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In der DDR-Propaganda wurden sie als „Friedenssoldaten“ präsentiert. An der Mauer mussten sie den Schießbefehl befolgen. Eine neue WDR-Reihe erzählt Geschichte in fiktionaler Form über die inneren Konflikte der Menschen in jener Zeit.

© WDR/dpa/Manfred Uhlenhut

Abkehr vom Zeitzeugen: TV-Geschichten über die Geschichte

Fiktionalisierte Geschichte statt historische Schlüsselszenen: die WDR-Reihe „Was geht mich das an?“ und neue Tendenzen im Geschichts-Fernsehen.

Zeitgeschichte im Fernsehen, einmal anders: Ein junger Mann sitzt an einem Tisch in einem fast leeren Raum. Er rutscht unruhig hin und her, reibt sich nervös die Hände. „Jeder hilft jedem, und ich helfe meinem Land“, sagt er direkt in die Kamera. Aber er sieht nicht so aus, als würde ihn dieses Helfen besonders glücklich machen. Dann blickt er bei gedämpftem Licht schweigend zur Seite, man hört seine Stimme aus dem Off: „Ich war Grenzsoldat in der DDR. Ich habe auf einen Menschen geschossen.“

Das bis vor Kurzem noch von Guido Knopp geprägte Zeitgeschichts-Fernsehen arbeitet gerne mit Schauspielern. Es ist zum Standard geworden, historische Szenen nachzustellen („Reenactment“), um damit Atmosphäre und Spannung zu erzeugen. Die meisten Inszenierungen geraten allerdings ziemlich plump, und die properen Bilder werden der Vergangenheit kaum gerecht.

Entscheidungen des Gewissens

Der WDR knüpft an den Trend der Fiktionalisierung an und probiert zugleich etwas Ungewöhnliches. In dem Vierteiler „Was geht mich das an?“ reproduzieren die fiktionalen Elemente nicht historische Schlüsselszenen, sondern sie erzählen von den inneren Konflikten der Menschen in jener Zeit. Die Fragen sollen sich zugleich an die heutige Generation richten, die vor anderen, aber ähnlichen Gewissensentscheidungen steht. Michael Köppel, Produzent der Reihe, nennt ein Beispiel: „Soll ich als Banker dem Rentner das riskante Finanzprodukt verkaufen, weil es mein Arbeitgeber verlangt?“

Die junge Regisseurin Ana Zirner hat für alle vier Folgen jeweils eine Art Ein-Personen-Stück inszeniert, in denen sich die Figuren vor dem Publikum (und vor sich selbst) zu erklären versuchen. Ansprechende Inszenierungen sind das, in der die Kamera auch mal auf den schweigenden Gesichtern verharrt und in der sich das reduzierte, die jeweilige Epoche andeutende Szenenbild der wachsenden Unruhe der Figuren nach und nach anpasst.

„Was geht mich das an?“ diente bei der Tagung „Bilderströme“ der Dokumentarfilminitiative in der vergangenen Woche in Köln als aktuelles Beispiel für einen Trend: die Abkehr vom Zeitzeugen. In der WDR-Reihe übernehmen vor allem die fiktiven Figuren in den Spielszenen deren Funktion, abstrakte historische Ereignisse durch persönliche Erinnerungen zu unterfüttern. Neuere Produktionen gehen damit nur noch sparsam um.

Selbst bei ZDFinfo haben die Zeitzeugen ausgedient, erklärte der Kölner Autor Christoph Weber („Akte D“). Nach der Ära Knopp, in der Zeitzeugen Teil einer pathetisch-gefühligen Erzählweise waren und selten hinterfragt wurden, bemüht man sich nun wieder verstärkt um Substanz. Wie in der ARD-Reihe „Akte D“ oder im Zweiteiler „Schatten des Krieges“ (RBB/NDR), in dem Fotografien und anderes Bildmaterial aus dem Zweiten Weltkrieg eingeordnet werden. „Die Knopp-Fesseln sind abgeschüttelt“, sagte der Medienjournalist und Dokumentarfilm-Kenner Fritz Wolf in Köln. „Man kann sich wieder frei bewegen.“

Von der Mauer bis zum Kosovo-Krieg

In der WDR-Reihe sind die bühnenhaften Monologe in einzelnen Splittern über den ganzen Film verteilt, wechseln sich ab mit Archivaufnahmen und Historikerinterviews. Es werden dabei keine konkreten, realen Fälle nacherzählt, die Figuren sind historische „Kondensate“ (WDR-Redakteurin Lena Brochhagen), anonyme Durchschnittstypen also wie der Grenzsoldat (Pit Bukowski) im ersten Teil („Die Mauer“) oder wie die Mitläuferin (Judith Neumann) in der vierten Folge („Die NS-Zeit“/26. Oktober). Weitere Themen sind der RAF-Terrorismus und der erste Auslands-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo-Krieg.

Insbesondere im letzten Teil gerät der didaktische Anspruch der Reihe etwas aufdringlich. Da werden der Antisemitismus und die Verführungsstrategien der Nazis durch die Montage mit Bildern aus der Gegenwart immer wieder in direkten Bezug gesetzt zu den Angriffen auf Flüchtlinge, zu Rechtsextremismus und Pegida – als könne das Publikum keine eigenen Schlüsse ziehen.

Halbstündige Fassungen der einzelnen Folgen werden auch im WDR-Schulfernsehen gezeigt. Außerdem bietet der Sender Lehrmaterial zu den vier Themen an. Dass die Reihe für eine jüngere Zielgruppe gedacht ist, erkennt man schon an dem Bemühen, einen eigenen ästhetischen Stil zu kreieren, „damit man sich auch optisch daran erinnert“ (Motion Designer Michael Wende). Historisches Bildmaterial flackert in zahlreich aufploppenden Kästchen auf und löst sich in Unschärfe auf, was flott und spielerisch, aber auch etwas beliebig und selbstverliebt wirkt. Überzeugender dagegen, dass die im Zeitgeschichts-TV übliche Fanfarenmusik durch den Techno-Sound von Occupanther ersetzt wurde.

„Was geht mich das an?“; WDR, vier Teile, jeweils mittwochs, 22 Uhr 55

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