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Wann entscheidet der WDR im Fall von Nemi El-Hassan?

© WDR/Tilman Schenk

Antisemitismus: Was uns der Fall Nemi El-Hassan lehren kann

Die Verantwortung der Entscheidung liegt beim WDR, nicht bei Avi Primor, nicht bei der jüdischen Gemeinde und nicht beim Zentralrat der Juden. Ein Kommentar.

Die Causa Nemi El-Hassan ist, ja, wo ist sie gelandet? Offenbar in einem Patt, das keine Lösung anbietet. Ausweislich der vergangenen Rundfunkratssitzung im Westdeutschen Rundfunk sind die Positionen so klar wie kontrovers. Der Vertreter der Deutschen Initiative für den Nahen Osten, Jürgen Bremer, konnte mit dem Antisemitismusforscher Moshe Zimmermann und dem früheren israelischen Botschafter in Deutschland, Avi Primor, zwei prominente, gewichtige Stimmen aufbieten. Ihre Expertise zeigt auf, dass das, was der Journalistin als Antisemitismus ausgelegt wird, von linken Israelis durchaus geteilt wird.

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Isabella Farkas, die für jüdische Gemeinden im Aufsichtsgremium sitzt, verwies darauf, dass El-Hassan unter anderem einen Post über den Ausbruch verurteilter Terroristen aus einem israelischen Gefängnis gelikt habe. „Ich war zu dem Zeitpunkt in Israel, das Land war in Schockstarre“, berichtete sie. Mit Blick auf El-Hassan sagte sie: „Personen mit einer derartigen Gesinnung dürfen in keinem Format des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen Platz haben geschweige denn das Gesicht des WDR werden.“

El-Hassan wird "Quarks" nicht moderieren

Was bisher feststeht: Nemi El-Hassan wird die für sie vorgesehene Aufgabe, nämlich das WDR-Wissenschaftsmagazin „Quarks“ zu moderieren, nicht wahrnehmen können. Eine Mitarbeit in der Redaktion scheint möglich.
Was davon stimmt? Die Zukunft soll es weisen, irgendwie. Tom Buhrow, Intendant des WDR, sagte erneut: „Eine schwierige, schwierige Abwägung“. In der Tat, es muss über eine Beschäftigung einer palästinensisch-stämmigen Journalistin im WDR befunden werden.

Kann aus der Entscheidung etwas Wegweisendes herauswachsen? Die Familie von Nemi El-Hassan kam 1991 aus dem Westjordanland nach Deutschland, alles andere, als dass Ablehnung, ja Hass gegenüber Israel mit im Gepäck waren, wäre eine Überraschung. Ja, El-Hassan hat an einer dieser eindeutig antisemitischen Al-Kuds-Demonstrationen teilgenommen, sich davon distanziert. Skepsis ist aufgekommen, ob diese Absage aufrichtig gemeint war. Später wurden Likes bekannt, israelkritisch bis israelfeindlich, die die Journalistin wieder löschte.

Mehrere Probleme verschränken sich

Das Dilemma an dieser Personalie ist beträchtlich, weil sich mehrere Perspektiven, ja Probleme verschränken. Wann und unter welchen biographischen Vorzeichen darf ein Mensch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Deutschlands arbeiten? Antisemiten sicher nicht, das ist im Angesicht und in Anerkenntnis der deutschen Geschichte unstrittig. Fast möchte man sich bei den Antisemiten bedanken, die glasklare Antisemiten sind, weil das Urteil so leicht fällt. Bei El-Hassan fällt es umso schwerer. Wer möchte einer jungen Journalistin auf ewig einen Berufsweg verbauen? Die deutsche Gesellschaft wird diverser, immer mehr Menschen werden mit einem migrantischen Hinter- oder Vordergrund hier leben und arbeiten, hier leben und arbeiten wollen. Soll jetzt ein Gesinnungstest fürs aufrechte, auf keinen Fall antisemitische Deutschsein her? Deutschland ein Land, das die Chancen nach Herkunft und Einstellung verteilt? In diesem Fall: Ist ein koscheres Deutschland ein besseres, ja das beste Deutschland ever? Ein Deutschland, das Antisemitismus inhaltlich, strukturell wie personell bekämpft, ist das richtige Deutschland. Das lässt sich einfach hinschreiben, und ist im Einzelfall wie bei Nemi El-Hassan nur die Richtung für den Weg, an dessen Ende eine Entscheidung aufscheinen kann.

Keine Entscheidungsgrundlage

Heißt: Einschätzungen wie jene von Primor und Zimmermann sind hilfreich, aber nicht bis zu dem Punkt, dass sie zur alleinigen Entscheidungsgrundlage werden können. Nicht diese Israelis und Juden, nicht der Zentralrat der Juden in Deutschland können zur Instanz werden, aus dem gewichtigen Grund heraus, dass nichtjüdische Deutsche selbst entscheiden müssen, in diesem Fall der WDR und sein Intendant Tom Buhrow. Das ist ihre Verantwortung und die Verantwortung aller, sie kann nicht delegiert werden.

Der Respekt vor Juden und Zentralrat gebietet es, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender aus eigenem Vermögen zum Ratschluss kommt. Eine „schwierige, schwierige Abwägung“, da hat Tom Buhrow Recht, doch auf das augenscheinliche Verhalten zu vertrauen, nämlich die Entscheidung auf die lange Bank zu schieben, wird nicht verfangen. Der nächste Fall Nemi El-Hassan kommt bestimmt. Wer jetzt nicht entscheidet, ist schon morgen überfordert.

Sender und Senderchef

Ein öffentlich-rechtlicher Sender und sein Chef, sie sind es, die zum Befund aufgerufen sind. Das sind sie ihrer potenziellen Mitarbeiterin, die hoffentlich zur Aufklärung massiv beiträgt, schuldig. Und die Verantwortlichen sind es der Öffentlichkeit schuldig, die sich selber diese Frage stellen und beantworten muss: Was sind wir bereit, in diesem Begriffsfeld zu akzeptieren? Das Etikett „Antisemit“ ist beruhigend wie beunruhigend schnell verteilt, es braucht aber gerade in jedem und besonders in einem Fall wie Nemi El-Hassan oder der vom ZDF beschäftigten Gagautorin Yasmin Ayhan eine stichhaltige, überzeugende Erklärung. Weil jede dieser Argumentationen der Gefahr anheimfällt, als Relativierung missverstanden zu werden, diese Klarstellung: Festgestellter Antisemitismus ist ein No-Go. Festgestellter Antisemitismus, nicht unterstellter.

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