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Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßt den Präsident der Türkei Tayyip Erdogan zum NATO-Gipfel

© dpa/Bernat Armangue

Konflikte auch nach Einigung auf Norderweiterung: Erdogans Deal ist keine Lösung

Der türkische Präsident lässt sich für seinen Erfolg beim Nato-Gipfel feiern. Dabei ist es damit gar nicht so weit her.

„Kein leeres Gerede“, sondern Taten wolle er von Finnland und Schweden sehen, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei seiner Abreise zum Nato-Gipfel in Madrid. Wenige Stunden später ließ er seine Veto-Drohung gegen den Beitritt der beiden Nordländer fallen, nachdem sie ein schärferes Vorgehen gegen die kurdische Terrororganisation PKK und ein Ende ihres Waffenembargos gegen Ankara versprachen.

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Als zusätzliche Belohnung für Erdogan stimmte US-Präsident Joe Biden einem persönlichen Treffen mit dem türkischen Präsidenten zu. Für Erdogan ist das Ergebnis innenpolitisch nützlich. Doch die Probleme zwischen der Türkei und ihren westlichen Nato-Partnern werden dadurch nicht gelöst. Ein Überblick.

Dreiseitige Erklärung

Erdogan hatte die Nato im Mai mit der Veto-Drohung gegen die Norderweiterung aufgeschreckt. Er warf Finnland und Schweden vor, PKK-Anhänger und Mitglieder der Bewegung seines Erzfeindes Fethullah Gülen zu dulden und den syrischen PKK-Ableger YPG zu unterstützen. Ankara forderte die Auslieferung von türkischen Regierungsgegnern aus den beiden Ländern und eine Verschärfung der Terrorgesetze in Finnland und Schweden.

In Madrid einigte sich Erdogan am Montagabend mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö und der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson auf eine dreiseitige Erklärung. Finnland und Schweden verpflichten sich darin, „Aktivitäten“ der PKK in ihren Ländern zu verhindern, die Zusammenarbeit mit der Türkei zu stärken und die YPG sowie die Gülen-Bewegung nicht zu unterstützen.

Helsinki und Stockholm erklären zudem ihr seit 2019 geltendes Waffenembargo gegen die Türkei für beendet und versprechen, Auslieferungsanträge aus der Türkei eingehend zu prüfen. Ein „Permanenter Gemeinsamer Mechanismus“ soll die neue Zusammenarbeit begleiten. Die Türkei sagt im Gegenzug zu, der Nato-Norderweiterung zuzustimmen. 

„Die Türkei hat bekommen, was sie wollte“

Erdogans Regierung feiert die Einigung als Sieg für den Staatschef. „Die Türkei hat bekommen, was sie wollte“, erklärte das Präsidialamt laut der türkischen Nachrichtenagentur DHA. Regierungsnahe Medien und Kommentatoren in der Türkei jubelten, Erdogan habe Finnland und Schweden zu Zugeständnissen gezwungen. „Die Türkei ist groß“, schrieb der Erdogan-freundliche Journalist Ibrahim Karagül auf Twitter.

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Ein Jahr vor den nächsten Wahlen und mitten in einer Wirtschaftskrise braucht Erdogan dringend einen Erfolg. Nun kann er die Einigung von Madrid zu Hause als Triumph verkaufen, zumal seine Regierung den Großteil der türkischen Medien kontrolliert.

Finnland und Schweden betonen rechtsstaatliche Regeln

Allerdings hat die Türkei in Madrid nicht so viel bekommen, wie die Regierung es darstellt. Finnland und Schweden hatten ihre Terror-Gesetze schon vor dem Krach mit der Türkei geändert – und nicht auf Erdogans Wunsch hin. Als EU-Mitglieder stufen sie die PKK ohnehin als Terrorgruppe ein. Die YPG und die Gülen-Gruppe werden in dem Text nicht als Terrororganisationen bezeichnet.

Der türkische Justizminister Bekir Bozdag erneuerte am Mittwoch die Forderung nach Auslieferung von 33 türkischen Regierungsgegnern aus Finnland und Schweden. Doch auch nach der Einigung von Madrid bleiben die rechtlichen Hürden in beiden Ländern dafür hoch.

Niinistö erklärte, Finnland werde die Zusammenarbeit mit der Türkei „gemäß seiner nationalen Gesetze“ ausbauen. Andersson sagte der Nachrichtenagentur AFP, Schweden werde sich Auslieferungsanträge aus der Türkei auf der Grundlage seiner eigenen Gesetze und der Regeln in der EU anschauen. Vor der Einigung hatte Ankara verlangt, beide Länder müssten ihre Verfassungen ändern. Davon ist keine Rede mehr.

Biden bleibt auf Distanz

Erdogan hatte sein Nein zu Finnland und Schweden mit Forderungen an die USA verbunden. Washington solle seine Unterstützung für die YPG einstellen, forderte Erdogan noch am Montag. Die Regierung von Präsident Joe Biden lehnt das ab, weil sie die YPG als unverzichtbare Partnerin im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien betrachtet.

Erdogan beklagte auch, Biden zögere mit der Lieferung von US-Kampfflugzeugen an die Türkei. Immerhin erhielt der türkische Präsident die Zusage für ein persönliches Treffen mit Biden am Rande des Nato-Gipfels am Dienstagabend. Bisher hatte der US-Präsident seinen türkischen Kollegen nicht empfangen wollen.

Für Erdogan ist ein öffentlicher Händedruck mit Biden wichtig, um sich in der Türkei als bedeutender Akteur auf der Weltbühne präsentieren zu können. Konkrete Zusagen des US-Präsidenten kann er aber nicht erwarten. Biden signalisierte, dass er Erdogan auch weiter auf Distanz halten will: Auf Twitter würdigte er zwar die Einigung von Türkei, Finnland und Schweden im Nato-Streit – doch er fügte ein Bild bei, das ihn lediglich mit Niinistö und Andersson zeigte. Erdogan fehlte.

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