zum Hauptinhalt
Sehnsucht nach morgen? Der Ex-Parteibonze Armin Zettler (Axel Prahl, l.) hat bei der Entnazifizierung einen Persilschein erhalten und mischt wieder fleißig mit.

© ARD Degeto/Stephanie Kulbach

ARD-Drama "Die Himmelsleiter – Sehnsucht nach morgen“: Karneval in Trümmern

Geschichte geht immer: Die ARD bringt einen Event-Zweiteiler über das Leben im Nachkriegs-Köln.

„Der Zettler is’n Nazischwein – bevor ich von dem was nehme, fress’ ich lieber Dreck mit’m Löffel!“, empört sich die resolute Anna Roth (Christiane Paul), Mutter von drei Kindern, die sie – wir schreiben das Jahr 1947 – durch den allgegenwärtigen Hunger zu bringen sucht. Die Kinder sind da pragmatischer, hat der alte Nazi (Axel Prahl) doch stets Kartoffeln und Butter, läuft im picobello Dreiteiler herum und fährt ein Auto. Anna, auf der Suche nach ihrem verschwundenen jüdischen Mann (ein Litauer, wie das?), will sich darauf nicht einlassen. So beginnt in den Kulissen, die die Trümmerlandschaft von Köln nachstellen – wenn auch mit ein paar Häuserecken, die eher auf den Drehort Prag verweisen –, der Zweiteiler „Die Himmelsleiter – Sehnsucht nach morgen“ nach der Familiengeschichte des mehrfach fernsehpreisgekrönten Drehbuchautors Peter Zingler.

Von Anfang an hat der Film unter der Regie von Carlo Rola Tempo und punktet damit, keine Idylle von wegen wechselseitiger Hilfsbereitschaft zu zeigen, sondern die kleinen und größeren Nickligkeiten in einer Gesellschaft, die sich unter veränderten politischen Vorzeichen vollständig neu sortieren muss. Auf die Dauer allerdings ist es ein wenig ermüdend, die standfeste Anna gegen den Rest des Kölner Stadtviertels stets das Gute und Richtige sagen zu hören. Zum Glück für sie gibt’s den musikliebenden verwitweten Bauern Johann (Henning Baum) – vom Typ eher ein in die Eifel verirrter Westernheld –, der Klavierstunden von Anna mit Kartoffeln entlohnt und bald auch sein Doppelbett zur Verfügung stellt.

Sorgsam gebaute Kulissen und satte Streicher

Die Hamster- und Schmuggelfahrten, die alle Bewohner in wechselnder Zusammensetzung, mal die Frauen nach Kartoffeln, mal die Jungen zum Eisenbahnwaggon-Aufbrechen, unternehmen, geben des nötige Zeitkolorit. Auch der Jüngste macht mit, Sophie Roths (Sarah Horváth) unehelicher Sohn Paul, überzeugend mit der erwachenden Durchtriebenheit eines aufgeweckten Sechsjährigen gespielt von Luis Vorbach.

Aber natürlich geht alles Mögliche schief, es ist überhaupt ein bisschen viel, was sich gegen die aufrechte Anna verschworen hat. Der Altnazi Zettler, zuvor Ortsgruppenleiter, hat schon längst gute Kontakte zur belgischen Besatzungsmacht geknüpft und will Anna deren Ruinengrundstück abluchsen. Sophies angeheirateter Italiener Francesco Grasso (Adam Vacula) gerät in eine böse Intrige, Annas Eltern lassen sich von Zettler um den kleinen Finger wickeln und so weiter. Gewiss, für einen Zweiteiler müssen im ersten Teil so viele ungelöste Probleme aufgehäuft werden, dass das Publikum unbedingt den zweiten Teil sehen will, aber hier quillt eben einfach zu viel Schicksal aus den ansonsten sorgsam gebauten Kulissen (Jerome Latour) und effektvollen Nachtszenen (Kamera Nicolay Gutscher). Die Filmmusik von Christian Brandauer bewegt sich im Rahmen des Konventionellen, viel Moll, satte Streicher, melancholisches Klavier.

