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Kochlegende Franz Keller züchtet heute Bentheimer Schweine für sein eigenes Restaurant

© privat

Landwirtschaft nach der Coronakrise: „Der Politik jetzt in den Hintern zu treten, könnte viel Neues bewirken“

Der streitbare Wirt und Viehzüchter Franz Keller fordert in seinem neuen Buch einen neuen Kurs in der Landwirtschaft.

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Das gesellschaftliche Leben in Berlin ist wegen der Coronakrise zum Erliegen gekommen, Kontakte sind kaum möglich. Franz Keller hat gerade sein neues Buch "Ab in die Küche" veröffentlicht. Wir treffen ihn im praktisch abgeriegelten Steigenberger Hotel, wo er einer von nur zehn Gästen ist, um mit ihm über die Krise, ihre Folgen und über eine bessere Landwirtschaft zu sprechen.

Herr Keller, Sie sind Gastronom, Bauer und Viehzüchter, wo trifft Sie die Krise am härtesten?
Bei den Gästen, die sagen ab. Ich versuche jetzt, die Termine nicht bis in den Herbst zu schieben, sondern immer nur vier Wochen in die Zukunft. Zum Glück wollte ich es dieses Jahr ruhiger angehen. Ich lege die Termine dann auf Tage, an denen ich eigentlich freigehabt hätte, nun ja, dann habe ich halt jetzt frei und muss später alles nachholen, wenn das überhaupt nachholbar ist. Wenn allerdings die Gäste nicht mehr mitmachen, kann ich zumachen. Das ist das Problem von vielen, wir Gastronomen leben ja alle seit längerer Zeit von der Hand in den Mund.

Was bräuchten die Gastronomen jetzt?
Viel Unterstützung, sonst gibt es nach der Krise keine Restaurants mehr. Das trifft die Dönerbude wie das Sternerestaurant auf dieselbe harte Weise. Was ich aber gerade toll finde, ist, dass unsere Politiker jetzt sehr viel in Bewegung setzen, die Aufhebung des Schuldenberges zum Beispiel. Das machen sie nicht freiwillig, sie sind angstgesteuert, weil sie fürchten, irgendwann gesagt zu bekommen: „Ihr habt nichts unternommen!“ Der Politik jetzt in den Hintern zu treten, könnte viel Neues bewirken.

Der meinungsstarke Franz Keller hat gerade sein neues Buch veröffentlicht: "Ab in die Küche", erschienen im Westend Verlag
Der meinungsstarke Franz Keller hat gerade sein neues Buch veröffentlicht: "Ab in die Küche", erschienen im Westend Verlag

© Anja Jahn

Aus der Not könnte auch etwas Gutes entstehen?
Wenn es weitergeht, hoffe ich, dass es anders weitergehen wird. Wir müssen lernen, dass nicht auf Profit ausgerichtet sein darf. Das Gesundheitswesen zum Beispiel, das wurde von unseren Urgroßvätern nicht angelegt, um damit Geld zu verdienen und den Versicherungen Wahnsinnsprofite zu sichern, sondern um die Leute zu versorgen, wenn sie krank sind.
Kliniken werden immer größer, die Versorgung wird immer zentraler und gleichzeitig schlechter. Im Grunde ist es das Gleiche wie bei den Schlachthöfen. Warum gibt es heute nur noch drei oder vier davon in Deutschland? Die sind angeblich „effizient“, aber dafür werden Millionen Tiere quer durch die Republik gekarrt. Das muss sich ändern.

Sie gelten als meinungsstark, mischen sich ein. Haben Sie mit dem Gedanken gespielt, in die Politik zu gehen?
Ich war schon in allen Parteien, bis auf die ganz komische neue. Politik geht mir eigentlich zu langsam. Andererseits gibt es vielleicht nichts Besseres als den Weg durch die Instanzen. Joschka Fischer wurde neulich in einer Talkshow gefragt, wie er als Taxifahrer zum Demokraten werden konnte. Da hat er geantwortet, dass man als Autonomer nichts verändern kann, man muss in die Politik gehen, auch wenn das ein schwerer Weg ist. Das fand ich ganz gut, ich weiß aber nicht, ob man mich braucht.

