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Gefahren für den Journalismus gibt es viele – durch rechtsextreme Gruppierungen ebenso wie durch unreglementierte Internetplattformen.

© Henning Kaiser/dpa

Position von Philipp Welte: Epischer Kampf um die Wahrheit

Warum Presseverlage für Vielfalt, Freiheit und Stabilität unverzichtbar sind. Eine Position von Burda-Vorstand Philipp Welte.

Wenn sich der Sommer in Deutschland seinem Ende entgegenneigt, die Tage kürzer, kälter werden, und morgendliche Nebel schwer über Land und Leuten liegen, wird eine Wahrheit ans Licht kommen: Ist die AfD wirklich die stärkste politische Kraft im Osten Deutschlands? September und Oktober wählen die Menschen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landesparlamente, und wenn aktuelle Umfrage nicht ganz danebenliegen, wird die AfD dort auf etwa 20 Prozent kommen, Kopf an Kopf mit der Union; weit abgeschlagen fristet die SPD im Osten ein Schattendasein.

Von realem Sozialismus bis ganz weit rechts in drei Dekaden – wie geht denn das?

Mit Facebook zum Beispiel. Denn die sozialen Massenmedien sind kommunikative Katapulte dieser populistischen Aufwallungen am rechten Rand des Parteienspektrums. Und keine politische Partei oder Gruppierung beherrscht die Mechanismen von Facebook so gut wie die AfD. Eine Untersuchung der Social-Media-Analysefirma Alto hat kurz vor der Europawahl gezeigt, dass 47 Prozent der politischen Diskussion in den sozialen Netzwerken thematisch mit der AfD oder rechten Themen zusammenhingen, und während die AfD auf Facebook fast eine halbe Million Follower hat, dümpeln die anderen Parteien mehr oder minder unter „ferner liefen“ dahin. Die Quittung kam mit der Europawahl im Mai: Rekordwerte für die AfD in Deutschland, und in Frankreich, Italien und Ungarn wurden rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien sogar zur stärksten Kraft.

Was für die Demokratie bedrohlich ist

Bedrohlich für eine gesunde Demokratie ist nicht, dass es politische Alternativen im rechtskonservativen Spektrum gibt. Was mir Sorgen macht, ist das demagogische Zusammenwirken einer politischen Bewegung, die gezielt mit den Ängsten der Menschen spielt, und eines US-amerikanischen Konzerns, der jede Verantwortung für die von ihm verbreiteten Inhalte kategorisch ablehnt. Im Gegenteil: Handlungsmaxime für Facebook ist eben gerade nicht die Wahrheit im Sinne einer objektiven Berichterstattung, sondern schlicht das Engagement, die Wirkung, die ein Inhalt auf der Plattform erzeugt – weil das direkt und unmittelbar mit der Monetarisierung korreliert. Jede kollektive Dauererregung im Netz, auch wenn sie nicht einmal Spurenelemente von Wirklichkeit transportiert, ist perfekt für das Geschäftsmodell der sozialen Massenmedien.

Damit werden sie zu Gerüchte-Schleudern, zum Nährboden eben auch für Meinungsmache und Desinformation. In letzter perfekter wie perfider Konsequenz erhalten unterschiedliche Nutzer auf der Basis der Daten, die Facebook und andere Netzwerke über uns alle speichern, unterschiedliche Nachrichten, und sie unterliegen keinerlei Kontrolle im öffentlichen Raum. Das ebnet den Weg für Manipulation in unserer Demokratie. Wenn Fakten durch Algorithmen individuell relativiert werden: Wie können demokratische Legitimationsprozesse dann überhaupt noch funktionieren? Wie funktioniert die objektive, unabhängige Willensbildung, die das Fundament jeder Demokratie ist?

Philipp Welte ist Vorstand Medienmarken National bei Hubert Burda Medien.
Philipp Welte ist Vorstand Medienmarken National bei Hubert Burda Medien.

© Promo

Länger als eine Dekade steht die Politik nun staunend vor dem Phänomen einer sich immer härter zementierenden digitalen Infrastruktur, beherrscht von einer Handvoll US-amerikanischer Technologiekonzerne, ohne jemals über Regulierung nachgedacht zu haben. Und plötzlich sieht sich unser europäisches Wertesystem, unsere Demokratie konfrontiert mit einer anschwellenden Flut an manipulativen Inhalten, die über die sozialen Medien verbreitet und konsumiert werden. Allen voran Facebook, längst das größte Medienunternehmen der Welt: In den USA beziehen 39 Prozent der Menschen ihre Nachrichten allein über Facebook, und heute schon nutzen ein Viertel der Deutschen Facebook als Nachrichtenquelle.

Bedingungslose Suche nach der Wahrheit

Wir stehen tatsächlich mitten in einem epischen Kampf, in dem es um die Wahrheit geht, um die wirklich freie Meinungsbildung und damit auch um den freien Journalismus, der ein Kraftzentrum jeder wahren Demokratie ist. Verlage stehen für verlässliche Inhalte im Sinne des Presserechts und für die bedingungslose Suche nach der Wahrheit. Allein in Deutschland arbeiten zwei Drittel der 36 000 fest angestellten Redakteurinnen und Redakteure für die Verlage. Aber die freie Presse ist auch in Europa keine Selbstverständlichkeit mehr, das Überleben ist für uns Verlage keine Selbstverständlichkeit mehr, denn das marktwirtschaftliche Fundament für freien und unabhängigen Journalismus erodiert mehr und mehr, ausgehöhlt durch einen nie für möglich gehaltenen Siegeszug US-amerikanischer Technologiekonzerne, die die Medienmärkte des 21. Jahrhunderts aggressiv okkupiert haben.

Das ist ein Dilemma von historischer Dimension. Wir Verlage sind Garanten für Vielfalt, Freiheit und Stabilität in unserer pluralistischen Demokratie. Und wir haben uns in Ziffer 1 des Pressekodex zur Achtung der Wahrheit, zur Wahrung der Menschenwürde und zur wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit verpflichtet. Aber gerade jetzt, wo manipulative Inhalte, massenhaft verbreitet von neuen Medienunternehmen wie Facebook, zu einer Gefahr für unsere Demokratie zu werden drohen, erodiert unsere wirtschaftliche Basis.

Unsere Aufgabe und unser Auftrag ist es, eine Zukunft für den Journalismus der Verlage unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts zu schaffen. Dafür kämpfen wir. Denn der Tag, an dem wir aufhören, für die Freiheit der Presse und damit für die Freiheit an sich zu kämpfen, ist der Tag, an dem die Freiheit stirbt.

Philipp Welte ist Vorstand Medienmarken National bei Hubert Burda Medien.

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