Tschechische Schilder am Bahnhof Köln-Eifeltor

Eine hübsche Idee ist es, Wolfgang Staudtes Nachkriegsfilm „Die Mörder sind unter uns“ in Zettlers Kneipe-plus-Kino laufen zu lassen und zwei, drei Szenen mit der jungen Knef einzublenden, die das Geschehen im Fernsehfilm spiegeln. Das ist zugleich ein Verweis auf den moralischen Anspruch dieser Drei-Stunden-Produktion, zumal es Parallelen zu Handlung von Staudtes Meisterwerk gibt. Zu selten erschrickt man jedoch über die Wohlanständigkeit der Protagonisten, die sich mit allem abfinden; so, wenn Annas Mutter mit strahlender Miene den Nazi verteidigt, der den jüdischen Ehemann ihrer Tochter verraten hatte: „Da kann doch keiner was für, das war doch’n Jüd!“

Manches geht dann in der Vielzahl der Handlungsstränge ein wenig daneben, so, wenn sich dieser irgendwann im Film auftauchende Ehemann Adam Roth (Ernst Stötzner) bei der Militärkontrolle auf einer Brücke nicht ausweisen kann, obgleich er in Mauthausen befreit wurde. Gab’s da keine tätowierten Häftlingsnummern? Stattdessen wird er sofort mit einem gesuchten SS-Offizier verwechselt und verhaftet, während effektvoll eine Dampflokomotive hinter ihm vorbeizischt. Die tschechischen Bahnhofsschilder im (vorgeblichen) Bahnhof Köln-Eifeltor hätte man übrigens entfernen können. Damenschuhe für ein Pfund Kaffee, Klaviertransport für ein rohes Ei pro Mann, Prostitution für „fünf Amizigaretten“ – der Zuschauer lernt die Naturalwährung der Zeit kennen.

Nicht nur Schwarz-Weiß im zweiten Teil

Und endlich kommt der zweite Filmteil mit dem, worauf wir schon längst gewartet haben: Karneval in Trümmerlandschaft. Der Rheinländer ist ja für seinen unverwüstlichen Frohsinn bekannt, aber halt: Der zweite Teil, den wir uns korrekterweise einen Abend später angeschaut haben, wird so richtig dramatisch. Oft auch melodramatisch, das muss vielleicht bei einer auf Familie und bessere Zukunft getrimmten Story sein. Auf jeden Fall wird’s am zweiten Abend viel spannender, und es gibt – endlich – unverhoffte Wendungen. Der Karneval spielt nicht die Rolle, die man hätte befürchten können, er bildet nur die Folie für die Charakterschweinereien, die sich nun regelrecht häufen. Und es geht dem Film nun nicht mehr um das Schwarz-Weiß von Gut und Böse wie im ersten Teil, sondern um falsche Ehrbegriffe, um blinden Gehorsam, um die Verwüstungen, die die zwölf braunen Jahre in den Köpfen und Herzen angerichtet haben.

Und Axel Prahl als unverbesserlicher Partei- und Kriegsgewinnler läuft zu absoluter Hochform auf, verschmilzt förmlich mit der Rolle. Interessanterweise auch seine zuvor verstummte, unterdrückte Ehefrau Hermine (Teresa Harder), der das Drehbuch nur eine ein wenig zu schnelle Einsicht in die Verhältnisse vorschreibt. Noch eine Nebenfigur ist hervorzuheben, der Jude Rogowski, dessen Namen Zettler arisiert hatte, gegen Bezahlung, versteht sich. Das ist ein gebrochener Charakter, der die Wahrheit nicht mehr findet, weil er der Lüge sein Leben verdankt.

"Nix mehr mit Fringsen!"

Es geht am Ende, wie es sich für einen Primetime-Film gehört, gut aus, aber eben nicht für alle. In der Schlussszene bricht eine neue Zeit an mit der Währungsreform 1948, nur der kleine Bengel Paul merkt’s nicht gleich und klaut zum zweiten Mal das Briefträgerfahrrad. Diesmal aber kriegt er die Ohren lang gezogen: „Siehste, Paul, die Zeiten ändern sich – nix mehr mit Fringsen!“, lacht Anna. Fringsen, wir erinnern uns, war die Erlaubnis des Kölner Kardinals Frings, in Zeiten bitterster Not auch mal ein paar Kohlen mitgehen zu lassen.

„Die Himmelsleiter – Sehnsucht nach morgen“, ARD, Freitag und Samstag, jeweils 20 Uhr 15

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false