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Will weiter senden: Der Sender Doschd mit Direktorin Natalya Sindeyeva. Foto: Imago

© imago/ITAR-TASS

Alternative zum Staatsfernsehen: Abgeschnitten

Der unabhängige russische Fernsehkanal Doschd ist aus dem Kabelnetz geflogen – und macht weiter.

Nachrichtensendung „Hier und heute“ im 30-Minuten-Takt, danach die Sendung „Künstliche Auslese“. Sie liefert Hintergrundinformationen zu den wichtigsten Nachrichten des Tages. Unterschiedliche Standpunkte sind erlaubt und ausdrücklich erwünscht, schnelle, objektive Information und Meinungsvielfalt Markenzeichen des russischen TV-Kanals Doschd. Fragt sich nur, wie lange noch. Das Programm läuft derzeit fast ausschließlich als Live-Streaming. Der letzte große Kabelnetzanbieter nahm Doschd am 10. Februar vom Netz. Das, so Chefredakteur Michail Zygar, sei ein klares und unmissverständliches Signal dafür, „dass gegen uns ein Krieg läuft“.

Angefangen hatte Doschd 2010 als seichter Infotainment-Kanal. Doch seit den Massenprotesten nach den umstrittenen Parlamentswahlen Ende 2011 bieten die Macher Kontrastprogramm pur zum Staatsfernsehen und Regimekritikern, die dort nicht vorkommen, eine Tribüne. Der Druck von oben, klagen Mitarbeiter, habe zugenommen. Zum Verhängnis wurde Doschd eine Sendung zum 70. Jahrestag des Endes der Blockade von Leningrad. Zuschauer wurden befragt, ob es nicht besser gewesen wäre, die Stadt an die Wehrmacht zu übergeben. Hunderttausende Menschenleben hätten gerettet werden können. Landesweit erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Nach wenigen Stunden entschuldigte sich Doschd. Doch das Stadtparlament von St. Petersburg ersuchte die Staatsanwaltschaft, dem Sender die Lizenz zu entziehen. Ohne deren Entscheidung abzuwarten, drehten die Kabelnetzbetreiber Doschd den Saft ab. Wütend protestierten die Abonnenten. Sie sind eine Minderheit. Schicksalsergeben wie eine Naturkatastrophe hatte die breite Öffentlichkeit schon 2004, als es in Russland noch relativ liberal zuging, die Neuformatierung des kritischen, terrestrischen TV-Kanals NTW mit Millionen Zuschauern in allen Teilen Russlands hingenommen. Inzwischen ist der innenpolitische Druck viel stärker. Bei der bisher größten Aktion zur Rettung von Doschd – sie fand am Sonntag in Perm im Uralvorland statt – wurden ganze 150 Teilnehmer gezählt.

Die Macher um Generaldirektorin Natalya Sindeyeva versuchen, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Das Internet-Streaming könne sinkende Zuschauerzahlen nicht kompensieren. Man werde weitermachen. Dazu, so die Pressechefin, habe man jenen rund 200 kleinen regionalen Betreibern, die den Kanal weiter in ihren Kabelnetzen haben, angeboten, sie bis Jahresende kostenfrei zu beliefern. Auch arbeite der Sender, der letzte unabhängige in Russland, an einem neuen, leistungsstärkeren Internetportal. Elke Windisch, Moskau

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