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Schwer, ihm eine Bitte zu versagen. Hans-Jürgen Watzlawek vor seiner nächtlichen Tour.

© David Heerde

Kunst im Taxi: Der Busenfreund

Der Berliner Taxifahrer Hans-Jürgen Watzlawek fährt nur nachts. Er trifft dabei immer wieder Betrunkene, Prominente, Verzweifelte. Manchmal fragt er eine Frau, ob er ihre Brüste fotografieren dürfe. Erstaunlich viele sagen dann: ja.

Von Julia Prosinger

Hunderte Brüste in sechs Jahren begutachtet – der Mann muss Frauenarzt sein. Hunderte Brüste in sechs Jahren fotografiert – der Mann muss Fotograf sein. Muss er nicht. Hans-Jürgen Watzlawek ist Taxifahrer. Er bittet Frauen um ein Bild ihrer Oberweite, ohne Kopf. Und die machen mit. Was ist das für ein Mann, bei dem sich Frauen bedenkenlos ausziehen?

00.30 Uhr, Montagnacht. Hans-Jürgen Watzlawek, bald 70, Anorak, bunte Brille, Rauschebart, macht sich auf den Weg zum Frühstück. Er stößt die Tür zur Tuxedo Bar am Ku’damm auf, ein kleiner schlauchförmiger Raum mit rotem Licht, legt ein paar Hände auf ein paar Schultern und sagt ein paar Mal: „Mein Lieber“. Dann schiebt er sich auf einen Thekenhocker, nickt dem Barmann seitlich zu, Kaffee mit Milch und Süßstoff soll das heißen, und zündet einen Zigarillo an. Marke Clubmaster, Geschmacksrichtung Vanille. Nicht der erste heute.

Vier Mal, erzählt Watzlawek, habe er schon eine Pistole an der Schläfe gehabt, einmal ein Messer am Hals. Letzteres war schlimmer. Ausgerechnet an jenen Tagen hatte er mehr Einnahmen als sonst im Portemonnaie. „Da habe ich wieder mit dem Rauchen angefangen.“

Im Hinterraum der Bar hängen Watzlaweks Bilder, große Brüste, kleine Brüste, gepiercte, tätowierte, gemachte. Auf einem greifen sich zwei Frauen gegenseitig an die Brustwarzen wie auf dem Gemälde „Gabrielle D’Estrées und eine ihrer Schwestern“. Ein anderes gehört wohl zu einem operierten Männerkörper.

Watzlawek, Typ Weihnachtsmann, stöhnt. In wenigen Tagen eröffnet er hier in seinem Stammlokal eine Ausstellung. Wie viel Arbeit das ist. Die Flyer drucken, die Wände streichen, die Bilder rahmen. Dafür ist er, der Nachtmensch, doch gar nicht gemacht.

Im Taxi geknipst. Ein Gast von Hans-Jürgen Watzlawek.
Im Taxi geknipst. Ein Gast von Hans-Jürgen Watzlawek.

© Hans-Jürgen Watzlawek

Hans-Jürgen Watzlawek hat den Tag verlernt. Nachtarbeiter, lebenslang. Bevor er Taxifahrer wurde, arbeitete er 30 Jahre als Bäcker. Berlin kennt er nur noch dunkel. Kurz vor Mitternacht spaziert er zum Hansaplatz, nicht mehr jeden Abend, er ist ja jetzt Rentner, und übernimmt den Wagen eines Kollegen. In der Grundschule hieß es über Watzlawek: „noch verspielt“, im Gesellenzeugnis stand: „noch verspielt“. Heute, beim Taxifahren, spielt er auch. Wie oft trau ich mich, Frauen nach einem Bild zu fragen?

„Achtung, Achtung, der schönste Mann der Welt wird gebeten, an sein Telefon zu gehen …“ – Watzlaweks Klingelton. Seine Freundin ist dran. Wenn er auf Gäste wartet, telefonieren sie oft. Sie hat sich seinem Rhythmus angepasst, wacht, wenn er arbeitet. Manchmal erzählt sie ihm, was im Fernsehen läuft. Watzlawek erzählt von der Straße. Von den Brüsten. Eifersüchtig sei sie nicht. Was er mache, sei Kunst. Er würdige Frauen.

