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Der Produktdesigner Konstantin Grcic entwirft Lampen, Tische und Stühle. Sofas kann er nicht leiden.

© picture alliance / dpa

Konstantin Grcic im Vitra Design Museum: Vom Ding zur Welt

Konstantin Grcic gilt als der international bekannteste deutsche Produkt-Designer. Aus dem Chaos der Gegenwart zieht er originelle Schlüsse – und blickt mit einer Ausstellung in die Zukunft.

Da ist er nun 48 Jahre alt geworden. Ein Weltstar des Designs, Auszeichnungen in Überzahl, der Anzug ohne Makel. Internationale Fernsehteams und Journalisten buchen Tickets für Weil am Rhein vor der Eröffnung seiner Ausstellung im Vitra Design Museum. Aber Konstantin Grcic kann sich nicht auf sie konzentrieren. Er ist im Wettlauf mit einer Deadline. Und Deadlines zerren an Perfektionisten bekanntlich besonders.

Drei Jahre lang hat Konstantin Grcic an dieser Ausstellung gearbeitet, die nichts weniger tut, als seine Denkrichtung umzukehren: Bislang verdichtete der Produktdesigner seine Welterfahrung zu einem konkreten Ding – einem Tisch, einem Abfalleimer oder einem Kleiderbügel. Er kam zu überraschenden, originellen Lösungen und schließlich mit dem Aluminiumstuhl „Chair One“ und der Lampe „Mayday“ ins Museum of Modern Art.

Nun aber steht er in Weil vor der noch unfertigen Version seiner drei Rauminstallationen, die seine Sicht auf die Welt und die Zukunft darstellen: „Life Space“, „Work Space“ und „Public Space“, der Wohnraum, der Arbeitsraum und der öffentliche Raum. Noch gibt es keinen Diskurs, bloß das Jaulen der Akkuschrauber. Der Wohnraum, sagt Grcic, und weist auf die roh gezimmerte Bühnensituation, wo Dämmung, Heizschlaufen und Innenverschalung zu sehen sind, „ist eigentlich nur eine Bühne für persönliche, private Dinge“. Das Ich brauche ein Gehäuse, das die Funktion der Abspaltung von der Welt übernimmt. Der Mensch als Mieter „besetzt“ für kurze Zeit die Bestands-Architektur und füllt sie in dieser Zeit mit seinen persönlichen Dingen.

Sofas sind eine Art Kapitulation

Das Wohnen sei in Zukunft noch mehr „plug and play“. Das Spiel: Sei Du selbst. Eine funktionstüchtige Einheit, eine Art Wohn-Aggregat liefert dafür die technischen Voraussetzungen Wärme, Licht, Abluft und einen Ausblick. In diesem Fall auf einen Flughafen, für Grcic „der denkbar schlimmste Unort“ für eine Wohnung. Vielleicht würde es aber auch jemand gern wählen, weil für ihn Erreichbarkeit zählt? Wer weiß, wie das sein wird, in der Zukunft?

Und weil er Sofas als eine Art Kapitulation begreift, mit ihrer Aufforderung zur Erschlaffung, körperlich und geistig, hat er seine strenge Liege „Karbon“ hier in der Zukunft platziert.

Wohnen plug and play. Ein Mieter besetzt in Zukunft ein recht rohes, aber funktionstüchtiges Wohn-Aggregat mit seinen persönlichen Sachen.
Wohnen plug and play. Ein Mieter besetzt in Zukunft ein recht rohes, aber funktionstüchtiges Wohn-Aggregat mit seinen persönlichen Sachen.

© Rendering Raum 1, "Life Space", "Konstantin Grcic - Panorama", Copyright KGID

Im „Work Space“, dem Büro eines Designers, hat Grcic eine lila leuchtende Felswand installiert, auf einem riesigen Podest stehen Prototypen aus seiner Werkstatt. Keine Fenster, kein Tageslicht. Im Negativen, sagt er, könne das ein Mangel sein. Im Positiven aber vielleicht eine willkommene Klausur. Eine Höhle, eine Schatzkammer, in der Geheimnisse sicher sind und die Konzentration auf die Arbeit garantiert. Wer weiß?

Im „Public Space“ schließlich rundet sich hinter einem großstädtischen Maschendrahtkäfig ein futuristisches Stadtpanorama. „Man weiß nicht: beschützt einen dieser Käfig oder sperrt er einen ein?“

Es ist ungewohnt, von Grcic Unkonkretes zu hören, Möglichkeiten statt Schlüsse. Schon steigt die Sorge auf, die ganzen Konjunktive könnten den Mann und seine intelligenten Design-Destillate verwässern. Denn Grcic schöpft ja eben nicht beliebige Entwürfe von der Oberfläche der Gegenwart ab, sondern stellt aus ihr wertvolle Destillate her, darin enthalten der Geist der Zeit. Die Ergebnisse wirken auf ihre Art zwingend. Und obwohl seine Objekte sich nach nun 20 Jahren zu einer beeindruckenden Reihe fügen, stehen viele von ihnen doch wie Solitäre da, weil sie spezifische Lösungen für spezifische Probleme sind: Die Lampe „Mayday“ mit ihrem Haken, die der flexible Mensch überall hinhängen kann. Der Drehhocker mit niemals quietschendem Kunststoffgewinde. Seine Spezialität sind ästhetische Ableitungen aus der Gegenwart, die die Sorgfalt und den Sex-Appeal einer mathematischen Beweisführung haben. Immer wieder hat er betont, wie sehr es ihn reize, auf neue Anforderungen – ein Material, eine Technik, eine bestimmte Funktion – neue, konkrete Antworten zu finden.

