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Matt Andrews’ Pan Tau ist unternehmungslustiger und frecher als das Original. Das mag daran liegen, dass er ein britischer Zauberer und Komiker ist.

© ARD/Caligari/Film2020

14 neue Folgen von „Pan Tau“: Die Rückkehr des Melonenmanns

Das Kinderfernsehen macht aus analogen Klassikern digitale 3D-Feuerwerke. Nach Maja oder Wickie ist jetzt Pan Tau an der Reihe.

Warum Regisseure auch im digitalen Zeitalter Filme drehen, anstatt sie aufzunehmen, hat sehr analoge Ursachen: als Soundtracks noch aus dem Orchestergraben kamen, wurden Kameras mit Kurbeln bedient – und zwar so fix, dass die Bilder nicht liefen, sondern durchdrehten. Erst als Elektromotoren das Geschehen auf Leinwand (und später Bildschirm) verlangsamten, kehrte etwas Ruhe ein. Zumindest bis Ende der Achtziger. Da beschleunigten Privatsender ihr Angebot auf Kintopp-Niveau, tauchten es in grelle Farben, kippten Krach drüber und verpassten auch dem Kinderprogramm ein Tempo, als würde wieder von Hand gedreht.

RTL zum Beispiel sorgte mit „Ninja Turtles“ und „Power Rangers“ für eine Hektik im Röhrenfernseher, die epileptische Schnittfeuerwerke wie „Cosmo & Wanda“ zehn Jahre später am Flatscreen sogar noch steigerten. Diese Effekthascherei der dualen Frühphase muss man sich kurz vor Augen halten, um das Remake einer TV-Legende zu verstehen: Pan Tau. Vor 50 Jahren wurde der stumme Mann mit Melone zum ersten ARD-Star jener Serien, die der WDR in Prag produzieren ließ. Und wie jede Fiktion des Märchenduos Jindrich Polák und Ota Hofmann, gelang ihm das mit einem Minimum an Mitteln.

[„Pan Tau“, sieben Doppelfolgen, Sonntag im Ersten um 10 Uhr 10. Und bereits jetzt in der ARD-Mediathek]

Stets seelenruhig auf Seiten der Kleinen und Schwachen, reiste Pan Tau im Spielzeugraumschiff, konnte sich auf Puppengröße schrumpfen und ohnehin alles verzaubern, was dem Glück der Kinder in Originalgestalt im Wege stand. 34 Folgen trickste er die Physik in einem Alltag voller Durchschnittsleute mit Durchschnittssorgen in Durchschnittsleben aus und tat dazu etwas, das bald nach seinem Abschied 1978 undenkbar schien: Pan Tau hielt die Klappe. Das tut er nun auch in der neuen Fassung von Gabriele M. Walther und Marcus Hamann, mit dem die ARD ab Sonntagmorgen TV-Geschichte umschreiben will.

Maskottchen einer englischen Schule

Als Maskottchen der englischen Westpark-Schule steht Pan Tau reglos hinterm Glas einer Vitrine, hext sich bei Bedarf lebensgroß ins Freie und sorgt dort wortlos für 14 Happy-ends seiner jugendlichen Freunde, deren Probleme jenen anno 1970 gar nicht unähnlich sind. Auch zwei Generationen nach dem Debüt des Originals, geht es um ökonomische Sorgen und nervige Eltern, Schulhofrivalität und Freizeitstress, um das schwierige Dasein Heranwachsender am Rande der Pubertät in all seiner Vielfalt – nur dass es im neuen Jahrtausend auch noch um Themen von Diversität über Click-Baiting bis hin zu Klimawandel oder Rassismus geht.

Alles demnach wie im Stop-Motion-Märchen der Rappelkisten-Ära? Natürlich nicht! Zwischen Ursache und Wirkung liegen schließlich zwei, drei Medienrevolutionen, die besonders im Nachwuchsentertainment keinen Stein auf den anderen ließen. Nachdem es Kinderkanäle wie SuperRTL unwiederbringlich auf Krawall gebürstet haben, touren die Endgeräte der digitalen Gegenwartszukunft das Freizeitverhalten der Generationen Y bis Z schließlich höher als jeder CGI-Angriff auf die Helden unserer Kindheit.

Pan Tau, der Problemlöser, Otto Šimánek brauchte keine Worte, um die Zuschauer zu bezaubern.
Pan Tau, der Problemlöser, Otto Šimánek brauchte keine Worte, um die Zuschauer zu bezaubern.

© NDR/WDR

Sahen Fünftklässler nach Daten des Statistischen Bundesamtes vor zehn Jahren 93 Minuten fern, hat sich die Zahl zwar annähernd halbiert; hinzu kommt nun jedoch ein explodierender Konsum sozialer Netzwerke und Videoplattformen auf dem Smartphone, über das fast 100 Prozent der Teenager verfügen und immerhin ein Drittel aller Achtjährigen.

Wer von zwei bis acht Stunden TikTok berauscht „Biene Maja“ oder „Wickie“ im Original sieht, dürfte irritiert sein, mit wie wenig Eindrücken pro Minute ihre Eltern einst bespaßt wurden. Um den Sehgewohnheiten Tribut zu zollen, entfachen die animierten Remakes beider ZDF-Formate seit 2013 deshalb ein dreidimensionales Feuerwerk. Die Storys mögen harmloser sein als zuvor, ihre Ästhetik hingegen ist Hektik pur. Und während der faule Kater Garfield vor 30 Jahren so wendig war wie ein Ozeanriese, wirkt seine Modernisierung von 2008, als sei sie im Vollsprint auf LSD entstanden. Die Wissenschaft warnt seit langem schon vor negativen Folgen permanenter Reizüberflutung.

Erbarmungslose Steigerungslogik und Reizüberflutung

Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa zum Beispiel spricht von „erbarmungsloser Steigerungslogik rasch wechselnder Simulationsflächen“, mit denen selbst der öffentlich-rechtliche KiKa die Zielgruppe überrollt. Von Aufmerksamkeitsdefiziten, sogar Angstzuständen infolge ständigen Konsums zu lauter, zu schriller, zu schneller Bildfolgen ist bei Fachleuten die Rede. Allein: Am Rad des Entertainments lassen sich zwischen Nostalgie und Fortschritt allenfalls Stellschrauben justieren. Ein Job, für den der neue Pan Tau bei aller Kritik an bruchstückhafter Dramaturgie durchaus geeignet scheint.

Nicht nur, dass der britische Hauptdarsteller Matt Andrews die Aura seines tschechischen Vorläufers Otto Šimánek teilt; an der Seite deutscher Episodenstars von Katharina Wackernagel über Armin Rohde bis Bettina Lamprecht, bewegen sich alle jüngeren Charaktere in einer Welt aus Magie und Sachlichkeit, die ihre Realität spielerisch zum Ausdruck bringt. Für WDR-Programmchef Jörg Schönenborn erinnert uns Pan Tau, „an die Kraft von Fantasie und Empathie, verändert unseren Blickwinkel auf die Dinge und eröffnet die Sicht auf Lösungen“. Viel mehr kann Kinderfernsehen im Kreuzfeuer von Youtube und SuperRTL 50 Jahre später nicht leisten.

Jan Freitag

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