Was sind das für Frauen, die sich für Watzlawek ausziehen? Frauen zeigen ihre Brüste, das ist nichts Neues. Königin Luise von Preußen verhandelte tief dekolletiert mit Napoleon, die Aktivistinnen von Femen nutzen ihren Busen als Protestfläche. Im Internet kursiert eine neue „Challenge“, bei der Frauen sich BHs über die Augen schieben, mit den Körbchen sehen sie aus wie übergroße Insekten, und ihre nackten Brüste in die Kamera halten. Erstaunlich viele machen mit.

Wie bei Watzlawek. „Mehr als die Hälfte der Frauen, die ich frage, stimmen zu“, sagt er. Über 200 Motive hat er in den letzten Jahren gesammelt. Er wundert sich selbst, dass es so einfach ist. Nicht ein einziges Mal habe er eine unangenehme Antwort erhalten, sei als Voyeur oder Sexist beschimpft worden. Vielleicht liegt es daran, dass Watzlawek so friedlich wirkt.

Es war ja auch alles gar nicht so geplant. Eines Tages, erzählt er und zündet den nächsten Zigarillo an, habe eine Stammkundin geglaubt, sie sei schwanger, sie habe so dicke Brüste. „Zeig mal“, sagte Watzlawek damals einfach. Schon lupfte die Kundin das Oberteil. Ihm gefiel, was er sah, er bot sich als Fotograf an. Seitdem knipst Watzlawek Titten.

„Natürlich ist die Brust“ – er legt Wert auf dieses Wort – „erotisch, sexuell anregend, wunderbar anziehend. Aber sie schenkt auch Nahrung, Geborgenheit, Wärme und Vertrauen.“ Schließlich ist der Mensch der einzige Primat mit Busen auch außerhalb von Schwangerschaft und Stillzeit. Watzlaweks Bilder seien eine Hommage an die Frau. Ob er das schon erwähnt habe?

Es ist nicht so, dass Watzlawek die Bitte leichtfällt. Deshalb darf auch keiner dabei sein, wenn er sich den Frauen nähert. Als er vor Jahrzehnten mit dem Taxifahren anfing, sei er sogar so schüchtern gewesen, dass er ungern Gäste im Restaurant abholte, in Arbeitsjeans feine Lokale betrat und „Wer hat das Taxi bestellt?“ rief. Nun gut, bei einer hübschen Frau sei er schon mal flotter gefahren. Über die Jahre ist das besser geworden. „Man wird selbstsicher im Auto.“ Man ist der Chef, man lenkt. Trifft die schönsten Frauen, die wichtigsten Prominenten, erlebt sie müde, ungeschminkt, verzweifelt.

Als Rentner wartet Watzlawek nicht mehr am Taxistand. Er klaubt Leute aus der Dunkelheit oder lässt sich bestellen. „Ich fahr gern, wo man mich kennt.“ Im Osten weniger. Eher Zwiebelfisch, New York Bar, Paris Bar. Einmal durch die City West. Oliver Kalkofe oder Rolf Eden bringt er nach Hause, Jürgen von der Lippe schuldet er noch eine Quittung, Peter Sloterdijk hat er mal gesagt, dass er nicht alles versteht, was der schreibt. Angenehme Gäste bittet er, sich in sein Gästebuch einzutragen. Loriot hat eine Widmung gezeichnet, Bundesrichter, eine ghanaische Königin und ein Asylbewerber preisen Watzlaweks Fahrkünste. Die Unterhaltung bleibt manchmal knapp. Englisch hat Watzlawek nie gelernt. „I go schon to the car“ hat aber immer funktioniert.

Es beginnt immer mit demselben Spruch

Auch diese Frau ließ sich von dem Taxifahrer fotografieren.
Auch diese Frau ließ sich von dem Taxifahrer fotografieren.

