befragte C zum Leben mit drei Schwestern. Er antwortete mit der Abgeklärtheit eines großen und kleinen Bruders. Schwestern, sagte er, seien super. Tauschen wolle er seine gegen nichts auf der Welt. Und wenn er sie mal nicht verstehe, dann hätten die drei ja immer noch sich. Eben! Als mir seine jüngere Schwester neulich erzählte, sie habe nun auch mit Yoga begonnen, war ich begeistert. C machte einen Witz. Das kenne ich.

Dabei war einer von meinen Brüdern selber mal beim Yoga, vermutlich hat er die Erinnerung längst verdrängt. Meine Eltern gedachten damals besten Willens, ihr etwas hyperaktives Kleinkind mittels konzentrierter Yogaübungen bändigen zu können. Wieder eine Legende. Sie geht so:

Es lagen auf ihren Matten, von links nach rechts, mein Vater, mein Bruder, meine Mutter. Das Kinderyoga, heute flächendeckend angeboten, steckte offensichtlich noch in seinen pädagogisch wenig ausgefeilten Anfängen. Das Konzept der Stille jedenfalls war meinem Bruder, zu dem Zeitpunkt etwa fünf, nicht zu vermitteln. Nachdem er in Richtung der Matten links und rechts von ihm mehrfach zu verstehen gegeben hatte, wie sterbenslangweilig ihm sei, wurde meine Familie der Turnhalle verwiesen. Eine Lösung, die zwar wenig zum inneren Frieden meines Bruders beitrug, aber zur Komplizenschaft der Familie durchaus.

Ich persönlich finde im Yoga nur eine Übung ziemlich langweilig: Majariasana, die Katze. Man hockt da, Knie und Hände auf der Matte, und biegt und streckt im Rhythmus des Atmens den Rücken abwechselnd ins Hohlkreuz und in einen Buckel. Gut für die Wirbelsäule, weswegen ich die Katze trotzdem mache. Auch wenn ich sie nicht mag.

Spät am Abend brummte mein Handy. „Schwester“, schrieb ein Bruder, „was soll das bedeuten? Wieso spielt das Geschlecht eine Rolle? Was ist denn falsch an ,Geschwister‘?“ Ich fühlte mich ertappt.

Schuldbewusst rollte ich mich auf dem Sofa zusammen. Wenn ich es könnte, hätte ich geschnurrt.

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