Was würden Sie, sagen wir, als Landwirtschaftsminister, als Erstes ändern?
Wir brauchen einen Systemwechsel. Die Milliarden für Subventionen sind ja da, werden aber für ein System ausgegeben, das nicht funktioniert. Wir machen alles kaputt, unser Grundwasser, unsere Böden, müssen immer mehr immer billiger produzieren nach dem Motto: Werde größer oder weiche. Schwachsinn!
Wir Deutschen müssen die Welt nicht ernähren, die Welt kann sich meist selbst ernähren, man kann sie unterstützen, aber mit unseren Hähnchenflügeln, die wir mit Subventionen aus Brüssel nach Afrika exportieren, machen wir deren Markt kaputt. Sie können dort keine Hühner mehr züchten, weil das zu teuer wäre.

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Aber Export ist die Grundlage unseres Wohlstandes …
Wir sind gut aufgestellt im Maschinenbau, warum konzentrieren wir uns nicht darauf? Wir müssen Qualitätsweltmeister sein, nicht Exportweltmeister für Schweinefleisch.
Die Österreicher sind weiter. Sie wussten, sie haben als kleines Land keine Chance gegen das große Deutschland. Nirgends gibt es mehr tolle Bauernhöfe, Biohöfe, Bauernmärkte als in Österreich. Wir können das auch, wir müssen keine Billiglebensmittel exportieren.

Würden Sie Fleisch generell teurer machen?
Auf jeden Fall. Aber nicht durch irgendwelche Tricks wie eine höhere Mehrwertsteuer. Es muss teurer werden, weil wir anfangen, Fleisch richtig zu produzieren. Das rechtfertigt dann auch einen höheren Preis.

Den können Normalverdiener vielleicht nicht zahlen …
Auch das ist in Ordnung, dann ist es wieder wie früher, da hatten die Adligen das Zipperlein, die Gicht, und der normale Bauer war gesund, weil er sich gut ernährt und nicht zu viel Fleisch gegessen hat.
Wenn mir einer vorwirft, dass eine Preiserhöhung unsozial sei, weil der normale Arbeiter sich dann nicht mehr seine Wurst, sein Schnitzel und seinen Käse leisten kann, dann ist auch das Schwachsinn. Wir können es uns nicht mehr leisten, so viele kranke Leute zu haben – vieles kommt von unserem miesen Essen.

Der Konsument kauft eher das billigere Produkt. Muss man ihm die Mündigkeit absprechen, um das System zu ändern?
Nein, man muss sie ihm wieder zurückgeben. Wir müssen in den Schulen aufklären, in der Ausbildung wieder Nahrungsmittelkunde oder Kochen einführen. Es ist genug Geld dafür da, es muss nur richtig eingesetzt werden.
Warum ist es leichter, von der Versicherung eine Dialyse bezahlt zu bekommen, als den Leuten Lebensqualität beizubringen? Warum werden keine Kochschulen finanziert? Aber es ist einfacher, nächstes Jahr wieder die Versicherungsbeiträge zu erhöhen, um Zivilisationskrankheiten heilen zu können.

Gut, angenommen, Minister Franz Keller hat das Volk ernährungspädagogisch geschult. Dann entscheiden sich die Menschen für das teurere, sinnvollere Produkt?
Ja. Weil die Leute dann wissen würden, wie viel günstiger es ist, selbst zu kochen statt diese abgepackten Plastikdinger zu kaufen. Ich würde auch das Wort „teurer“ in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Es geht darum, die Wertigkeit von Lebensmitteln wieder darzustellen.

Wie könnte das aussehen?
Qualität fördern mit dem Geld, das bisher als Subventionen in die Landwirtschaft gesteckt wird. Wer nachhaltig und verantwortungsvoll wirtschaftet, sollte unterstützt werden.
Die jetzige Subventionspraxis fördert genau das Falsche. Wer im Allgäu durch die Gegend fährt, sieht entweder Golfrasen oder zwei Meter hohen Mais. Golfrasen ist keine Wiese, das ist Hochleistungsgras, das man fünfmal im Sommer mähen kann und mit riesigen Maschinen und Traktoren in den Stall schafft. Warum?
Es ist billiger, die Rinder im Stall zu halten. Es kann nicht der Weg sein, die Landwirtschaft so zu technisieren, dass wir keine Menschen mehr brauchen.

Ich habe Sie bei „Kitchen Impossible“ gesehen, einem TV-Format für Selbstdarsteller, nicht für Weltretter ...
Ich finde Kochsendungen eigentlich schrecklich, meine Folge habe ich mir bis heute nicht angeschaut. Drei Jahre haben die immer wieder angefragt, da habe ich ein Honorar genannt, von dem ich dachte, dass sie es ablehnen würden. Das mache ich auch bei Kunden, deren Feste ich nicht ausrichten will. Aber manchmal zahlen sie sogar das, und ich muss es dann machen, verdammt. So war es auch bei Mälzer.
Das Geld habe ich gut gebrauchen können. Aber es hat Spaß gemacht, und es hat mir auch gezeigt, dass ich noch fit bin.