© Hans-Jürgen Watzlawek

Steigt eine Frau zu ihm ins Taxi, wartet Watzlawek zunächst ab. Geht im Kopf ein paar Punkte durch. Ist sie nüchtern genug? Er hat sich einen Kodex auferlegt: keine leichte Beute, keine Frauen im Suff. Maximal angeschwipst. Besonders wohl fühlt er sich, wenn ein Mann dabei ist. Da wird seine Frage nicht als Anmache missverstanden. Ist sie alt genug? „Frauen um die 20 sind zu unsicher mit ihrem Körper.“ Tatsächlich finden fast 70 Prozent aller Brustvergrößerungen bei Frauen unter 25 Jahren statt. Die meisten Brüste auf Watzlaweks Bildern sind um die 30 Jahre alt.

„Ich habe da so ein Kunstprojekt …“, beginnt er seine Rede normalerweise. Der älteste Spruch. Reicht offenbar. Er erzählt den Frauen von seinen Ausstellungen in richtigen Galerien, zeigt Zeitungsberichte, sogar ein japanischer ist dabei. Dann hofft er, dass die Mutige ihre Zusage nicht zurückzieht. Fährt rechts ran, beugt den Weihnachtsmannkörper über die Lehne nach hinten und schießt ein Bild. Schnell, bevor sie es sich anders überlegt. Danach zeigt er den Monitor seiner kleinen Digitalkamera vor – so kann die Frau überprüfen, dass nur ihre Brust zu sehen ist. Wenn sie will, schickt er ihr das Bild später zu. Narben und Pickel retuschiert er nicht, die Bilder bleiben Schnappschüsse. Er ist schließlich kein Fotograf.

Was ist das für ein Ort, an dem Frauen sich einem Unbekannten anvertrauen? „Beichtstuhlverhältnis“, sagt Watzlawek. Sei doch ganz klar. Wenn sich die Autotüre schließt, entsteht eine Bindung auf Zeit zwischen Fahrer und Gast. Es ist eng und distanziert zugleich. Man blickt sich nicht in die Augen. Man kann nach unten schauen, unbeteiligt aus dem Fenster, der Fahrer hat zu tun.

Brust frei für die Kunst.
Brust frei für die Kunst.

© Hans-Jürgen Watzlawek

„Was im Taxi passiert, bleibt im Taxi“, sagt Watzlawek. Er erfährt ohnehin weit mehr, als für die kurze Dauer der Beziehung angemessen ist. Seine Arbeit ist, ob er will oder nicht, intim. Er wird geduzt, auch wenn er siezt. Er bringt Paare in Swingerclubs und Männer, die dann eine Quittung verlangen, in den Puff. Er muss wegschauen, wenn sich eine auf seiner Rückbank umzieht. Anhalten, damit ein Fahrgast an den Baum pinkelt. Gespräche bezeugen wie: „Gut, dann ficken wir eben.“ Oft haben die Leute kein Geld dabei, da muss er mit hoch in die Wohnung. Einmal hat sich eine Frau betrunken vor ihm entblößt. Oder er musste den Schlüssel eines nackten Mannes, der sich ausgesperrt hatte, bei dessen Exfrau abholen. Vermittler Watzlawek. Er mag das nicht, er fühlt sich dann missbraucht.

Nachts, wenn Watzlawek Dienst hat, fahren die mit den Emotionen mit, nicht die mit den wichtigen Geschäftsterminen. Er erfährt von der Angst vor einem Krankenhausbesuch, bekommt die Wut nach einem Streit ab, trocknet die Tränen nach einem misslungenen Date. Wer redet, zieht sich eventuell auch aus. Wer Tränen zeigt, zeigt eventuell auch Brüste. Das hat Watzlawek gelernt.

Die Fotos („Nachtaufnahme – Kunst im Taxi“) werden ab 31. 10. 2014 in der Tuxedo Bar, Uhlandstraße 179, ausgestellt.

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