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Lore Maria Peschel-Gutzeit: „Mir half immer Wasser mit Whisky“

Lore Maria Peschel-Gutzeit zog drei Kinder alleine groß und hatte Lust auf Macht. Die Pionierin für Gleichberechtigung sagt: Frauen, kommt raus aus den Kuschelecken!

Von Barbara Nolte

Frau Peschel-Gutzeit, geht es in Ordnung, wenn ich Sie als Quotenfrau bezeichne?

Ich kann damit sehr gut leben. Das war ja der Grund, warum mir Henning Voscherau nach seinem Wahlsieg 1991 in Hamburg ein Senatorenamt anbot: Er musste einen Parteitagsbeschluss umsetzen, der eine Quote für Frauen enthielt, und schickte seine Späher los, um Frauen zu suchen.

Viele Frauen aus der Wirtschaft scheinen den Begriff ehrenrührig zu finden. Sie lehnen Quoten ab.

Faktisch gibt es in der Wirtschaft eine Männerquote von über 90 Prozent. Was bleibt da anderes übrig als eine gesetzliche Regelung? Und eine alte Erfahrung ist: Wenn etwas geregelt ist und Verstöße vielleicht sogar mit Strafen belegt sind, dann folgen die Männer. Anders übrigens als die Frauen.

Männer sind folgsamer?

Das ist meine Erfahrung in den Führungspositionen, die ich hatte. Ein gutes Beispiel sind Amtsbesprechungen. Ich habe selbstverständlich alle ausreden lassen, es wurden ja auch interessante Sachen beigetragen. Aber irgendwann muss der Mensch zu einem Ende kommen. Also sagte ich nach ein, zwei Stunden: „Wir machen das jetzt mal so und so.“ Die Männer gingen raus und setzten das um. Wenn Frauen mit am Tisch saßen, konnte ich sicher sein, dass sie am nächsten Tag kamen und sagten: „Ich habe über alles noch einmal nachgedacht. Ich glaube, wir machen das anders.“

Frauen sind bedächtiger?

Ich will darauf hinaus, dass viele Frauen Schwierigkeiten damit haben, zu erkennen, wenn eine Sache entschieden ist: dass es dann auch mal gut ist. Sie können ja vorher alle ihre Bedenken äußern.

Wie erklären Sie das unterschiedliche Verhalten?

Ich habe immer wieder festgestellt: Männer haben ein absolutes Gespür für Hierarchien. Das ist ihnen über Jahrtausende eingeimpft worden. Als die Männer noch gemeinsam jagten, musste einer vorangehen, die Gefahren erkennen, und die anderen folgten ihm. Gehorsam sicherte das Überleben. Bis heute weiß jeder Mann, wer der Oberhäuptling ist. Mit Oberhäuptling kann auch der Gesetzgeber gemeint sein. Frauen haben hingegen nie gelernt, Hierarchien als notwendige Struktur zu akzeptieren, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen.

Wenn die Menschheitsgeschichte, wie Sie sagen, den Geschlechtern derart eingeschrieben ist – warum finden Sie sich, obwohl Sie eine Frau sind, dann so gut in Hierarchien zurecht?

Ich habe es gelernt, ich musste es lernen.

Sie fingen 1960 am Hamburger Landgericht an. Wie war dort der Stand der Emanzipation?

Es war ein reiner Männerbetrieb. Bezeichnend war, als ich nach einigen Jahren in die Pressekammer wechseln wollte. Ich meldete mein Interesse an, doch es hieß nur: „Das können Sie vergessen, Herr Engelschall“, so hieß der Vorsitzende der Kammer, „nimmt keine Frauen“. Ich bat Engelschall um eine Begründung. Er druckste herum. Das ist oft so: Wenn man einen Mann mit seiner Frauenfeindlichkeit konfrontiert, hält er es im persönlichen Gespräch nicht durch. Schließlich sagte er: „Frauen können schwanger werden.“

Der Hintergedanke ist heute noch verbreitet, dass Frauen, sobald sie eingearbeitet sind, schwanger werden. Es würde nur keiner mehr offen sagen.

