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Berauscht: Bei der traditionellen Bierfass-Party kommen sich Pädagogin Andrea Jahn (Ursula Karven) und ihr Schützling Niklas (Sergej Moya) sehr nah. Foto: NDR

© NDR/Sandra Hoever

ALTER SCHÜTZT VOR LIEBE NICHT: Im Zauberbann

„Stille Post“ erzählt von einer verbotenen Liebe zwischen einem Schüler und seiner Lehrerin.

Ein Film wie „Stille Post“, in dem es um den Skandal „Schüler liebt Lehrerin“ geht, funktioniert nur, wenn er als erotischer Film angelegt ist. Die ungeheuerliche Fähigkeit der erotischen Vibration, sich urplötzlich und ungefragt dort zu ereignen, wo sie überhaupt nicht hingehört, also etwa an einem Gymnasium zwischen Zögling und Pädagogin, muss glaubhaft das Feld beherrschen – dann kommt der Rest von alleine. Der Autor von „Stille Post“ (Thomas Oliver Walendy) sowie der Regisseur (Matthias Tiefenbacher) haben das offenbar genau gewusst und ihrem Film die entsprechende Atmosphäre unterlegt. Er lebt von Blicken und von den fernsehtypischen Nahaufnahmen (Kamera: Holly Fink), und wenn der 16-jährige Gymnasiast Niklas (Sergej Moya) zum ersten Mal der reizvollen Lehrerin Andrea Jahn (Ursula Karven) hinterherguckt, ist der Zuschauer sofort drin im Drama. Und wenn die Lehrerin sich umdreht und jenen Blick erwidert, kommt er auch nicht wieder raus. Die beiden „gucken“ ja nicht nur, sie erzählen einander mit ihren Blicken unerhörte Geschichten über ihr Gefühl, wobei die Frau viel Moral hineinmischt und dennoch eine Verlockung bleibt; wobei der Junge sein flehentliches Verlangen durch pubertäre Selbstironie zu brechen versucht und dennoch ein hoffnungslos/hoffnungsvoll Liebender bleibt. So geht das manche Schulstunde und eine Klassenfahrt hindurch und man interessiert sich als Zuschauer ganz wie die Protagonisten weder für Biologie noch für das Landschulheim, sondern einzig für die erwähnte Vibration. Was die erschafft, ist ein Zauberbann.

Es gibt eine sprechende Szene, die verrät, dass auch die prinzipienstarke Lehrerin in diesem Bann gefangen ist. Niklas, der für den Führerschein trainiert, wartet auf Andrea, die in derselben Fahrschule „nachsitzen“ muss, denn sie hat 17 Strafpunkte für zu schnelles Fahren. Niklas fragt, wie viele Punkte es denn seien, und sie sagt: sieben. Anderntags reibt er ihr hin, dass sie eine Schwindlerin sei und dass er wisse, wie viele Punkte sie wirklich habe. Da lächelt sie und kann nicht anders. Sie ist nicht beschämt, weil er sie ertappt hat. Sie ist erfreut, weil er so viel von ihr weiß.

Während Blicke und Mimik ihre „eigentliche“ Geschichte erzählen, arbeitet der Film seinen Plot ab. Er spielt in Lübeck. Lehrer Häcker (Oliver Breite) ist ein trockener Pedant, und man muss ihm schon Ecstasy ins Bier mischen, damit er mal auftaut. Jahns Kollegin Frau Hoch (Johanna Gastdorf) hat ein Geheimnis und Schulleiterin Scherbach (Katrin Sass) ihre Anstalt gut im Griff. Jahns Klasse ist im Grunde okay, aber Lisa (Isolda Dychauk), die ihr Herz an Niklas verloren hat, leidet doch sehr, als sie sich von einer so viel Älteren ausgestochen sieht. Niklas wohnt bei seinem Vater (Michael Hanemann); die Mutter ist davon gelaufen und der Junge wegen dieses Verlusts wohl insbesondere angezogen von reiferer Weiblichkeit. Frau Jahn lebt kinderlos und friedlich mit ihrem Ehemann, einem Kieferorthopäden (Axel Milberg), der seiner Frau sehr zugetan ist, aber der Mikromorphologie vielleicht noch ein bisschen mehr. Und Andrea selbst? Ihre halsbrecherische Art, Auto zu fahren, verrät, dass sie das Abenteuer sucht. Auch gefällt ihr, dass sie gefällt – zum Beispiel dem verliebten Niklas. Aber sie ist eine verantwortungsbewusste Pädagogin. Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber den Schülern weiß sie genau, dass sie keinen größeren Fehler machen könnte, als Niklas entgegenzukommen. Für ihre Blicke und ihr Aussehen kann sie (fast) nichts. Genauso wenig wie Niklas für sein Mienenspiel und seine Figur. Für ihre Handlungsweisen aber müssen beide einstehen. Können sie das?

Der Titel des Films spielt auf ein Gerücht an, das plötzlich in der Welt ist und Andrea und Niklas unerlaubter sexueller Beziehungen bezichtigt. Ein Foto, eine angebliche Beobachtung – die Causa steht in der Zeitung, sogar auf der ersten Seite. Der Film hat sich, was ja im Prinzip richtig ist, viel Zeit gelassen, um die erotische Spannung zwischen Lehrerin und Schüler zu inszenieren, und jetzt sind nur noch wenige Minuten übrig für den Eklat und seine Folgen. Der Zeitraffer wird eingeschaltet, es geht alles hopplahopp, und die Frage: Was ist wirklich geschehen? steht ungemütlich im Raum. Die Vorlage zum Selber-Weiterdenken, die Walendy und Tiefenbacher anbieten, überzeugt nicht ganz. Trotzdem ist dieser Film in der Hauptsache vollkommen gelungen: als Drama eines Paares, das keines werden darf und das auch weiß.

„Stille Post“, ARD, 20 Uhr 15

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