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"Rote Rosen", eine Soap am Nachmittag. Sieht so der öffentlich-rechtliche Auftrag aus?

© dpa

Akademische Abrechnung: NDR-Mitarbeiterin kritisiert Leistungen und Finanzierung von ARD und ZDF

Anna Terschüren arbeitet in der Verwaltung des Norddeutschen Rundfunks. Nebenberuflich hat sie eine Dissertation über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschrieben. Eine Analyse und Anklage zugleich.

Anna Terschüren scheint keine ängstliche Natur zu sein. Wie anders hätte die Mitarbeiterin in der Verwaltung des Norddeutschen Rundfunks (NDR) nebenher eine Dissertation zur „Reform der Rundfunkfinanzierung in Deutschland“ verfassen und ihr diesen Tenor verpassen können: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist überfinanziert, er erfüllt nicht seinen vorgegebenen Auftrag, der neue Rundfunkbeitrag taugt nicht als Finanzierungsmethode.

Terschüren hatte ihre Dissertation an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität Ilmenau eingereicht, sie hat sie Anfang Mai verteidigt, die Bestnote summa cum laude bekommen, und sie hat via Twitter verlautbart, dass die mehr als 400 Seiten starke Arbeit jetzt online lesbar ist. Schon als erste Tendenzen der Dissertation bekannt wurden, hat der NDR abgewiegelt, die Forschungsergebnisse heruntermoderiert und sich hinter der Bemerkung verschanzt, Anna Terschüren sei nicht mit dem Procedere des Rundfunkbeitrages befasst, wie der „Spiegel“ über die Reaktionen schrieb.
Nicht zu dementieren (zu denunzieren) ist, dass die Arbeit aus dem Inneren des Walfisches kommt. Was zuvor detailliert analysiert worden ist, wird in der Zusammenfassung der Ergebnisse zu einer scharfen Abrechnung mit den Leistungen, dem Zustand und der Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Warum das auch so ist, leitet Terschüren aus den jährlich 7,5 Milliarden Euro Einnahmen aus Rundfunkgebühren/seit Januar Rundfunkbeiträgen her: „Den Rundfunkanstalten stehen Mittel über das Funktionsnotwendige zur Verfügung.“ Bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) würden bislang zu hohe Anmeldungen eingereicht mit der Folge, dass die Anstalten „im Ergebnis allem Anschein nach überfinanziert waren“. Es müsste künftig erfolgreicher sichergestellt werden können, „dass die Rundfunkanstalten lediglich die zur Auftragserfüllung erforderlichen Mittel erhielten“.
Entsprechend müsste der Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender konkretisiert werden: ARD, ZDF und Deutschlandradio machen dann nur noch Fernsehen und Hörfunk, die sich in Anspruch und Qualität unzweideutig von den Programmen der privaten Veranstalter absetzen würden. Insbesondere Sendungen aus Kultur und Bildung fänden nur in den Rand- und Nachtzeiten der Vollprogramme ihren Platz. Härter fällt Terschüren Kritik noch beim Hörfunk aus, hier „wird der Funktionsauftrag sehr deutlich verfehlt“. Zum weitaus größten Teil entsprächen die Programme denen des Privatfunks und leisteten keinen wichtigen Beitrag zur freien Meinungs- und Willensbildung. „Daher ist die Hörfunkordnung dringend zu überarbeiten“, urteilt Anna Terschüren.
Mindestens so kritisch sieht sie die Umstellung des Finanzierungsmodells von der gerätebezogenen Rundfunkgebühr Anfang 2013 hin zum Rundfunkbeitrag je Haushalt und Betriebsstätte. Mit dem Systemwechsel wird ihrer Meinung die Allgemeinheit unisono, nicht jedoch eine abgrenzbare Nutzergruppe. Der bisherige individuelle Verzicht auf öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird jetzt negiert, es gibt kein Ausweichen mehr von der Abgabenpflicht. Auch richte sich der Rundfunkbetrag von 17,98 Euro im Montag nicht nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern nach der vermeintlichen potenziellen Rundfunknutzung. Die Abgabe verstößt nach Terschürens Meinung aufgrund seiner verfassungswidrig Ausgestaltung zudem gegen die allgemeine Handlungsfreiheit.
Eine Reform der Reform muss her, schreibt Terschüren. Sie plädiert für eine Steuerfinanzierung. Damit würde die jeweilige wirtschaftliche Leitungsfähigkeit Bemessungsgrundlage, das Regelwerk zur Befreiung oder Staffelung könnte entfallen, ebenso der Aufwand bei den Anstalten wie auch der Beitragsservice.
Ob der Walfisch bemerkt, was da in seinem Inneren analysiert und aus der Analyse in einen diskussionswürdigen Vorschlag übersetzt worden ist?

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