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Kevin Kühnert bei Anne Will

© imago images/Jürgen Heinrich

Anne Will: Wie Kevin Kühnert zeigte, dass er einiges mit Gerhard Schröder gemeinsam hat

Die Talkrunde bei Anne Will war überraschend kurzweilig: Erst ein Kühnert-Ziemiak-Infight, schließlich die Inthronisation zum übernächsten Kanzlerkandidaten.

Man kann Talkshows auf vielen Ebenen lesen. Als körperdramatische Studie, als Machtperformance, als Battle um Redezeit, als Aufmerksamkeitsturnier, bei dem die Ritter mit Wortlanzen sitzend aufeinander zureiten, als postdramatisches Diskurstheater, als Mikroparlament, als Infotainment-Format, als Politik-Simulation oder als echtes Verständigungsgespräch.

In dieser Talkshow war von allem ein bisschen und noch mehr: Die Inthronisation des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert zum übernächsten Kanzlerkandidaten der SPD.

Es war eine Kühnert-Show bisweilen und zeitweilig ein Kühnert-Ziemiak-Infight, doch der klare Punkt- und Augenblickssieger war Kevin allein im Hier-und-Jetzt-Zuhaus.

Bei Sandra Maischberger hatte Kühnert diese Woche noch missgelaunt gesessen und der Moderatorin Nachhilfeunterricht in öffentlich-rechtlicher Fragetechnik und Präzision gegeben, Anne Will vermied derlei diffuse Provokation und kitzelte den wendigen Juso-Chef gut vorbereitet. Die Sendung stellte die Leitfrage, wohin denn die Koalition rücke, wenn die SPD nach links rücke, dabei war gar nicht ausgemacht, ob die SPD wirklich nach links gerückt ist.

Eine Revolution konnte niemand ausmachen, weder Clemens Fuest, der Präsident des arbeitgebernahen ifo-Instituts, noch der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und schon gar nicht Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung oder die Schriftstellerin Jagoda Marinić.

Kevin Kühnert bei Anne Will – virtuoser Karrieretanz

Das bemerkenswerteste an dieser sehr unterhaltsamen Talkshow war der virtuose Positions- und Karrieretanz, den Kühnert auf’s Parkett legt, er schlüpfte so geschmeidig zwischen allen Fallstricken hindurch und er dominierte seinen Rivalen und Duzfreund Paul.

Angesichts dieser Manöver suchten Will und Gammelin amüsiert Augenverständigung, weil auch sie nicht umhin konnten anzuerkennen, mit welcher inneren und äußeren Betriebsgeschwindigkeit der einstige Zauberlehrling Kühnert sich inzwischen in einen alten Hexenmeister verwandelt.

Eben noch GroKo-Zerstörer, jetzt GroKo-Beschützer, eben noch Marionettenspieler hinter den Kulissen, jetzt Teamplayer und Brückenbauer. Alle eher kleinteiligen Positionsbestimmungen, höherer Mindestlohn, höhere CO-2-Steuer, höhere Rente, Abkehr von der schwarzen Null, wurden eher leidenschaftslos verhandelt.

Nur physiognomische Reaktion von Fuest

Sogar Clemens Fuest, Mitglied der Mindestlohnkommission, beschränkte sich überwiegend darauf, Kühnerts Beiträge physiognomisch zu missbilligen, indem er die Mundwinkel sacken ließ, aber ganz offensichtlich bestand auch aus seiner Sicht gar kein Bedarf, hier einen sozialistischen Beelzebub in die Schranken zu weisen.

Stattdessen legte sich die Schriftstellerin Marinić zunächst mit Kühnert an, dessen SPD sie mangelnde Zukunftsbotschaften vorwarf und dann mit Ziemiak, dem sie vorhielt, dass seine Partei die Augen vor Massenarmut und gesellschaftlichen Elend verschließe.

„Das ist keine linke Revolution wenn sich Menschen von ihrer Rente Lebensmittel leisten können. Das nennt man soziale Marktwirtschaft.“ Das saß! Während Ziemiak argumentativ recht schwachbrüstig, aber impulsiv replizierte und sich in Phrasengebiete flüchtete, zeigte Kevin dem Paul, wie es geht. Mit kalter Präzision eines Chirurgen zerschnitt er die rhetorisch gute, aber pathetischen Position der Angreiferin.

Ziemiak gegen Kühnert – hochglanzpolierte Zehensärge gegen durchschnittliche Sneaker

Man kann auch mal auf die Schuhe der Kombattanten schauen: Ziemiaks Füße steckten in hochglanzpolierten Zehensärgen, die wie Versuche aussahen, konservatives Profil mit Schuhcreme zu gewinnen. Kevin hingegen barg seine Füße in durchschnittlichen Sneakern, die anstrengungslos die Botschaft vermittelten, Grips braucht kein Kostüm.

Ziemiak versuchte Kühnert und die SPD als narzisstische Selbstbeschäftigungstruppe zu denunzieren, woraufhin Kühnert ihn davor warnte, diese „verächtlich machenden Sprache“ beschädige die Politik und Demokratie.

Keine verhärtete Freund-Feind-Denke

Die Gastgeberin tat gut daran, das Duell zwischen Kevin und Paul laufen zu lassen, weil die beiden Duzbrüder sich zwar heftig attackierten – sie taten es aber zivil und mit einer unübersehbaren Generationensolidarität. Das war kein Schaum-vor-dem Mund, keine verhärtete Freund-Feind-Denke, sondern wirkliches Positionsringen, emotional, aber nicht extrem.

„Kevin, man kann über alles reden“, räumte Ziemiak ein, wollte aber der neuen SPD-Spitze auf keinen Fall einen neuen Verhandlungsmarathon zubilligen, es gebe keine Spielräume, um den Koalitionsvertrag noch mal aufzuschnüren. Doch so markig das klang, man gewann kaum den Eindruck, hier stünde das nahe Ende der GroKo vor der Tür, zumal Kühnert auf das Zauberwort „perspektivisch“ im Leitantrag der SPD hinwies, was bedeutet, dass die SPD den GroKo-Ausstieg ins zeitlich Unbestimmbare schiebt.

Souveränes Eingeständnis von Ziemiak

Der Fairplay-Preis der Sendung geht zweifelsfrei an Ziemiak, der einmal in Richtung Kevin zugab „dann hab ich das falsch verstanden“, eine souveränes und selten gehörtes Statement im Showtalkmuskelspiel.

Die stärkste Rede des SPD-Parteitags – Cerstin Gammelin wies darauf hin – hatte Kevin Kühnert gehalten. In dieser Sendung konnte man ihm dabei zusehen, wie er sich häutete, wie er die Hand ausstreckte nach dem einen Ring der Macht.

Gerhard Schröder hatte einst am Zaun des Bonner Kanzleramts gerüttelt und gerufen, „Ich will da rein!“, Kevin hingegen würde auf keinen Fall so einen Halbstarken-Auftritt hinlegen; dennoch wissen wir jetzt, dass er mehr mit dem Agenda-Kanzler gemeinsam hat, als er jetzt schon zugeben darf.

Was an dieser Sendung zudem erfreulich war: Auch wenn Jagoda Marinić eher selten zu Wort kam, brachte sie eine sympathische Tonalität ein und auch Cerstin Gammelin litt nicht, wie so viele journalistische Politikerklärer unter Profilierungsdruck: Sie war so konstruktiv wie diese kurzweilige Sendung.

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