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Anne Will diskutierte über das Thema: „Mit Vorsicht aus der Corona-Krise - wie hart trifft uns die ´neue Normalität'?“

© Anne Will/NDR

Anne Will zu Corona-Lockerungen: Wenn sich ein Seuchenforscher und ein Ökonom treffen... gibt's Krach

Bei Anne Will streiten ein Helmholtz-Forscher und ein Ökonom über das richtige Maß an Lockerungen. Die Politiker in der Runde appellieren an die Bürger.

Von Caroline Fetscher

Ohne Optimismus geht gar nichts. Erst recht jetzt in der Krise ist er ein Basislebensmittel, so sehr, allerdings, wie auch Realismus. Tastend fragte Anne Will am Sonntag ihre Gäste: „Mit Vorsicht aus der Corona-Krise - wie hart trifft uns die ´neue Normalität'?“

Debattenrunden sollen in die Zukunft blicken, die gerade jetzt niemand sicher zeichnen kann, und Talkrunden sollen meist die quotenerhöhende Kombination aus Spannung, Angst und Hoffnung versprechen, in einer gesundheitlichen Krise, die zugleich eine Weltwirtschaftskrise ist.

Ab Montag beginnt der Tag 1 der „Lockerungen“, einige Läden dürfen wieder aufmachen, unter bestimmten Auflagen, Kontakte sollen weiter beschränkt bleiben, Bund und Bundesländer einigten sich auf Generelles, handhaben aber einzelne Maßnahmen unterschiedlich.

Eigens für „Bund und Länder“ eingeladen hatte das Will-Team eingeladen, und dazu den Direktor des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, im Übrigen ein beherzter Vertreter von Corona-Bonds auf EU-Ebene.

Zu Gast bei Anne Will am Sonntag:
Peter Altmaier (CDU): Bundesminister für Wirtschaft und Energie
Michael Kretschmer (CDU): Ministerpräsident von Sachsen
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof und Bundesjustizministerin a.D.
Michael Meyer-Hermann: Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig
Michael Hüther: Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln

Er wünscht vor allem das Wecken „einer Erwartung“, und baut auf „dezentrales Lernen“. Die Eindämmungsphase dauere an, doch es müsse sich etwas bewegen - unter „Abwägen der Risiken“.

Michael Kretschmer: Lockerungen „Grenze des Vertretbaren“

Die Wirtschaft hofft auf das Nennen von Daten, konkreten Terminen, um Optimismus etwa in die Gastronomie zu tragen, der tausendfache Finanztragödien drohen. „Höchstes Schutzgut“ sei die Gesundheit, mahnte Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), dessen Bundesland, wie Mecklenburg-Vorpommern, jetzt auf Maskenpflicht im Nahverkehr und beim Einkaufen setzt.

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Das beschlossene Lockern gehe bereits an die „Grenze des Vertretbaren“, Infektionen würden auch wieder zunehmen, ist er sicher, und: Keine Normalisierung ohne Impfstoff. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern wird ab heute das Tragen beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht

Dresden verteilt am Montag rund 200.000 Schutzmasken an die Bevölkerung, Bad Homburg im Taunus verschenkt sie an alle Einwohner. Allein die Deutsche Post rechnet mit einem Bedarf von wöchentlich einer Million Masken für ihr Personal. Woher die Masken kommen sollen? Das Thema sparte diese Runde bei ihrer Suche nach Optimismus aus.

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Warner in der Runde war einer, der rechnen kann. Michael Meyer-Hermann, Mathematiker und Leiter der Abteilung System-Immunologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, hätte sich weitere drei Wochen strikter Maßnahmen gewünscht (hier lesen Sie ein Interview mit Michael Meyer-Hermann).

Seine Beobachtung: Ein künstlicher Effekt sei eingetreten durch das Verkünden der geringeren Reproduktionszahl, also seit es heißt, ein Infizierter stecke durchschnittlich weniger als eine weitere Person an. Psychologisch habe das zu falschen Eindrücken in der Bevölkerung geführt.

