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Elena Senft schaltet nie ab: Vom Horror des DJ-Lebens

Absolut subjektive Aufzählung von Berufen, die von den Mitgliedern einer bestimmten Peergroup als cool und respekteinflößend empfunden werden...

...Jungs in Fahrradläden, die müde lächeln, wenn man sein Multifunktions-Unisex-Rad mit Korb und Rückspiegel in den Laden wuchtet. Dünne Tresenkräfte räudiger Einrichtungen in „Trendbezirken“. DJs. Gerade dem Disc Jockey sei diese anhimmelnde Außenwirkung zu 100 Prozent vergönnt, denn kaum eine andere Tätigkeit ist so lästig, dass sie derartige Entschädigung verdient hat.

Die räumliche Sockelposition des DJs in einem Club wird vom tanzenden Pöbel oft als räumliche Unterstreichung arroganter Überlegenheit ausgelegt. Verstärkt wird dieses Gefühl noch durch das oft unbewegte Starren des DJs. In Wirklichkeit ist das Gehabe vor allem eines: völlig begründeter Selbstschutz. Denn weder Handwerker noch Lehrer noch Ärzte müssen es erdulden, ungeniert gegrölte Tipps oder Befehle entgegenzunehmen, sich übergriffig am Ärmel ziehen zu lassen oder Menschen zu akzeptieren, die Scheibenwischerbewegungen vor seinen Augen machen, wenn er der Aufnahme von „It’s raining men“ in seine Playlist nicht binnen drei Minuten Folge leistet. Der Sockel des DJs kann gar nicht hoch genug sein, denn nur so kann man ein Minimum an Schutz gewährleisten und ihn in die gottgleiche Position hieven, die jeder Clubbesucher unbedingt akzeptieren sollte. Wer zieht schon Gott am Ärmel und fragt „Ey! Haste auch was von den Chili Peppers?“?

Was passiert, wenn das Podest fehlt, kann man an den grotesken Auswüchsen von DJ-Belästigung auf privaten Feiern beobachten, bei denen sich freundlicherweise jemand bereit erklärt hat, mit seinem Laptop aufzutauchen und sich um die Musik zu kümmern. Sofort nach den ersten Songs sammelt sich eine Horde Partygäste um ihn und schaut mit langen Hälsen auf seine Musikmediathek. Es dauert keine halbe Stunde, bis ein fremder, klebriger Chipsfinger aufs Touchpad wandert, um mal nachzugucken, ob sich in der „Holgers Party“-Playlist auch wirklich „Like a virgin“ befindet. Keine Seltenheit, dass plötzlich ein fremder USB-Stick seinen Weg ins fremde Notebook findet, um kurz „Larry’s Hit-Rakete“ und ein paar Trojaner raufzuspielen.

Der Hobby-DJ hat nach zwei Stunden jegliche Flüssigkeitsaufnahme eingestellt, nachdem er einmal auf der Toilette war und sich sofort eine Gruppe kichernder Frauen hinter seinem Laptop zusammengerottet hat und sich durch seine Playlists klickt; die Tatsache völlig ignorierend, dass die eigene iTunes-Bibliothek zu den sensibelsten Listen gehört, die man je aufgestellt hat. Die Frauengruppe weiß nun nicht nur, dass der DJ den „Rocky“-Soundtrack zur Playlist „Joggen“ hinzugefügt hat, sondern auch, dass „Rush Rush“ von Paula Abdul unter der Kategorisierung „Lieblingslieder“ auftaucht und „It’s my life“ von Dr Alban unter „Party Evergreens“.

Der Gastgeber ist keine Hilfe. Als nach drei Songs noch keiner tanzt, raunt er dem DJ zum ersten Mal zu, dass das alles jetzt „irgendwie mal langsam schneller“ werden muss, so als sei der DJ allein für das Gelingen oder Scheitern dieses 40. Geburtstages verantwortlich. Ungefragte Hilfe bietet dafür der sozial isolierte, einem Verlegenheitsaushang im Treppenhaus folgende Nachbar an, der neben dem Laptop herumlungert und Dinge wie „Take That nach den Kings of Leon? Mutig mutig!“ sagt, während eine Handvoll Goudawürfel in seinem Mund verschwindet und er mit einem paralysierenden Atemmix aus Käse und Rotwein von seinen Erfahrungen als Hobby-DJ erzählt, damals im Studentenwohnheim.

Fast macht sich ein wenig Erleichterung breit, als sich ein Glas Rotwein über die Tastatur ergießt und dem Abend ein Ende setzt.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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