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Agententhriller auf Sky One/Wow: Harry Bond mit Hornbrille

Das Serienremake von „Die Ipcress-Datei" sieht mehr nach 1963 aus als das Original und ist auch sonst ziemlich oberflächenverliebt. Macht aber nichts.

Die Hornbrille, meist schwarzes Markenzeichen popkultureller Ikonen von Austin Powers bis Jerry Lewis: auf welcher Film- und Fernsehnase sie buchdeckelgroß lastet – ihr Nutzen geht schon deshalb weit über die Sichtoptimierung hinaus. Fiktional ist sie nämlich gemeinhin aus Fensterglas. Das Modell, das zu Beginn der Sky-Serie „The Ipcress File“ auf dem Nachttisch liegt, folgt also ebenfalls keiner medizinischen, sondern dramaturgischen Idee. Wer dieses Ding braucht, dem mangelt es generell an Durchblick. Das gilt augenscheinlich auch für diesen Träger.

Er heißt Harry Palmer, schmuggelt Whisky, Kaviar, Schokolade durch die neu erbaute Berliner Mauer und landet dafür zwar im Militärgefängnis. Weil wuchtige Brillen cineastisch gedeutet aber nicht nur für Ungeschick stehen, sondern auch Intelligenzbestien, wird das Londoner Mathegenie aus proletarischem Haushalt vom britischen Geheimdienst angeheuert. Mit Hilfe seiner Unterweltkontakte soll er einen Atomforscher samt Plan zum Bau der Neutronenbombe aus russischer Hand befreien.

[„Die Ipcress-Datei“ (14. August, Sky One/Wow ]

Klingt nach Spionagestoff aus Zeiten, als ein 007 nur sein Brusthaar lüften musste, um erst Models, dann Superschurken zu erlegen. Schließlich macht Danny Boyles Stamm-Autor John Hodge („Trainspotting“) hier einen Klassiker zur Fernsehserie, der dem berühmtesten aller Kinoagenten drei Jahre nach dessen Jagd auf Dr. No Konkurrenz machen sollte. Weniger Action, mehr Bürokratie, eher Netzwerke als Superschurken – nach Len Deightons gleichnamiger Romanvorlage war „Die Ipcress-Datei“ der realistische Gegenwurf zum fantastischen James Bond. Theoretisch zumindest.

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Denn praktisch sah der Hauptdarsteller Michael Caine mit seiner schwarzen Hornbrille zwar argloser für Weib und Feind aus als Sean Connery; sein Kriegsveteran Palmer allerdings schaffte es auch ohne Bonds Berufspraxis, den nuklearen Systemkonflikt zu entschärfen und erotisch erfolgreich zu sein. Dass sich die beiden Spione im Auftrag der Krone trotz Palmers Musikvorliebe (Mozart), Akzent (Cockney) und Haltung (links) nicht ganz unähnlich waren, lag da womöglich am Produzenten.

Die Sixties originaler aussehen lassen als das Original

Der hieß Harry Saltzman, baute den Bond-Kosmos seinerzeit zur heutigen Milliardenmarke auf und machte sich somit selber Konkurrenz – ein Lebenswerk, das seine Kinder nun fortsetzen. Fast 60 Jahre nach der preisgekrönten Filmgeburt ersteht die nüchterne 007-Kopie Palmer unter der Leitung von Steven und Hilary Saltzman auf und sieht auch fast so aus wie damals. Mehr noch: Während Harrys Brille so dick ist wie 1965, versucht Regisseur James Watkins offenbar, die Sixties originaler aussehen zu lassen als das Original.

Wenn „Peaky Blinders“-Star Joe Cole als Spion wider Willen, der seiner Haftstrafe in der fiktiven MI6-Abteilung WOOC(P) entgeht, zwischen die kalten Kriegsfronten gerät, wirkt es häufig, als habe Produktionsdesigner James Price seine Sets in hektoliterweise Technicolor getaucht. Alles am sechsteiligen Remake ist artifiziell überfrachtet. Von London über Beirut bis Rom glänzen viele Kulissen in einer musealen Retrostilistik, als hätten sie die „Mad Men“ zur Werbeclipshow umgestaltet. Und dann trägt Palmers schöne Kollegin Jean (Lucy Boynton) auch noch in jeder Szene ein wechselnd emblematisches Kostüm zur perfekten Steckfrisur.

Nostalgisches Männerentertainment mit noch schönerem Personal

Verglichen damit erinnern Michael Caines Sechziger in ihrer Tristesse eher an Margaret Thatchers Siebziger – und werfen die Frage auf, warum ITV sein nostalgisches Männerentertainment aus Zeiten, da Männer noch Kerle waren und Frauen nur Accessoires, ausgerechnet jetzt mit noch schönerem Personal ästhetisch wie inhaltlich aufpolstert. Vielleicht ja, weil Putin den Kalten Krieg parallel aus der warmen Stube des postheroischen Zeitalters ins Freie zerrt. Vielleicht auch, weil der Kampf Gut gegen Böse voll rückgratloser Doppelagenten und Krisengewinnler viel zu aktuell ist fürs cineastische Kellerregal.

Ganz sicher zudem, weil Amy Whinehouse, Mod-Fashion und Historienmehrteiler regelmäßig den Sog dieser Epoche eleganter Selbstbefreiung zeigen. Und zu guter Letzt: weil Showrunner Hodge die einst schon liberale Haltung der „Ipcress-Datei“ mit klarer Kante gegen Rassismus, Misogynie, Machismo gen Moderne lenkt. „Für Männer ist es viel einfacher zu lügen“, sagt Jean, nachdem ihr Verlobter sie wegen seiner Alleinernährerattitüde verlassen hat, „alles ist so viel einfacher für euch“. Okay, bis auf die Brillengestelle natürlich.

Jan Freitag

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