Helmholtz-Forscher mahnt zur Vorsicht

Man dürfe „keine Lockerungen in größerem Maße machen“, um Verhältnisse wie in Italien oder New York zu vermeiden. Mit den bisherigen Maßnahmen sei die Lage einigermaßen stabil, das Lockern, so der Experte, komme zu früh. Besser wäre es, das „Virus auszutrocknen“ - mit striktesten Kontaktverboten.

Darauf ließe sich mit Tests und dem Nachverfolgen der Infektionsketten, viel mehr allgemeine Freiheit riskieren, da Infektionsherde schnell erkannt und gebannt werden könnten.

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Davon, dass die Techniken des amtlichen Nachverfolgens viel besser eingeübt werden müssten war an dem Abend nicht die Rede. Doch auch darauf wird es ankommen.

Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier wäre mit den Lockerungen lieber eher restriktiver vorgegangen – zwei Seelen in der Brust, doch Wirtschaft vor Gesundheit? Da zeigt der Politiker, verhaltene Skepsis.

Unsicher sei auch, wie sehr und ob Kinder das Virus verbreiten, wenn jetzt Schulen wieder öffnen. Zu früh? Zu spät? Meyer Hermann erklärt als Epidemiologe erklärte: Wirtschaft versus Gesundheit – so zu rechnen sei vom Prinzip her falsch. Wenn immer abwechselnd Öffnung und Schließung folgen würde? Solche Kosten wären weitaus bedrohlicher.

Was ist mit den Depressiven und Insolventen?

Hüther führte, wie Wirtschaftsvertreter etwa auch in den USA, das andere Gesundheitsrisiko ins Feld: Depressive, Insolvente, massenhafte psychische Erkrankungen von Arbeitslosen.

Hintergründe zum Coronavirus:

Kommen werde „ein Leben mit dem Virus“, erklärte Kretschmer, der Sachsens Schulen für die Abschlussklassen öffnet. Auch die jüngeren Kinder müssten in die Schulen, beharrte Hüther, Dänemark mache vor, wie das geht. Mit seinen „klugen Reden“ hatte Kretschmann die Geduld – hunderte kleiner Kinder könne man schlicht nicht im Zaum halten, sie könnten Hunderte von Eltern und Großeltern anstecken.

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Alles müsse Schritt für Schritt gehen. „Das oberste ist die Gesundheit!“ In Hessen sei das Abitur doch gut gelaufen, konterte Hüther.

Der Spielraum ist extrem klein, damit habe die Kanzlerin „verdammt nochmal Recht“, mahnte Meyer-Hermann, die Interessen von Wirtschaft und Gesundheit seien im Grunde identisch. Epidemiologen und Wirtschaftsmathematiker müssten zusammenarbeiten. Weder alles zu liberalisieren noch alles abzusperren sei vernünftig, warf Altmaier ein. Der Mittelweg werde versucht.

Hoffen auf die Vernunft der Bürger

Überzeugt von der „Disziplin und Vernunft“ der Bürgerinnen und Bürger zeigte sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Richterin an Bayerns Verfassungsgericht und ehemalige Justizministerin. An die Familien müsse man denken, an Alleinerziehende, an die Dynamiken in der Gesellschaft.

„Perspektive!“ forderte sie, „Nicht mit einem täglich neuen Datum!“ Je nach Region gehe es um die Auflagen für Lockern, Öffnen, Ausweiten der Spielräume, um die Gesellschaft nicht zu spalten. Zweifellos macht die Krise Spaltungen der Gesellschaft sichtbarer, am stärksten in Ländern ohne gutes Gesundheitssystem, siehe USA, wo grell die Klassengräben aufscheinen, als wären sie mit Leuchtstoff markiert.

So wurden auch bei Anne Willam Sonntagabend wieder Argumente, Wissenspartikel, Konzepte, Ideen und Spekulationen verhandelt. Nicht einfach für die Moderatorin. Wie andere auch muss sie teils Bäume voller unreifer Äpfel schütteln. Auch das ein Symptom der Krise: Das Unabgeschlossene, Unwägbare, die neue Unsicherheit.

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