„Weltentwurf, Visionen? Diese Begriffe sind mir viel zu hoch gegriffen,“ sagt Grcic. „Ich kann nur Fragen aufwerfen, und mir bei allem, was ich sage, immer auch der Positionen der anderen bewusst sein.“ Es sei ja eben ein Zeichen der Umwelt, dass diese sich zu weiten Teilen der eigenen Kontrolle entziehe.

Aber warum wirbt dann diese Ausstellung mit „Programmatik“ und „Visionen“, wenn Grcic nie behaupten würde, welche zu haben?

Es muss nicht alles lieb und gepolstert sein, um gemocht zu werden

„Das ist seine Bescheidenheit“, sagt Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, der hier auch als Kurator fungiert und nun mitten im Chaos des Aufbaus seine Beine elegant übereinander faltet. Natürlich kenne auch Grcic die autoritär verkündeten Weisheiten von Architekten, die die Welt verändern wollten. Da gab es Menschenbilder und Gesellschaftsutopien von Oscar Niemeyer, Corbusier, den Bauhaus-Größen, Verner Panton, Buckminster Fuller – Ideen von Menschen, die hofften, mit guter Gestaltung zur Lösung drängender Probleme beizutragen.

 "Public Space" nach Grcic. Schützt der Drahtkäfig den Menschen vor der Umwelt, oder die Umwelt vor dem Menschen? Im berühmten "Chair_One" lässt sich darüber nachdenken.
"Public Space" nach Grcic. Schützt der Drahtkäfig den Menschen vor der Umwelt, oder die Umwelt vor dem Menschen? Im berühmten "Chair_One" lässt sich darüber nachdenken.

© Rendering, Raum 3, „Public Space“, „Konstantin Grcic - Panorama“, Copyright KGID

Die Arts-and-Crafts-Bewegung aus England entwickelte vor über 100 Jahren Antworten für die schlechten Lebensbedingungen der Arbeiter, die Moderne empfahl Licht, Luft und Proportion zur Verbesserung der städtischen Zustände. Es gab viele Versuche, die Städte zu bändigen und die Menschen zu erziehen. Aber so etwas tut man nicht mehr. Niemand möchte sich noch mit einer Utopie mit Absolutheitsanspruch lächerlich machen, und deshalb versucht es Grcic auch gar nicht. Obwohl er zu schätzen weiß, dass diese Utopien, wenn sie auch nicht Wirklichkeit wurden, die Debatten vorangetrieben haben.

Mateo Kries jedenfalls fand, dass der Designer aus seiner Tätigkeit, „nur“ Produkte herzustellen, heraustreten müsse. Kries vermisste gesellschaftliche Relevanz. Er sah einen Bedarf an Programmatik für das Fach Design. Schließlich kamen die wegweisenden Positionen meist von Architekten. Wer in der Lage ist, so exzellente Schlüsse aus der Wirklichkeit zu ziehen, müsse dies doch auch andersherum können. Induktion statt Deduktion, das wollte er mit Grcic probieren.

Und vom eindeutigen Klang eines Gegenstands kehrt Grcic deshalb hier zurück zur Vielstimmigkeit der Welt, in der natürlich nebeneinander viele Dinge gelten.

Doch im ersten Stock beherbergen Vitrinen sein Werk und dessen Inspiration. Da sieht man den Humor im Denken, Assoziationsketten, wenn Grcic von Nasenformen auf Tassenhenkel schließt. Da macht der gelernte Schreiner seine Ausstellung durch einen gelben Enzo Mari Plastikstuhl „persönlich“, auf dem er viele Jahre gesessen hat. Der eckige Vertreter des italienischen Rationalismus zeigt sehr gut, dass sich die Wärme einer persönlichen Beziehung gut in der Kühle eines Objekts zeigen kann. Es muss nicht alles lieb und gepolstert sein, um gemocht zu werden, das hatten von Grcic jahrelang viele verlangt, die in seinen Entwürfen der kühle Kopf störte.

Mit diesen Gedanken tritt man also ins Freie und auf der Wiese vor dem Museum steht es plötzlich ganz buchstäblich, das Design im Schatten der Architektur. In diesem Fall ist es der zerklüftete Schatten von Frank Gehrys Vitra Design Museum, der über einer Freiluft-Installation von Grcic vor dem Eingang fällt, über eine Herde hängender, weißer Schaukelsessel.

Handwerker verankern noch Netze an Holzsitzen und hängen diese Gebilde in eine metallene Trägerkonstruktion. Man kann sich einfach hineinlehnen in dieses weiß-luftige Geflecht und schwingen.

Die Sessel weisen in alle Richtungen, einander zu- oder abgewandt. Es ist mal wieder ein reizvolles Riesenmöbel, das die Kommunikation fördert, ideal zur Verarbeitung einer Ausstellung. Wenn man sich beim Sitzen bewegt, sagt die Wissenschaft, steige auch die Denkleistung.

Die Gänseblümchen auf der Wiese blühen unhinterfragt in bekannter Form. Gegen vier Uhr am Nachmittag – die Erde hat sich ein unwesentliches Stückchen weiter gedreht – ist Grcic’ Design vollständig aus dem Schatten von Gehrys Architektur herausgetreten.

Konstantin Grcic „Panorama“, 22.3. bis 14.9., Vitra Design Museum, Weil am Rhein

Dieser Text erschien am 23.03.2014 in der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegel

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