In den 60er Jahren arbeiteten viele Kriegsheimkehrer in der Justiz, die lädiert waren. Im Richterberuf unterschied sich der Krankenstand zwischen Männern und Frauen eklatant. Ich habe damals so argumentiert: „Jetzt rechnen Sie mal eine Schwangerschaft gegen einen Herzinfarkt auf. Abwesend ist abwesend.“

Foto>: Mike Wolff
Lore Maria Peschel-Gutzeit, 82, war eins Senatorin für Justiz in Berlin und arbeitet dort heute noch als Anwältin

© Mike Wolf

Bis heute driften die Karrierewege von Männern und Frauen auseinander, wenn Kinder kommen.

Manche Frauen meinen, eine Alternative zu haben zwischen anstrengendem Beruf und Familienarbeit. Männer haben die Alternative nicht. Sie wissen, dass sie ein Leben lang arbeiten müssen. Doch nirgends steht geschrieben, dass ein Mann eine Familie ernähren muss. Frauen sind heute genauso gut ausgebildet. Die Zeit des Alleinernährers ist vorbei. Jetzt haben beide viel mehr Flexibilität.

Haben Sie selbst in Teilzeit gearbeitet?

"Eine begabte Kollegin musste ihren Beruf aufgeben"

Foto>: Mike Wolff
Lore Maria Peschel-Gutzeit, 82, war eins Senatorin für Justiz in Berlin und arbeitet dort heute noch als Anwältin

© Mike Wolf

Als meine beiden älteren Kinder klein waren, ging das noch gar nicht. Eine begabte Kollegin von mir musste sogar ihren Beruf aufgeben, weil ihr drittes Kind behindert war und mehr Pflege brauchte. Ich trug den Fall im Deutschen Juristinnenbund vor, wir schrieben eine Gesetzesvorlage. Eine mir bekannte Juristin, die im Bundestag saß, schlug einen sogenannten „Antrag aus der Mitte des Hauses“ vor: Frauen aller Fraktionen machten mit. Kurz darauf wurde das Teilzeitgesetz für Beamte beschlossen. Ich selbst habe nie davon Gebrauch gemacht.

Fühlten Sie sich in Ihren Gleichstellungsambitionen der Frauenbewegung der 70er Jahre verbunden?

Sehr. Ich bin mit Alice Schwarzer befreundet. Als Richterin war ich immer ein argumentativer Mensch. Alice ist eine Journalistin, die aufmerksam machen will. Das ergänzt sich: Die eine findet die Argumente, die andere rührt die Trommel.

Alice Schwarzer sagte mal: Der Schlüssel zur Gleichberechtigung sei die außerhäusliche Berufstätigkeit.

Ich glaube, dass der Schlüssel zur Emanzipation die Unabhängigkeit ist, wozu auch wirtschaftliche Unabhängigkeit zählt. Ich kann innerlich noch so unabhängig sein, wenn ich nicht weiß, wovon ich die Miete bezahlen soll, ist es schnell vorbei damit.

Heute drehen sich Frauenrechtsdebatten oft um Karrierefragen. Ist das nicht eine Verengung?

Das empfinde ich gar nicht so. Mir persönlich geht es darum, dass Frauen dieselben Chancen haben, ihr Leben zu gestalten, wie Männer.

In der Lebensgestaltung gab es bis vor Kurzem für Frauen eine biologische Schranke, Frauen konnten nur bis Mitte 40 Kinder bekommen. Durch „Social Freezing“ ist die Schranke aufgehoben. Eine Errungenschaft?

Nein. Und wenn das Ganze von einer Firma ausgeht, die ihren Mitarbeiterinnen die Eizellenentnahme bezahlen will, finde ich das übergriffig.

Viele Frauen mittleren Alters leiden unter einem unerfüllten Kinderwunsch.

Jede Frau weiß doch, dass ihre Fruchtbarkeit irgendwann aufhört. Ich finde nicht, dass Männer beim Kinderkriegen bevorteilt sind. Im Gegenteil. Die Männer können zwar Kinder erzeugen, aber wir Frauen haben diese enge Verbindung zu ihnen. Ich habe das immer als einen sehr reichen Teil meines Lebens empfunden.

Die Modemacherin Vivienne Westwood sagte kürzlich, es sei die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen, als sie mit ihren Kindern auf dem Spielplatz saß.

Meine Tochter hat zwei kleine Kinder, auch sie klagte darüber. Du kannst ja zu Kleinkindern außer „Eideidei“ nicht viel sagen. Ich habe sie getröstet: „Durch die etwas verblödete Situation sind wir alle durchgegangen.“ Gut, wenn man noch seinen Beruf hat.

