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Auf eine Entschuldigung des Journalisten Jakob Augstein wartet Rabbi Cooper bislang vergeblich.

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Antisemitismus-Liste: Rabbi Cooper fordert Augsteins Entschuldigung

Wenn Rabbi Cooper über Antisemitismus spricht, klingt er nicht unfreundlich oder empört. Er ist nach Berlin gekommen, um die Liste des Wiesenthal-Zentrums zu verteidigen, auf der auch Jakob Augstein steht. Mit ihm sprechen will er nicht.

Der Mann, um den es geht, ist gar nicht gekommen. Dafür sitzen rund 50 andere Journalisten am Donnerstagmorgen im Konferenzraum des Bundespresseamtes und hören, was Rabbi Abraham Cooper über eben diesen Mann zu sagen hat. Cooper ist stellvertretender Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums, das zum Jahreswechsel mit einer Liste in Deutschland eine Debatte ausgelöst hat, die bis heute andauert. Es ist die Liste der weltweit zehn schlimmsten antisemitischen Äußerungen 2012.

Platz eins belegen Ägyptens Muslimbrüder, Platz zwei Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Die Überraschung aber ist Platz neun: Jakob Augstein, Journalist, Herausgeber der Wochenzeitung „Freitag“ und Erbe des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein.

Rabbi Abraham Cooper, geboren 1950 in New York, ist nach Deutschland gekommen, um diese Liste zu verteidigen – und seine Vorwürfe gegen Augstein noch einmal zu bekräftigen. „Jakob Augstein hat sich nicht nur antisemitisch geäußert, Jakob Augstein ist ein Antisemit“, sagt Cooper. Er sagt diesen Satz nicht unfreundlich oder empört, er sagt ihn nur sehr bestimmt.

Seit 2007 veröffentlicht das Wiesenthal-Zentrum solche Listen. Bereits 2011 war auf ihr ein Deutscher zu finden, ebenfalls auf Platz neun. Es war der Linkspolitiker Hermann Dierkes aus Duisburg. Er hatte zum Boykott israelischer Produkte aufgerufen und das Existenzrecht Israels als „läppisch“ bezeichnet, dazu auf einem Flyer den Satz genutzt: „Wahrheit macht frei!“, auf den sich das Zentrum beruft. Doch damals war davon kaum Notiz genommen worden. Diesmal ist es anders. Seit Erscheinen der neuen Liste wird diskutiert: Was ist legitime Kritik? Was ist Antisemitismus?

Rabbi Abraham Cooper ist ein höflicher Mann. Am Donnerstagmorgen begrüßt er alle freundlich, schon beim Treffen am Abend zuvor schwärmt er von der deutschen Bundesliga. Er schaue sich die Spiele immer auf Sky und Fox News an. Nach Deutschland komme er fast jedes Jahr, zuletzt war er im Sommer da, um das Bundesjustizministerium in der Beschneidungsdebatte zu beraten.

Dieses Mal ist Cooper vom MideastFreedom-Forum eingeladen worden. Ein Verein, der nach eigenen Angaben „Antisemitismus und Israelfeindschaft“ bekämpfen will. Nur für 22 Stunden ist der Rabbi in Berlin – er reist ausgerechnet am 80. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers an, einem Tag, an dem auch Ägyptens Präsident Mohammed Mursi in der Stadt ist. „Reiner Zufall“, sagt Cooper. Schon am Donnerstagnachmittag fliegt er weiter, um in Jerusalem seine Tochter und seine fünf Enkelkinder zu besuchen, dann geht es über Bangkok, Singapur und Hongkong zurück nach Los Angeles, wo das Wiesenthal-Zentrum seinen Hauptsitz hat.

Das Zentrum ist eine jüdische Menschenrechtsorganisation mit 400 000 Mitgliedern

„Meine Kommentare leben von Zuspitzung“, sagt Augstein.
„Meine Kommentare leben von Zuspitzung“, sagt Augstein.

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Das Zentrum ist eine jüdische Menschenrechtsorganisation mit 400 000 Mitgliedern. Es finanziert sich durch Spenden und ist benannt nach dem Holocaust-Überlebenden Simon Wiesenthal. Er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Täter aus der Nazizeit aufzuspüren. Wiesenthal machte Adolf Eichmann ausfindig und auch Karl Silberbauer, der Anne Frank verhaftet hatte. 2005 ist Wiesenthal gestorben, jetzt ist Cooper als Botschafter für das Zentrum unterwegs, um über den Holocaust zu informieren.

Cooper erzählt, dass gleich im Eingangsbereich des Zentrums in Los Angeles ein Schild hängt, das die Besucher zum Nachdenken anregen soll. Darauf steht sinngemäß ein Zitat: „Jeder Mensch hat das Recht auf Meinungsfreiheit, aber jeder Mensch muss auch wissen, dass Worte Folgen haben können. Und dafür Verantwortung übernehmen.“

Die Worte von Jakob Augstein haben nach Ansicht von Rabbi Cooper heftige Folgen. Sie stammen aus Augsteins Kolumne „Im Zweifel links“, die er jeden Montag auf „Spiegel Online“ veröffentlicht. Es sind fünf Zitate aus drei Kolumnen. Darin unterstützt Augstein die These des Schriftstellers Günter Grass, dass die Atommacht Israel den Weltfrieden gefährde – mehr als der Iran. Er kritisiert den Einfluss jüdischer Lobbygruppen in den USA; sagt, dass radikale Juden „aus dem gleichen Holz geschnitzt“ sind wie ihre islamistischen Gegner. Er bezeichnet Gaza als „Lager“.

