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Traditionelle Sendung, junges Team: Tobias Schlegl (v.l.), Katty Salié und Jo Schück moderieren die Kultursendung „Aspekte“ am Freitagabend im ZDF.

© ZDF/Jürgen Detmers

50 Jahre "Aspekte" im ZDF: Feuilleton im Fernsehen

Die ZDF-Kultursendung „Aspekte“ feiert ihr erstes halbes Jahrhundert. Doch der Unterschied zu den kuscheligen Talks im Dritten wird nicht immer deutlich.

Vor Kurzem war der Staatsrechtler Udo Di Fabio Interview-Gast in der ZDF-Kultursendung „Aspekte“. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht hatte sein neues Buch „Schwankender Westen. Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss“ im Gepäck, und man hätte als Zuschauer schon gern ein bisschen mehr gewusst als das, was auch ein schneller Blick über die einzelnen Kapitel und Inhaltsangaben des Buches erfasst hätte, Interviewerin Katty Salié aber offenbar nicht in Erfahrung bringen wollte. Oder konnte. Oder vielleicht auch nicht muss, weil es in einer Kultursendung im deutschen Fernsehen nicht mehr erwartet wird. Schnitt. Marius Müller-Westernhagen kommt in die Sendung. „Live bei uns im Publikum!“

Feuilleton im Fernsehen, wo gab es das denn?

„Aspekte“ im Herbst 2015. Wo soll man anfangen, wenn es 50 Jahre „Aspekte“ zu würdigen gilt? Nun ist die Kritik am Kultur- oder besser am Kulturmagazin-Begriff des öffentlich-rechtlichen Fernsehens fast so alt wie die Kultursendungen von ZDF und ARD selber. Früher war sicher nicht alles besser, aber es macht schon ein bisschen wehmütig, die alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen, die das ZDF in einem Zusammenschnitt zum „Aspekte“-Jubiläum am Freitagabend anbietet.

Feuilleton im Fernsehen, wo gab es das denn? So die Stimmung vor der ersten Sendung am 17. Oktober 1965. Und dann: Ein Mann, ein Wort, eine graue Wand, „Aspekte“-Gründer Walther Schmieding, der die Sendung unter dem Titel „Kulturbericht“ startete, mit klarer und unaufgeregter Stimme. Es folgen illustre Gäste-Namen in den 60ern und 70ern: Walter Jens, Heinrich Böll, Günter Grass, Peter Zadek, Max Frisch, Ernst Jandl liest, Anti-Theater mit Rainer Werner Fassbinder, ein Spiel von Karl Heinz Stockhausen, der dem ZDF-Zuschauer Schräges, Sperriges zutraut. Schmiedings Credo seiner Sendung: Kultur als Lebensmittel, nichts Elitäres.

"Eine Institution mit Vorbildcharakter"

Wonach schmeckt das Lebensmittel, nach all den Metamorphosen, die „Aspekte“ in den vergangenen Jahrzehnten aushalten musste: die Wandlung vom eher konservativen Kunstverständnis zum politisierten Magazin mit Reinhart Hoffmeister in den 1970ern, der ab 1978 mit Redaktionsleiter Dieter Schwarzenau erfolgte Umbau zu einer publikumsfreundlicheren Sendung, nicht zu vergessen die Idee des „Literarischen Quartetts“, danach der Flaneur Johannes Willms, der die Wende-Zeit des kulturellen Umbruchs in West und Ost begleitete. Manfred Eichel und Luzia Braun in den 1990ern. 2000 der Umzug nach Berlin mit „Aspekte“-Chef Wolfgang Herles, dahin, wo die Musik spielt, schließlich, nach Herles Abtritt 2011, eine radikale Moderatoren-Verjüngung mit Katty Salié, Tobias Schlegl und Jo Schück, allesamt Gesichter des Musikfernsehens, vor Live-Publikum.

In der deutschen Fernsehlandschaft sei „Aspekte“ eine Institution mit Vorbildcharakter, sagt ZDF-Intendant Thomas Bellut. Die Sendung habe sich „immer wieder erfolgreich neu erfunden und damit einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen Grundversorgung durch das ZDF „auf eine stets moderne, frische und zeitgemäße Weise“ geleistet.

Schärfung von Urteilsfähigkeit? Viel zu selten

So frisch und zeitgemäß manchmal, dass einem beim Zappen am Freitagabend der Unterschied zu den kuscheligen Talkshows in den Dritten Programmen nicht so recht einleuchten will. Nach Di Fabio in der Sendung neulich ging es über zum norwegischen Krimiautor Jo Nesbø, 23 Millionen Leser können sich nicht irren, und, als Höhepunkt der Sendung, zum Interview mit Westernhagen. Kulturvermittlung, sprich Entwicklung, Schärfung von Urteilsfähigkeit? Viel zu selten. Als der Literaturnobelpreis an Swetlana Alexijewitsch vergeben wurde, brachte „Aspekte“ – mit dem Verweis auf das Online-Angebot und ein Alexijewitsch-Stück dort – ein Porträt von Kat Kaufmann, für ihr Debüt „Superposition“, Trägerin des „Aspekte“-Literaturpreises 2015.

Es muss nicht elitär sein, wenn etwas anders ist als das. Volker Weidemann hat das bewiesen, mit seinem neuen „Literarischen Quartett“. Ein bisschen von dem Widerspruchsgeist, der diesen ZDF-Literatur-Talk mit Maxim Biller und Christine Westermann beseelt, wäre dem ZDF-Kulturmagazin für die nächsten 50 Jahre zu wünschen. Etwas von dem Spirit, den Wolfgang Herles meint, wenn er von „Aspekte“ als kleinem gallischen Dorf spricht, umgeben von römischen Quotenjunkies, dem Außenseitertum. Und vielleicht auch mal eine frühere Sendezeit, gemäß dem „kulturellen Engagement“ seines Senders, das ZDF-Intendant Bellut gerne so hervorhebt.

- „Aspekte“, Freitag, ZDF, 23 Uhr; „Vorwärts mit Kultur! Rückblick auf 50 Jahre Aspekte“, 23 Uhr 45

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