Das Gespräch führte Kai Röger

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Zur Person Franz Keller

Franz Keller beschreiben, das geht nicht ohne Franz Keller, also den Senior, der seinen gleichnamigen Sohn zum Werkzeug seiner frankophilen Träume ausersehen und zum Kochenlernen zu allerfeinsten französischen Adressen geschickt hat. Man nannte ihn den „Rebell vom Kaiserstuhl“, weil er sich, selbst ehrgeiziger Winzer, permanent über die Weingesetz-Dummheiten der siebziger Jahre aufregte und knochentrockene Weine forderte, während die gesamte Branche in Zucker badete. Das gab reichlich Ärger.

Der Sohn steht im Schatten des Vaters

Sohn Franz galt den Zeitgenossen als eher weich. Es wird ihn geschmerzt haben, dass er in einem wichtigen Kochbuch des Autors Klaus Besser 1977 als schnauzbärtige Marionette an den Fäden des Vaters karikiert wurde – und das, obwohl er den berühmten „Schwarzen Adler“, den Gasthof der Familie in Oberbergen, gerade zum zweiten Michelin-Stern gekocht hatte.

Kochte für die ganz Großen, wie hier beim Dinner für den französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing
Kochte für die ganz Großen, wie hier beim Dinner für den französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing

© privat

Man zerstritt sich, und heute, lange nach dem Tod des Seniors, wird man wohl sagen dürfen, dass sich beide gar nicht so unähnlich waren in ihrer an Schroffheit grenzenden Geradlinigkeit, dem Hang zu klaren Worten. Der eine war der Weinrebell, der andere wurde später zum Fleischrebell.

Franz Keller junior schied um 1978 aus dem Geschäft aus und überließ das Erbe faktisch seinem jüngeren Bruder Fritz, der noch heute – neben seinem Job beim DFB – Weingut und Gasthaus führt. Franz nahm eine Auszeit, die selbstverständlich in einer Top-Küche stattfand, aber bei Gualtiero Marchesi in Italien, weitab von den Traditionen und Zwängen der französischen Hochküche.

Franz Keller wird der bestverdienende Koch Deutschlands

1979 eröffnete er in Köln ein eigenes Restaurant, dem er ein Bistro, die „Tomate“ anfügte, eine damals unübliche Kombination, die sich erst viel später zum beliebten Geschäftsmodell entwickelte. 1988 ließ er die Selbstständigkeit sausen, um Küchendirektor auf der neu formierten „Bühlerhöhe“ zu werden, angeblich für sagenhafte 500 000 Mark im Jahr. 1990 wechselte er für ein sicher bescheideneres Salär ins „Kronenschlösschen“ in Hattenheim im Rheingau, jenem Ort, in dem er drei Jahre später die „Adlerwirtschaft“ eröffnete. Schon der Name machte deutlich, dass er sich von der Sternegastronomie verabschiedete.

Franz Keller mit Joseph Beuys
Franz Keller mit Joseph Beuys

© privat

Es ist vermutlich Familientradition, dass sein Sohn ebenfalls Franz heißt und heute die Wirtschaft führt. Der Vater, 70, konzentriert sich auf seinen „Falkenhof“ in der Nähe, hält dort Schweine, Rinder und Kaninchen nach Bio-Kriterien und schreibt seit einigen Jahren Bücher, die sich mit seinem Lieblingsthema befassen, dem Kampf gegen das schlechte und für das gute Lebensmittel. Bestseller, obwohl – oder weil – sie in kräftigen Farben gemalt sind und sich nicht vorrangig um Differenzierung bemühen. Aber das Thema steht weit oben auf der Agenda, und es beschert Franz Keller Bekanntheit weit über die Food-Szene hinaus.

Kürzlich hatte er seinen Auftritt bei Tim Mälzers „Kitchen Impossible“ als ältester Teilnehmer und fiel dadurch auf, dass er das halb fertige Boeuf Bourguignon auf dem Herd stehen und fast anbrennen ließ, um sich einer spontan anberaumten Weinprobe zu widmen. Geskriptet? Eher nicht. Es passt zu einem, der immer noch eine Rechnung mit seinem vinophilen Vater offen hat. BM

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – normalerweise jeden Sonnabend in der Zeitung, zurzeit aber im "Sonntag". Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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