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Elena Senft schaltet nie ab: Lasst mich in Ruhe, ich hab’ Urlaub!

Es ist August. Auf Mails antworten keine Menschen mehr, sondern Abwesenheitsnotizen.

Der Rest der Arbeitenden grämt sich neidisch und badet seine heißen Füße im Büro notfalls auch in dem Gemeinschaftstopf, in dem der Chef einmal im Jahr eine Bolognese für die ganze Belegschaft kocht. Es hat sich herumgesprochen: Work-Life-Balance. Im Urlaub einfach mal abschalten. Von Smartphones, von der Nachrichtenlage, von Mails, in denen die Kollegin flötet, nein, sie wolle natürlich nicht stören, aber ob man vielleicht spontan eine Idee habe, wie man die renitente 10b der Gesamtschule unter Kontrolle kriegen könnte oder wie man die 100-Jahr-Feier des Betriebs gestalten könne.

Im Urlaub also Abschalten von allem. Das ist ein unmöglicher Plan. Denn man hat dabei nicht an die Mitreisenden gedacht. An diejenigen Mitreisenden, die man sich nicht selber ausgesucht hat.

Meist geht es harmlos los. Die Täter sind Alleinreisende mit viel Selbstbewusstsein oder die Art von Pärchen, die sich zu zweit schon lange nicht mehr genug sind und bereits beim Essen im Hotelrestaurant ihren Opfern auflauern. Erst ein freundliches Nicken, eine kurze Unterhaltung, ein unverfängliches Verleihen der Luftmatratze und schon steckt man drin: Am nächsten Abend rückt das fremde Urlaubspaar die zwei Zweiertische im Restaurant aneinander und man ist fortan zu viert unterwegs. Bilder der Kinder auf dem Smartphone? Klar. Können Sie mal eben ein Foto von uns schießen? Ach, kommen Sie doch gleich mit drauf.

Viele Urlauber legen hierbei eine ungesehene Selbstverständlichkeit der Kontaktaufnahme an den Tag, die fast an Belästigung grenzt. Sobald das erste Eis gebrochen ist, geht die Distanz flöten. Der Urlaub wird zum Hase-und-Igel-Spiel: Kommt man zum Pool, winkt einem bereits das krebsrote Paar lachend und mit Sonnenhüten auf dem Kopf entgegen. Es hat natürlich zwei Liegen neben sich frei gehalten. Verdrückt man sich in aller Herrgottsfrühe zu einem abgelegenen Strand, hatte das Paar die gleiche Idee. Und warum mit zwei Autos fahren? Klar, dass zum Dank für die Autofahrt ein schönes Abendessen wartet. Hier in Italien, wo die Tomaten ja schließlich noch nach Tomaten schmecken. Der Nachbar tischt einen Topf Nudeln auf und beim gemütlichen Zusammensitzen zaubert er auch gleich seine Ideen für die nächsten Tage aus dem Hut. „Macht ihr das Lunchpaket, dann kümmern Margit und ich uns um die Route.“

Der eigene Ärger richtet sich natürlich auf das Nachbarspaar, aber ebenso auf sich selbst, da es einem nicht gelingt, den zudringlichen Nachbarn mit sanftem Druck in seine Schranken zu weisen. Stattdessen zerreißt man sich mit gedämpfter Stimme unter der Bettdecke das Maul und setzt doch ein erfreutes Lächeln auf, wenn der Nachbar abends mit einer bereits entkorkten Weinflasche über die Terrassenabsperrung winkt.

Zugegeben: Es fällt schwer, den Nachbarn vor den Kopf zu stoßen. Er hat einem immerhin sein Surfbrett geliehen, um damit auf die wunderschöne Mitte des Gardasees zu paddeln. Zum Dank winkte man dem Nachbarn freundlich von der Mitte des Sees aus zu und verstand zuerst nicht, warum dieser daraufhin aufsprang und im Delfinschwimmerstil zum Surfbrett schwamm. Der Nachbar lacht herzlich über das Missverständnis, dass er dachte, man winke um Hilfe, und muss sich nun erst mal am Surfbrett hängend ausruhen. Zum Glück ist das Wasser des Gardasees ja relativ warm. Das sei in Norwegen anders. Was? Da war man noch nie? Er hat da ein Haus! Das kann man doch im nächsten Jahr mal machen.

Zufrieden treibt der Nachbar im See. Mailadressen sind bereits getauscht. Abschalten nicht möglich.

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