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Nicht nur für Abenteurer. Outdoorbekleidung ist Alltagsmode geworden, die längst Massen erreicht.

© Felix Kästle/dpa

Maris Hubschmid traut sich was: Der Freak bin ich

In der North-Face-Jacken-Hölle: Warum tragen so viele Großstädter Hightech-Funktionsjacken? Auf dem Weg zur nächsten Polarexpedition? Unsere Autorin auf den Spuren der Outdoorkleidungs-Träger.

Von Maris Hubschmid

Wann geht’s denn los?“, frage ich den nicht mehr ganz jungen Herrn, der im Drogeriemarkt neben mir steht. „Verzeihung?“, antwortet er. „Na, Ihre Expedition!“, sage ich. – „Ich glaube, Sie verwechseln mich.“ – „Nein, ich meine, wegen Ihrer Jacke!“ Der Mann in der schwarzen The-North-Face-Jacke guckt irritiert. „Die Jacke ist ein Geschenk meiner Frau“, sagt er, sieht mich ungläubig an, als verstehe er nicht recht, weshalb er sich erklären soll. Punkt für ihn: Das ist die einzige Rechtfertigung, die ich gelten lasse. „Das entschuldigt alles“, sage ich und lasse ihn in Ruhe.

„Ist das hier ,Versteckte Kamera’? Was willst du?“, schnauzt mich ein gedrungener Endvierziger an, den ich auf dem Bürgersteig angesprochen habe. Ich möchte vorsichtig anmerken: Berlin ist nicht Grönland! Es stimmt, ein Sturmtief hat Schnee und Eis nach Deutschland gebracht. Es ist kalt und ungemütlich draußen. Zeit, die Handschuhe und den Wollmantel aus dem Schrank zu holen – doch noch lange kein Grund, in einem Kokon aus hochtechnologisiertem Plastik herumzulaufen.

In Hamburg ist mehr Wind als in der Bergmannstraße

Das ist, als ginge man im Taucheranzug durch den Nieselregen, mit Atemschutzmaske zur Grillparty, in Raumfahrkleidung auf den Funkturm – lächerlich. Nur leider weit verbreitet. Spaziergang am Landwehrkanal bei blauem Himmel: 16 Outdoorjacken gezählt. U-Bahnfahrt ins Büro: Vier in einem Waggon! „Getestet auf 25 000 Millimeter Wassersäule – resistent auch bei starkem Winddruck“, lese ich von meinem Smartphone ab und halte es dem Mann, der dieses Jack-Wolfskin-Modell ausführt, vor die Nase. „In Hamburg ist überall mehr Wind als hier in der Bergmannstraße“, gebe ich zu bedenken. Warum also die Kleiderwahl? „Ist das hier ein freies Land oder nicht?“, blafft er mich an. Oha, Totschlagargument. Das wird man doch wohl noch tragen dürfen!

Auffällig ist: Die Besitzer von Extrem-Outdoorexpeditionsjacken sehen oft extrem outdoorexpeditionsuntauglich aus. Dralle Damen mit Dackelbeinen. Schmächtige blasse Männlein. Wer 300 Euro für etwas Fleece mit atmungsaktiver Polyurethan-Beschichtung und Unterarmbelüftung ausgibt, seinen Urlaub jedoch lieber in Bad Saarow verbringt, hat offenbar etwas zu kompensieren. Der kauft sich die Illusion, jemand zu sein, der er nicht ist. Es ist wohl eine ähnliche Sehnsucht nach Abenteuer, Wildnis und Grenzerfahrung, oder wenigstens der Vorgabe all dessen, die Menschen dazu bringt, mit Landrovern durch Spielstraßen zu walzen – bloß wegkommen aus der ereignislosen Durchschnittsexistenz. Nur, Landroverfahrer sind schwerer zu erwischen.

Ein Ausflug zu Globetrotter macht immer Spaß

„Ich bin Berufspendler“, sagt ein adrett gekämmter Bahnfahrer Anfang 30. „Sie pendeln aus Sibirien?“, entgegne ich überrascht. – „Brandenburg.“ – „Brandenburg ist rau“, sehe ich ein, „man muss jedem Respekt zollen, der dort überlebt.“ Der junge Mann fühlt sich sichtlich unwohl, sucht Blickkontakt zu anderen Fahrgästen. Wie umgehen mit der Verrückten? „Ich steige dreimal um und warte oft lange an Haltestellen...“. Er mustert mich. „Ich habe eine feste Freundin“, presst er hervor. „Hat die auch so eine Jacke?“, frage ich. – „Ich muss hier aussteigen.“ Weg ist er.

Keiner ist bereit, sich auf eine echte Diskussion mit mir einzulassen. Der Freak bin ich. Oder? Ein mitreisender Student, Bart, Fjällräven-Jacke, hat das Gespräch mitbekommen. Er gehe einfach so ungern in Modeläden, erzählt er, aber ein Ausflug zu Globetrotter mache immer Spaß. „Die haben auch eine Kletterwand.“

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