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Online-Bewertungen: Meckergäste im Netz

Wenn wirkliche Menschen im Internet zu Usern werden, geht es charakterlich sofort steil bergab.

Die Anonymität des Internets lässt schüchterne Bürohengste zu Reich-Ranickis und Experten in allem werden, und die große Anzahl an Bewertungsportalen suggeriert ebenjenen Leuten, dass ihre Meinung auch unbedingt gebraucht wird. Aus eigener Erfahrung kann es schnell passieren, dass aus harmlosen fröhlichen Sachbüchern „üble Machwerke“ werden oder Schlimmeres.

Der Restaurantbesuch ist der Klassiker des Bewertungsdrangs, denn der anonyme Wutbürger (nein, „GourmetKlaus“ ist kein Name) kommt hier in Sachen Beschwerdekategorienvielfalt voll auf seine Kosten. Und auch die Motivation

In erster Linie erschrecken die Freaks, die scheinbar schon mit beeindruckendem Vorsatz nach dem Haar in der Suppe suchen:

– „Während wir warteten ist uns aufgefallen, dass es in dem Laden lauter als in der Mensa der TU Berlin ist. Zufällig hatte ich ein Gerät dabei, um die Lautstärke zu messen und ermittelte einen Schalldruckpegel von ungefähr 95 dB.“

– „Eine bestellte Flasche Rotwein kam gestoppte 14 Minuten nach dem Servieren des Essens.“

– „Sitzfläche und Tischhöhe passen nicht zueinander. Unter den Auslässen der Klimaanlage zieht’s genau ins Genick.“

– „Das WC war etwas zu dunkel und ich könnte schwören, dass nicht alle Lichter funktionierten.“

– „Beim Zurückgeben meiner EC-Karte wurde ich mit Namen angesprochen. Das einzige Mal an diesem Abend. Da dieser ja bei der Reservierung auch schon bekannt war, könnte man da sicherlich noch etwas proaktiver sein.“

Kritik ausgesetzt ist auch das Personal:

– „Jede Bestellung wird von einer neuen ungelernten Bedienung ohne Persönlichkeit gebracht.“

– „Ein grau-melierter, arrogant-genervt wirkender Herr um die 40 brachte uns zum Tisch. (...) Ich entschied mich, mich zwecks Speisenauswahl neben meine hübsche Verlobte auf die Bank zu drücken. (...) Leider können wir zur Qualität des Essens keine Angaben machen, da uns der graumelierte Mittvierziger wieder aufsuchte und mir sagte, dass ihm die Art, wie ich neben meiner Verlobten sitze, nicht gefalle und ich doch bitte so am Tisch sitzen solle, wie es vorgesehen ist.“

– „Kaum asiatisches Personal, die anderen machten meist den Eindruck studentischer Aushilfskräfte.“

– „Und warum arbeitet hier jetzt bitte ein vollbärtiger Hippie?“

– „Der ältere Herr am Empfang ist das Uncoolste, was ich je erlebt hab.“

Da der anonyme Bewerter sich prinzipiell in allem auskennt, ist Besserwissertum sehr beliebt:

– „Paletten als Sitzplätze? Ich bitte euch!!“

– „Der sollte mal ins Elsass fahren und nachsehen wie eine Weinabfolge funktioniert. Kopfschüttel.“

– „Wir haben dry aged medium to rare bestellt, der Garpunkt war aber leider eher medium to well.“

– „Genau so ärgerte ich mich, dass die anderen Gäste diesen Fraß auch noch lobten. Aber Berliner finden ohnedies alles lecker wo viel Fett und Salz vorkommt.“

– „Noch nie habe ich – wie hier – Stäbchen aus Metall gesehen. Total behindert. Unpassend!“

Die groteske rhetorische Nachbereitung eines simplen Restaurantbesuchs, der sich oft so anhört, als seien die Schreiber im Dschungelcamp gewesen, sind so unterhaltsam, dass man am Ende überlegt, doch lieber Essen zu bestellen und vor dem Computer zu bleiben. Aber diese „angewidert auf zahlende Gäste guckende Kellnerin“ würde man dann doch gerne persönlich kennenlernen.

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