Rabbi Cooper spricht kein Deutsch. Die Zitate sind ihm von Lesern aus Deutschland zugeschickt worden, sagt er. Er habe einige solcher Mails bekommen. „Um auf unseren Radar zu kommen, reicht sicher nicht eine einzige Beschwerde.“ Wer genau das Simon-Wiesenthal-Zentrum informierte, sagt er nicht. Nur, dass es nicht der deutsche Autor Henryk M. Broder war, auf dessen Aussagen sich das Zentrum ebenfalls berief, als es Augstein auf die Liste setzte. Broder hatte Augstein in Anlehnung an Julius Streicher, den Gründer des antisemitischen Hetzblatts „Der Stürmer“, unter anderem als „kleinen Streicher“ bezeichnet, inzwischen hat er sich für diese Aussage entschuldigt.

Rabbi Cooper wartet dagegen auf eine Entschuldigung von Jakob Augstein. Besonders wegen des Vergleichs zwischen den ultraorthodoxen Juden mit islamistischen Fundamentalisten. „Das ist klassischer Judenhass“, sagt Cooper.

Es sind starke Worte, die er am Donnerstagmorgen findet. Laut wird er dabei kein einziges Mal, muss er auch nicht werden. In der Diskussion mit dem Politikwissenschaftler Matthias Küntzel droht kein Widerspruch, auch kritische Fragen gibt es kaum. Er kann sich in Ruhe rechtfertigen, warum Augstein auf der Liste steht: Ein Gedicht von Grass bekomme vielleicht in Deutschland viel Aufmerksamkeit, Onlinekolumnen wie die von Augstein würden weltweit gelesen. „In Zeiten des Internets wird alles Lokale global“, sagt Cooper. Die Liste solle helfen, auf antisemitische Äußerungen aufmerksam zu machen. „Jakob Augstein muss sich entschuldigen. Nicht bei mir, sondern bei seinen Lesern und dem jüdischen Volk.“

Augstein hätte sich gerne mit Cooper getroffen.

Jakob Augstein hätte sich gerne mit Rabbi Cooper getroffen. Anfang des Jahres versuchte der „Spiegel“ ein Gespräch zwischen den beiden Männern zu vermitteln. Cooper wollte sich darauf nur einlassen, wenn sich Augstein entschuldigt – doch das sieht der gar nicht ein. „Da ich kein Angeklagter bin und Rabbi Cooper kein Richter und da er Vorwürfe gegen mich erhoben hat und nicht ich gegen ihn (oder überhaupt gegen Juden) musste ich das ablehnen“, schreibt Augstein am Donnerstag auf seiner Facebook-Seite.

Zuvor hatte er am Telefon erklärt: „Ich schreibe als Journalist Kommentare, die leben von der Zuspitzung. Natürlich geht da auch mal ein Wort daneben, wie das Wort Lager, das ich für Gaza benutzt habe. Das war nicht richtig, weil es an Konzentrationslager erinnert.“ Ansonsten aber müsse „man schon sehr böswillig sein, um aus meinen Texten Antisemitismus rauszulesen“. Es sei „absurd“ und „grotesk“, dass er mit seinen Zitaten in der Liste aufgeführt werde. „Ein Antisemit ist sicherlich, wer rassistische Vorurteile gegen Juden hegt oder den Staat Israel von der Landkarte löschen will. Damit falle ich aus.“

Augstein ist in den vergangenen Wochen heftig für seine Äußerungen kritisiert worden, auch von Dieter Graumann, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, in einem gemeinsamen Gespräch im „Spiegel“. Er finde Augsteins Kolumnen „abscheulich“ und „abstoßend“, „aber auf eine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten“ gehöre er nicht.

Cooper wundert sich am Donnerstag. Nicht über Graumann, sondern über die deutsche Presse. Anstatt Augsteins Aussagen zu analysieren, leiste sie ihm Schützenhilfe. So verteidigt „Spiegel“-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron: „Das Simon-Wiesenthal-Zentrum kommt zu Schlüssen, die wir nicht teilen“, sagt er. „Jakob Augstein schreibt streitbare Texte, er übt scharfe Kritik an der israelischen Politik, aber er gehört nicht auf diese Liste der schlimmsten Feinde Israels.“ Er sei auch weiterhin frei, sich in seinen Kolumnen mit dem Nahostkonflikt zu befassen.

Wird Augstein auch 2013 wieder auf der Liste landen? Cooper zuckt mit den Schultern. Darüber werde am Ende des Jahres entschieden. Jakob Augstein blendet solche Überlegen aus. „Das kann für mich kein Kriterium sein. Ich muss versuchen, das zu machen, was ich für meine Arbeit halte. Ich wäre selbst enttäuscht von mir, wenn ich an mir beobachten würde, dass ich durch die Debatte mundtot gemacht worden bin.“

Bereits am Donnerstag kontert er auf Facebook gegen Cooper. Dessen „Vorstellung von Pressefreiheit und offener Debatte“ seien „vollkommen andere, als wir es hier gewohnt sind. Man macht solche Erfahrungen sonst eigentlich nur mit fundamentalistischen oder totalitären Institutionen“. Rabbi Abraham Cooper ist nach der Pressekonferenz zufrieden. Er gibt noch ein paar Interviews, dann macht er sich auf die Reise. Er wird wiederkommen.

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