zum Hauptinhalt
Die Zeitungen im Blick. Seit 60 Jahren wacht der Presserat über die Einhaltung des Pressekodex.

© Jens Kalaene/dpa

60 Jahre Presserat: Pflichtfach Ethik

Selbstkontrolle statt staatlicher Lenkung: Der Deutsche Presserat feiert 60-jähriges Bestehen. Und steht vor immer neuen Herausforderungen.

Drei Rügen hat der Presserat in seiner September-Sitzung ausgesprochen. Zwei Medien hatten nach dem Amoklauf im Olympia-Einkaufzentrum in München Opferbilder abgedruckt beziehungsweise im Internet publiziert, und nach dem Terrorakt in Istanbul waren es wieder einmal Fotos von verletzten Kindern, die den Pressekodex verletzten, weil die Opfer auf den Bildern nicht unkenntlich gemacht wurden. Seit 60 Jahren beschäftigt sich der Presserat mit Beschwerden über die Arbeit von Zeitungen und Zeitschriften. Viermal jährlich kommt die am 20. November 1956 gegründete Selbstkontrolleinrichtung zusammen und entscheidet, ob eine Beschwerde verworfen wird oder ob gegen das betroffene Medium ein Hinweis, eine Missbilligung oder eine Rüge ausgesprochen wird. Auf 35 Rügen kam der Rat im Vorjahr. Am 1. Dezember wird Bundespräsident Joachim Gauck den Presserat bei einem Festakt würdigen, das Thema der anschließenden Diskussionsrunde lautet „Journalismus in Zeiten von Amokläufen, Terroranschlägen und Krisenlagen“.

Zwangsaktionen sind nicht vorgesehen

Das schwerste Geschütz, das der Presserat auffahren kann, ist die öffentliche Rüge. 2015 gab es 2358 Beschwerden und 35 Rügen. Es kann jedoch keine Zeitung oder Zeitschrift dazu gezwungen werden kann, diese tatsächlich abzudrucken. Der Hamburger Journalistikprofessor Horst Pöttker sieht darin jedoch kein Problem. „Zwangsaktionen sind hier nicht angebracht, dafür haben wir Gerichte“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Werden Persönlichkeitsrechte verletzt, können Entschädigungen juristisch erstritten werden, und bei Beleidigungen gilt sogar das Strafrecht. Der Vorwurf, der Presserat sei ein zahnloser Tiger, greift nach Pöttkers Meinung zudem auch deshalb nicht, weil damit suggeriert wird, dass es ein stärkeres Instrument geben müsste. Doch genau das wollten die Gründer des Presserates eben nicht.

Als sich vor 60 Jahren fünf Zeitungsverleger und fünf Journalisten zusammentaten, um das Selbstkontrollgremium ins Leben zu rufen, ging es neben der Verteidigung der Pressefreiheit und der Einhaltung presseethischer Grundstandards aber auch darum, eine staatliche Medienaufsicht zu verhindern. Die Regierung von Kanzler Konrad Adenauer plante ein entsprechendes Bundespressegesetz. Ein Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 1952 sah die Einrichtung von Presseausschüssen vor. Sie sollten für die „innere Sauberkeit der Presse sorgen und die Initiative zur Aussonderung der unlauteren Elemente ergreifen“. Das klang vielen dann doch zu sehr nach staatlicher Presselenkung aus der Zeit des Nationalsozialismus. Stattdessen entstand nach britischem Vorbild der Presserat als freiwillige Instanz der Selbstordnung ohne Exekutivbefugnisse. Laut Geschäftsordnung, die erst drei Jahre später verabschiedet wurde, kann der Rat weder Strafen, Bußen oder Berufsverbote verhängen noch die Beachtung seiner Entschlüsse erzwingen. Heute wird der Deutsche Presserat von den Verlegerverbänden BDZV und VDZ sowie den Journalistenorganisationen DJV und dju getragen. Zu den offenen Fragen gehört, ob der Presserat künftig auch für reine Online-Medien und den Rundfunk zuständig sein soll.

Was der Rat jedoch schon jetzt kann und was gerade in den letzten Jahren verstärkt von ihm erwartet wird, sei eine Orientierungshilfe für die Branche, hat Lutz Tillmanns beobachtet, der seit 1992 als Geschäftsführer des Rates tätig ist. Vor allem gehe es darum, dass sich der Rat in aktuellen Fragen positioniert. Dabei komme es nicht darauf an, möglichst schnell eine ethische Bewertung vorzunehmen. „Man muss sich dafür auch die nötige Zeit lassen, das ist immer das Ergebnis eines Diskurses. Nicht Schnelligkeit ist oberstes Ziel, sondern Nachhaltigkeit“, sagte Tillmanns der Deutschen Presse-Agentur.

Der Pressekodex: Nicht in Stein gemeißelt

Was dies konkret bedeutet, zeigt die Diskussion um die Richtlinie 12.1 des Pressekodex. Sie sieht vor, dass die Nationalität von Straftätern nur dann genannt werden soll, wenn dies für das Verständnis des Vorgangs nötig ist. Mehrere Zeitungen drängen nach den Vorkommnissen zu Silvester in Köln auf eine Lockerung des Passus, die „Sächsische Zeitung“ nennt inzwischen grundsätzlich die Nationalität, bei Deutschen ebenso wie bei Ausländern. Wann der Presserat sich dazu abschließend äußert, kann Tillmanns nicht sagen, der Festakt zum Gründungsjubiläum wird es vermutlich nicht werden.

(Hinweis der Redaktion: Der rechtspolitische Korrespondent des Tagesspiegel, Jost Müller-Neuhof, wurde beim DJV-Verbandstag Anfang November in Bonn als Journalisten-Vertreter in den Presserat berufen)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false