Die Anspannung, die anspruchsvolle Berufe mit sich bringen, verträgt sich nicht besonders gut mit der nötigen Lässigkeit im Umgang mit Kindern, oder?

Man muss schnell abschalten können. Wenn ich nach Hause kam, brachte mir meine Jüngste ein großes Glas Wasser mit einem kleinen Schuss Whisky.

Nach Ihrer Scheidung waren Sie alleinerziehende Mutter von drei Kindern, was mit einer Karriere wie Ihrer schwer vereinbar scheint.

Ich hatte eine Kinderfrau. Dennoch empfand ich den Druck belastend, für alles verantwortlich zu sein.

Was bedeutet Ihnen Muße?

Der Mensch muss auch mal vor sich hingammeln können, klar. Noch heute setze ich mich, wenn ich nach Hause komme, für eine Weile hin und bedenke den Tag. Manchmal gehe ich auch sehr kritisch mit mir ins Gericht. Ich spüre, dass die Kräfte so in mich zurückströmen. Dann kann ich am nächsten Tag weitermachen. Ich bewahre Selbstzweifel nicht über Tage hinweg.

Ist es eine Intelligenz- oder eine Willensfrage, dass Sie sich so eine pragmatische Sichtweise verordnen können?

Mehr eine Frage der Erfahrung. Es gab Momente in meinem Leben, da war ich ganz down, wusste nicht mehr weiter. Ich habe gelernt, erstens, es geht immer weiter, und zweitens, es geht bestimmt nicht gut weiter, wenn du weiterhin unter dem Teppich liegst. Jetzt mal hoch und wieder alles zusammenraffen, was noch an Kräften da ist!

Sie haben früh Ihren ersten Mann verloren.

Das war brutal. Ich bin aus meiner Generation rausgefallen. Ich war 26, da hat man ja noch relativ kalbsköpfige Ideen. Das gehört zu dem Alter dazu. Dadurch, dass ich diese schwere und zum Schluss tödliche Krebskrankheit miterlebte und miterlitt, konnte ich mit der ganzen Unbeschwertheit meiner Gleichaltrigen nichts mehr anfangen.

Sicher ist Ihnen der Werbeslogan der Zeitschrift „Neon“ fremd, zu deren Zielgruppe Mitt- und Enddreißiger gehören: „Eigentlich sollten wir erwachsen werden.“

"Viele aus der Generation meiner Kinder hangeln sich so durch"

Foto>: Mike Wolff
Lore Maria Peschel-Gutzeit, 82, war eins Senatorin für Justiz in Berlin und arbeitet dort heute noch als Anwältin

© Mike Wolf

Dieses Lebensgefühl kenne ich auch von meinen Kindern, die sich lange so kleideten, als seien sie Anfang 20. Viele aus ihrer Generation hangeln sich so durch, leben in WGs, verdienen nicht viel. In unserem durchorganisierten Wohlfahrtsstaat kommt so schnell keiner unter die Räder. Das finde ich völlig in Ordnung. Ich war anders in dem Alter. Wir Kriegskinder konnten diese Unbeschwertheit nicht haben.

Ihr Vater war Offizier der Wehrmacht.

Er hatte eine Machtposition. Ein kleines Mädchen, das mit so einem Mann spazieren geht, sieht, wie die Leute vor dem Vater die Hacken zusammenknallen. Da hatte man das Gefühl: Donnerwetter!

War das ein Impuls für Sie, auch Macht haben zu wollen?

Nein, ich habe mehr das Theater genossen. Nach dem Motto: Tolle Vorstellung hier!

Ihre Mutter war Lehrerin. Sie sagten mal, dass Ihnen der Beruf nicht genügt hätte.

Ich habe meine Mutter immer angespornt, Rektorin zu werden. Sie sagte, was viele Lehrer sagen: sie wolle unterrichten. Das ist typisch für sehr viele Frauen, die lieber im zweiten Glied bleiben, wo es vielleicht schön kuschelig ist. Ich finde das nicht richtig: Wenn alle so denken, kriegt man nie eine Leitungsschicht von Frauen zusammen. Dann sitzen oben wieder nur Männer und die machen es so, wie sie es für richtig halten.

In vielen Berufen gerade in der Wirtschaft gibt es wenige Spielräume. Wird nicht als Gleichstellung verbrämt, was in Wahrheit Ausbeutung ist?

