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Tagesspiegel-Redakteurin Maris Hubschmid ist auch in kulinarischer Hinsicht furchtlos.

© Kitty Kleist-Heinrich

Maris Hubschmid traut sich was: Geld ist geduldig

Zu viel Kleingeld im Portemonnaie ist schwer und nervt. Also beschließt unsere Kolumnistin, es auf einen Schlag auzugeben. Ein Experiment an der Edeka-Kasse.

Von Maris Hubschmid

Als Kind schrieb ich in mein Tagebuch: „Heute haben wir einen grossen Schaz gefunden! Er lag im Gepüsch auf der Hundewiese. Ein Glas voller Pfenige!“ Zusammen zählten wir 7,21 Mark. Die Wiese grenzte an ein ehemaliges Altersheim, irgendwer hatte wohl seinen Notgroschen vergraben. Meine Freundin und ich fühlten uns wie Dagobert Duck.

Bis heute bücke ich mich nach Kupfer. Immer! Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Nur mit dem Ausgeben meiner Schätze ist das so eine Sache. Wenn an der Supermarktkasse die Schlange lang ist und ich ohnehin nicht mit dem Einpacken hinterherkomme, reiche ich lieber hastig einen Schein über das Fließband, statt die Abläufe zu verzögern. Zurück gibt es dann wieder Kleines.

Meine Freundin und ich hatten unseren Fund seinerzeit mühevoll zu Papierrollen verpackt, wie von der Sparkasse verlangt. Wer Kleingeld heute bei der Bundesbank tauscht, muss mit Gebühren rechnen. Händler in Deutschland sind nach einer EU-Verordnung verpflichtet, bis zu 50 Münzen anzunehmen. Ein Kassensturz im Portemonnaie ergibt: 157 Münzen im Wert von 16,48 Euro. Zeit für einen Versuch!

"Zwei-vier-sechs-acht- zehn Cent."

Ich fülle Fünf-Cent-Stücke, Zwei- und Ein-Cent-Exemplare in Plastik- Tütchen. Den Discounter drei Straßen weiter frequentiere ich sonst nie – aber ey, das ist feige! Also doch zum Edeka nebenan. Es ist Samstagabend, der Laden gut besucht. Während ich meinen Korb belade, blicke ich mich um: Kein Nachbar in Sicht. Ich entscheide mich für die rundliche Kassiererin in der Mitte. Die sieht geduldig aus.

Hinter mir stellt sich ein nett aussehender Mittfünfziger mit Brille an. So einen möchte ich nicht gegen mich aufbringen. Lieber den prolligen Unsympathen, der zur Nebenkasse geht. Verprügeln wird mich wohl keiner, es gibt ja Kameras. Als Nächster reiht sich ein junger Mann mit einem Sixpack Bier, einer Tüte Chips und einem Dortmund-Schal bei uns ein. Es ist 19 Uhr 45. Noch 15 Minuten bis zum Anpfiff des Pokalfinales. Er tut mir leid.

Ich habe gerade die Hälfte der Waren in meinen Rucksack gepackt, als die Verkäuferin sagt: „16 Euro 34.“ Ich hole Luft. Und das erste Tütchen hervor. Beginne, ihr die Ein-Cent-Stücke hinzulegen – „ich würde gern ein bisschen was loswerden.“ Zähle paarweise: „Zwei-vier-sechs-acht- zehn Cent.“ Vorsichtig schiele ich hoch. „Legen Sie doch einfach alle hin, ich zähle“, sagt sie ruhig.

Sie verzählt sich, beginnt von vorn

Also kippe ich mein Tütchen aus. 90 mal ein Cent. Deutlich mehr, als sie annehmen müsste. Als Nächstes entleere ich das Tütchen mit den Zwei-Cent-Münzen. Der Herr hinter mir verschwindet, um mit einem Liter Milch wiederzukommen. Die Kassiererin zählt noch. Jetzt verzählt sie sich, beginnt mit den Zwei-Cent-Stücken wieder von vorn. „Ich habe hier auch noch Fünf-Cent-Stücke“, sage ich und winke mit dem dritten Tütchen. Der junge Mann mit dem Dortmund-Schal guckt auf sein Smartphone. Noch elf Minuten bis zum Pokalfinale. Doch er schweigt.

„13 Euro sieben“, attestiert die Verkäuferin endlich. Fehlt noch ein bisschen was. Der Mann hinter mir blickt weiter freundlich. Ich hätte die passenden Münzen, aber wähle die Provokation: Ich zücke einen Schein. 50 Euro. Wer bis eben mitleidig glaubte, ich sei schlichtweg klamm, weiß es nun besser. Die Verkäuferin guckt vom Schein auf den Centhaufen und wieder zurück. „Jetzt bin ich völlig raus“, sagt sie, keine Spur vorwurfsvoll, es klingt entschuldigend.

„Bitte sagen Sie mir einfach, was Sie zurückbekommen.“ Ich drehe mich um. Alles ruhig. Als ich meinen Rucksack nehme, höre ich, wie der Mittfünfziger zu dem Dortmund-Fan sagt: „Gehen Sie mal vor.“

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