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Du kriegst mich nicht. Jette (Maj-Britt Klenke, re.) und ihr Vater Urs (Sebastian Rudolph). Er möchte nicht, dass seine Tochter in der westdeutschen Provinz hängen bleibt.

© WDR/Sutor Kolonko

ARD-Familiendrama „Das freiwillige Jahr“: Von Vätern und Töchtern

Eine Geschichte vom Erwachsenwerden, bei der man nicht nach Minuten zu wissen glaubt, wie sie enden wird: Maj-Britt Klenke in "Das freiwillige Jahr“.

Jette hat ihren Rucksack gepackt. Ihr steht ein großer Schritt im Leben bevor, es geht weg von zu Hause, nach Costa Rica, wo sie ein „freiwilliges Jahr“ absolvieren will. Oder soll? Die junge Frau trottet ihrem forschen Vater Urs hinterher, und bereits die Fahrt zum Flughafen wird zu einem echten Abenteuer. Urs will nur schnell Jettes Kamera bei seinem Bruder Falk abholen. Der öffnet nicht die Tür, und während Urs immer rabiater versucht, sich Zutritt zu verschaffen, taucht Jettes Ex-Freund Mario auf.

Eine Tür und ein Dachgepäckträger gehen zu Bruch und Jettes Zukunftspläne vorerst auch. Sie steigt nicht in den Flieger und fährt – oder flüchtet? – stattdessen gemeinsam mit Mario in Papas Wagen durch die dünn besiedelte Landschaft im Kölner Hinterland. Gut gelaunt gibt Jette im Navi Venedig als Fahrtziel ein, albert in der Autowaschanlage herum. Die erste Liebe wird wieder aufgefrischt, doch am nächsten Morgen gibt es Streit. Jette läuft davon.

„Das freiwillige Jahr“ ist eine in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Produktion für den Sendeplatz des ARD-Mittwochsfilms: ein lebensnahes Familien-Drama mit Dialogen, die nicht wie ausgedacht klingen. Mit einer Geschichte vom Erwachsenwerden, bei der man nicht bereits nach wenigen Minuten zu wissen glaubt, wie sie enden wird. Keine Fernseh-Routine inklusive gut gemeinter Botschaft.

Nicht von ungefähr wurde der vom WDR in Auftrag gegebene Fernsehfilm im August 2019 zu den Filmfestspielen Locarno eingeladen. Vor der Corona-Pandemie reichte es außerdem noch zu einer Tour durch deutsche Programmkinos. Die Drehbuchautoren Ulrich Köhler, der 2011 einen Silbernen Bären für „Schlafkrankheit“ gewann, und Henner Winckler führten gemeinsam Regie. Die Dialoge entstanden bei improvisierten Szenenproben, auch war die Zahl der Dreh-Tage (27) für eine Fernsehproduktion höher als üblich. Das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen.

Doch eher bleiben in der vertrauten Umgebung

Nicht zuletzt wegen der Berliner Schauspielerin Maj-Britt Klenke, die in ihrer ersten großen Fernsehfilmrolle so natürlich und überzeugend die unentschlossene Jette spielt. Was tun mit ihrem jungen Leben? Aufbrechen und sich lösen von der engen Heimat, wie es sich der allzu dominante Vater wünscht? Oder doch eher bleiben in der vertrauten Umgebung, vielleicht auch mit Mario (Thomas Schubert) zusammen sein?

Als sie dann mit ihrem Freund „flüchtet“, wirkt Jette geradezu befreit, impulsiv, lebendig, aber auch unberechenbar. Wenn sie mit ihrem Vater zusammen ist, wird sie wieder zum Kind, das sich aufs Lieblingskopfkissen kuschelt. Maj-Britt Klenke trifft wunderbar den Ton dieser Nicht-mehr-Mädchen-noch-nicht-Frau-Lebensphase.

Großartig aber auch Sebastian Rudolph, der den alleinerziehenden Vater Urs gleichzeitig liebevoll und aufdringlich spielt. Urs ist Arzt und glaubt genau zu wissen, was gut und richtig ist. Vor allem für seine Tochter. Er ist einerseits ein starker Vater, auf den man sich gewiss verlassen kann, andererseits ein rücksichtsloser Draufgänger, der sich weder von Wohnungstüren noch von Einwänden aufhalten lässt.

Die Verunsicherung Jettes verunsichert ihn keine Sekunde, weil er sie gar nicht mitbekommt. Fulminant sind bereits die ersten Filmminuten, durch die Rudolph in Dampfwalzen-Art fegt. Später sucht Urs gemeinsam mit Marios Mutter Nicole (Katrin Röver), mit der ihn, wie sich herausstellen wird, Berufliches wie Privates verbindet, die beiden am Flughafen Verschollenen.

Nebenbei bietet „Das freiwillige Jahr“ („Das freiwillige Jahr“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15) eine lakonische Reise voller Impressionen vom Leben im provinziellen Hinterland, wo jeder jeden kennt und Wildschweine seelenruhig über die Wege trotten. Costa Rica ist weit weg und bleibt es auch.

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