Das finde ich nicht. Ich bin ja auf keiner Galeere. Ich halte viele Vorträge zu Gleichstellungsthemen, und da appelliere ich an meine Zuhörer und Zuhörerinnen, ihre Arbeitskraft so gut wie möglich zu verkaufen. Nicht nur finanziell, sondern auch, was die Einwirkungsmöglichkeiten angeht. Deshalb bin ich in die Politik gegangen, als ich gerufen wurde. Ein Leben lang hatte ich mir mehr Einwirkungsmöglichkeiten gewünscht. Als Senatorin hatte ich die.

Sie sagten einmal, dass sich Frauen „einen Vortrag über einen Karriereweg ohne die Erläuterung der Gefühlslage“ nicht vorstellen können.

Immer wieder werde ich von Frauen gefragt: Wie haben Sie sich gefühlt? Noch nie hat ein Mann diese Frage gestellt. Ich habe ja auch junge männliche Zuhörer.

Mittlerweile gibt es viele Frauen in Führungspositionen. Dabei fällt auf, dass sich oftmals ihr Führungsstil nicht groß von Männern unterscheidet.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es, grob gesprochen, zwei Sorten Frauen gibt. Die eine Sorte ist die Königin: Wenn sie oben angekommen ist, ist es für sie gut. Die anderen sind die solidarischen Frauen, die sich als Brückenkopf verstehen, um andere Frauen nachzuziehen.

Ist Angela Merkel eine Königin?

Für eine Königin ist sie zu wenig schillernd. Sie entzieht sich dieser Kategorisierung, denn mit Brückenkopf meine ich eine Sorte Frauen, die ein Emanzipationsbedürfnis hat: wie meine Nachfolgerin als Justizsenatorin in Berlin, Karin Schubert. Sie sorgte dafür, dass die Amtsgerichte alle Präsidentinnen bekamen.

Bei Angela Merkel kann man nicht nur in Gleichstellungsfragen keine Agenda erkennen.

Wo war denn Kohls Agenda? Er hat die letzten Jahre seiner Kanzlerschaft nur verwaltet. Vielleicht ist das ja so, wenn man so lange ein Amt bekleidet. Ich war elf Jahre Senatorin, das ist viel Zeit. Ich hatte im Amt der Justizsenatorin alles gesehen. Dann muss man etwas anderes machen, sonst wird man zum Routinier. Das gilt für eine Kanzlerin genauso. Aber ich sehe das gar nicht so kritisch. Ich glaube, dass sie uns in ihrer Unaufgeregtheit guttut. Man muss sich stattdessen bei den vielen außenpolitischen Krisen eine aufgeregte Persönlichkeit vorstellen!

Sie hätten, um dem Trott zu entkommen, in ein anderes Ressort wechseln können.

Ich fand, es reichte einfach, sich elf Jahre jagen zu lassen. Morgens kam mein Fahrer und sagte: „Lesen Sie nicht die Zeitung!“ Da wusste ich schon wieder: „Oh Gott!“ Das ist alles zwar sehr aufregend, hochinteressant, aber auch ein Dauerdruck.

Die „Zeit“ glaubt, eine Gruppe junger Frauen ausgemacht zu haben, die erfolgreich und so selbstständig sind, dass sich angeblich Männer nicht an sie herantrauen. Das klingt nach einer Schutzbehauptung.

Nein, ich habe es selbst erlebt. Wenn ein Mann nicht den Mumm hat, eine Frau anzusprechen, nur weil sie im Leben vorangekommen ist: Na, was ist von so jemandem schon zu erwarten?

Seit 13 Jahren arbeiten Sie als Anwältin für Erb- und Familienrecht. Wie weit ist es, wenn Sie Ihre Mandantinnen ansehen, mit der Emanzipation gediehen?

Ich habe in meiner Kanzlei sehr selbstbewusste Frauen, die genau wissen, was in ihrem Ehevertrag stehen soll, aber auch andere mit Kindern von 14, 15. Die Kinder sind fast nicht mehr zu Hause. Diese Mütter haben keine Idee, was sie aus ihrem Leben noch machen könnten. Das kann nicht sein. Eine solche Frau hat sich vorher in einer Weise selbst beschränkt, die ich für mich persönlich nicht für zulässig halten würde. Diese Schmalspuren finde ich schlimm. Das Leben ist Frauen und Männern gegeben, um daraus etwas zu machen. Auch, um für andere Menschen etwas zu tun.

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