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Medien: Anti-Aging-Kur für Kleist

Jürgen Flimms „Käthchens Traum“ eröffnet die „Cologne Conference“

Von Barbara Nolte

Die „Cologne Conference“ begann mit einem Experiment, mit Heinrich von Kleist als Fernsehstoff. Nicht als abgefilmtes Theater, wie es auf dem ZDF Theaterkanal fast niemand anschaut. Sondern ein moderner Krimi. In den Hauptrollen bestes Fernsehpersonal: Tobias Moretti, Burgschauspieler, Fernsehzuschauern besser bekannt als „Kommissar Rex“, und Julia Stemberger, die Dieter-Wedel-Schauspielerin. Regie führte Jürgen Flimm, das große deutsche Theater-Tier, dem das Personenarchiv Munzinger das Etikett „Entrümpelt klassische Stoffe“ angeheftet hat. Flimm hat sich diesmal das „Käthchen von Heilbronn“ zum Entrümpeln ausgesucht.

Mit dem Stück hatte er in den 80er Jahren großen Erfolg als Intendant des Kölner Schauspiels. Flimm, Moretti und Stemberger wollten nun das „Käthchen von Heilbronn“ aus seinem Stadttheaterdasein befreien, wo es die letzten 200 Jahre überlebte. Am Samstagabend wurde ihr Film zur Eröffnung der „Cologne Conference“, Deutschlands wichtigstem Fernsehfilm-Fest, im Kölner Cinedom erstmals vorgeführt; der Film heißt, als kleine Variante zum Originaltitel, „Käthchens Traum“. Im Herbst soll er auf Arte und in der ARD laufen.

Der Plot: Eine Umwelt-Aktivistin – blond gefärbte Haare, Jeans – reißt sich bei einer Protest-Aktion in der Gentechnik-Firma Stauffen AG die Trainingsjacke auf. Mit Kajal-Stift hat sie sich das Wort „No“ auf die Brust geschmiert. Die junge Frau heißt Käthchen (Theresa Weißbach) und ist Heilbronnerin. Als sie so dasteht, schaut ihr der Geschäftsführer der Stauffen AG, Friedrich Wetter, Graf vom Strahl (Tobias Moretti) in die Augen. In dem Moment verliebt sie sich und wird zur Stalkerin – so heißt es doch heute? Sie verfolgt den Grafen. Selbst als er einer Geschäftspartnerin seine Menschenversuche vorführt, als er eine Vitrine aufzieht, liegt da wieder diese Frau aus Heilbronn, einen Schlauch in der Nase. Der Graf ist zu Recht genervt.

So einen Plot würde normalerweise selbst RTL 2 ablehnen. Das Ganze ist sehr abstrus. Aber: Es ist auch sehr nah an Kleists Vorlage, und das zeigt das Problem der Aktualisierung von historischen Stoffen. Kleist schreibt von Krieg, Flimm macht einen Wirtschaftskrieg daraus. Die Macht, mit der Kleist den Grafen vom Strahl ausstattet, interpretiert er als wirtschaftliche Macht. Statt des Feudalismus in Kleists Mittelalter, in das er das Stück verlegt hat, regiert heute der Kapitalismus. Käthchens Nebenbuhlerin (Julia Stemberger), wird als Wirtschaftsspionin eingeführt: Eine konkurrierende US-Anti-Aging-Firma setzt sie auf von Strahl an. Der Chef erscheint ihr auf dem Fotohandy. Nur das Käthchen von Heilbronn ist so rein wie vor 200 Jahren. „Oh Herr, mein Herr“, sagt sie, wenn sie vor ihrem Schwarm steht. Alle Textpassagen des Films sind original Kleist.

Flimm hat den Film stilisiert, um die Brücke über die Jahrhunderte zu schlagen. „Käthchens Traum“ spielt in der still gelegten Industrielandschaft des Ruhrgebietes. Die Stauffen-AG-Firmenzentrale ist aus rotem Backstein und fensterlos wie das Wahrheitsministerium in der Orwell-Verfilmung „1984“. Von Wim Wenders hat sich Flimm zwei „Himmel über Berlin“-Trenchcoat-Engel geliehen, die Käthchen und vom Strahl am Ende zusammenbringen. Die Schlussszene: In einem Boot treibt Käthchen im Arm des Grafen auf einem Fluss davon. Die Bilder von „Käthchens Traum“ sind wirklich sehr schön, fast zu schön. Der Film erstarrt in seiner Schönheit.

In den vergangenen Jahren haben „Im Schatten der Macht“ über den Sturz Willy Brandts und „Die Meute“ von Herlinde Koelbl über die Berliner Politikjournalisten die „Cologne Conference“ eröffnet. Zwei gut gemachte, relevante, spannende Filme. „Käthchens Traum“ lässt einen irgendwie kalt. Das ist vielleicht das Problem. Wenn man die Ausstattung eines klassischen Stücks ins 21. Jahrhundert verlegt, fällt um so mehr auf, dass die Psychologie von Kleists Figurenkonstellation heute nicht mehr interessant ist. Dennoch: Der Versuch war es wert. „Käthchens Traum“ wird seinen Platz in jedem gut sortierten Filmarchiv haben. Man kann ihn noch in 50 Jahren in Deutsch-Leistungskursen und in Goethe-Instituten der ganzen Welt zeigen. „So einen wie Kleist haben die Amerikaner nicht“, sagte Moretti, von der Moderatorin der „Cologne Conference“ nach dem Sinn des Films befragt.

Flimm hat einen modernen Heimatfilm gedreht, mit allem, was dazu gehört: einer Liebesgeschichte, schönen Landschaftsaufnahmen und Happy End.

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