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Einer kam nicht zu Anne Will: Jan Böhmermann.

© NDR/Wolfgang Borrs

Anne Will über Böhmermann-Gedicht: Zwischen Geschmack, Justiz und Außenpolitik

Er selbst war nicht gekommen: In der ARD wurde über die Erdogan-Schmähkritik des "Neo Magazin Royale"-Moderators diskutiert. Vieles blieb unscharf.

"Bewusst verletzend", mit diesen Worten hat Angela Merkel die Erdogan-Satire von Jan Böhmermann rezensiert. Eine andere Rhetorik als die, derer man sich üblicherweise befleißigt, wenn es in Deutschland um die Freiheit geht, seine Meinung zu äußern, zumal für die Kanzlerin, die sonst über ein "nicht hilfreich" selten hinauskommt, wenn sie Kritik äußert. Kuscht die Regierung vor der Türkei?

Eine halbe Stunde verging, ehe Anne Will ihre zentrale Frage stellen konnte, womit klar war, dass zu wenig Zeit bleiben würde, sie auch nur im Ansatz zu klären. Doch die wurde benötigt, um sich über den Anlass zu verständigen, den der ZDF-Unterhalter mit seiner auch als solcher titulierten "Schmähkritik" gegeben hatte. Kuschen, das ist ein Vorwurf, den nur verdient, wer sich zurückzieht wo er kämpfen müsste. Müssen wir, muss die Regierung kämpfen?

Womöglich sind die Zweifel daran der interessanteste Reflex auf Böhmermanns Spottgedicht, von dem es in den Nachrichten stets heißt, er habe den türkischen Staatschef darin einen "Ziegenficker" genannt, was er in dieser Weise nicht getan hat. Aber solcherlei Feinheiten entziehen sich schon aus Anstandsgründen dem Fernsehdiskurs.

Abstraktes musste also genügen, zu dessen Erläuterung Fatih Zingal wesentlich beitrug, ein Rechtsanwalt, der als Erdoganversteher eingeladen war. Vorab zu sagen, nunmehr würde gezeigt, wie unzulässig beleidigt wird, um dann zu beleidigen, mache die Beleidigung nicht zulässig, sagte er.

Geschmack, Gefühl, Justiz oder Außenpolitik?

Ein Argument, das trifft, jedenfalls um der Feststellung der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen zu begegnen, die Böhmermanns Ausfall als Bildungsbeitrag für verbotene Kritikformen qualifizieren wollte. Nur bleibt offen, ob er damit unzulässig wird und auf welcher Ebene ein Urteil darüber zu fällen wäre, Geschmack, Gefühl, Justiz oder Außenpolitik.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen versuchte, dem Arrangement und seiner Botschaft mit dem Label "Genialität" gerecht zu werden, wobei er zugleich klarmachte, für wie misslungen er die Chose hält. Ein Einspieler der umstrittenen Ausgabe von Böhmermanns "Neo Magazin Royale" endete just dort, wo der Komiker zu seinen Versen ansetzte, und verhinderte, gewiss mit einer Vielzahl guter Gründe, dass sich der Zuschauer eine eigene Meinung bilden konnte.

Schwierig, etwas zu verteidigen, was man nicht kennt, womit die Erörterung des eigentlichen Anliegens, wie die Regierung nun zu reagieren hat, immer diffuser wurde. Nicht nur Satire ist vieldeutig, das Handeln eines Kanzleramts kann es ebenso sein. Kuscht die Regierung auch, wenn sie dem Verlangen der Türken nachgibt, deutsche Staatsanwälte ein deutsches Delikt verfolgen zu lassen? Es hilft nichts, am Ende muss das Publikum wieder in die Verwirrung entlassen werden, die Böhmermann gestiftet hat.

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