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Frau am Fenster: Tag für Tag beobachtet Sylvia Blok (Imogen Kogge) ihre neuen Nachbarn. Der Neuanfang nebenan stärkt sie, doch das Glück hält nicht an.

© HR/Bettina Müller

ARD-Film am Mittwoch: Vom Riss im Leben

Der Film „Ich war eine glückliche Frau“ überzeugt als poetisches, leises Drama. Zwei Familien sind dabei auf ungewöhnliche Art miteinander verbunden.

Irgendwann kam der Riss. Wahrscheinlich hat er sich angekündigt. Aber meist will man es nicht wahrhaben, will ihn nicht sehen, diesen Riss, geschweige denn ihn spüren. Hier ist es der Riss zwischen Eva Sanders (Petra Schmidt-Schaller) und Jan Sanders (Marc Hosemann). Als sie eines Tages in ihr neues Heim einziehen, ein neues modernes Einfamilienhaus im beschaulichen Oberursel in Südhessen, unweit der Metropole Frankfurt, da ist alles gut. Mit ihren beiden Kindern Lena und Max führt die junge Familie Sanders ein ausgefülltes, erfülltes Leben. Jan ist Leiter einer Autohausfiliale, Eva übersetzt und lektoriert frei von zu Hause aus und würde bald gerne wieder fest in einem Verlag arbeiten. Die Kinder gehen zur Schule. Das Haus wird nach und nach eingerichtet. Und in den Vorgarten wird eine Blutbuche mit leuchtend roten Blättern eingepflanzt. Alles ist gut.

Nebenan, im älteren, in die Jahre gekommenen Nachbarhaus, wohnen die Bloks. Hermann Blok (Rainer Bock) und seine Frau Sylvia Blok (Imogen Kogge). Die Bloks haben sich längst eingerichtet im Leben, lange schon sind sie verheiratet, es sind Jahrzehnte. Die Bloks, sie sind der Gegenentwurf der Sanders. Oder umgekehrt. Denn alles ist hier Spiegelung. Hermann Blok geht in Pension. Bislang kam er spätnachmittags immer nach Hause und rief unten schon, im Hausflur am Treppenabsatz: „Ich bin zu Hause!“ Es klingt wie eine Rückversicherung.

Die Fensterszenen erinnern an Hitchcock

Oben, im zweiten Stock, da sitzt Sylvia Blok am Fenster. Sie beobachtet. Sie sieht zu. Sie sieht dem gelebten Leben des Paars von nebenan zu. Gut einsehbar sind Garten, Terrasse und das große, weiträumige, lichtdurchflutete Wohnzimmer mit Wohnküche. Es ist fast schon eine Theaterbühne, dort gegenüber, bei den neuen Nachbarn. Und Sylvia Blok, sie sitzt oben im ersten Rang in der ersten Reihe und blickt hinüber (was an Hitchcocks Meisterwerk „Fenster zum Hof“ erinnert). Alles nimmt sie wahr, meint sie wahrzunehmen im Leben der anderen. Wo kein eigenes Leben mehr ist, da setzt die Suche nach Ersatz ein.

Frau Blok, der es gesundheitlich nicht gut ging, blüht mehr und mehr auf. Mit dem Einzug der Sanders bewegt sie sich wieder im Haus umher. Ja, sie backt sogar wieder Kuchen. Hermann Blok staunt. Seine Frau erfreut sich des Lebens, seit sie am Leben der Nachbarn teilhat. Doch dann, eines Tages, kommen die ersten Anzeichen eines Risses im Leben der Sanders. Frau Blok spürt diesen Riss. Und es geht ihr von Tag zu Tag schlechter. Hermann Blok ist entschlossen, in das Leben der anderen einzugreifen.

Das Original schrieb Margriet de Moor

„Ik droom dus“ („Ich träume also“) lautet der Titel der 1995 erschienenen Erzählung der niederländischen Schriftstellerin Margriet de Moor, die Drehbuchautorin Edda Leesch hier für den Fernsehbildschirm adaptiert hat. „Ich war eine glückliche Frau“ lautet der Titel des Fernsehfilms, der auf beide Frauen passen mag: Sowohl die junge Eva als auch die etwas ältere Sylvia sind zuweilen glücklich zu erleben. Ein Doppelgänger-Motiv. Erzählt wird in elliptisch angelegten Rückblicken also vom Glück und Unglück der Sanders und der Bloks, die, einseitig umeinander wissend, beinahe ein symbiotisches Verhältnis zueinander haben. Das Leben der jungen Sanders spiegelt sich im Leben der älteren Bloks. Nur, umgekehrt, da funktioniert das symbiotische Röhrensystem nicht.

Das Glück kann man nicht festhalten

Dass man das Glück nicht festhalten kann, dass es immer wieder nur Momente da ist, wenn überhaupt, und man es dann erkennen, wertschätzen sollte, auch davon handelt dieser Stoff. So banal dies vermeintlich klingen mag, so groß, ja, so herausragend ist dieser poetische, melancholische Film. Ganz still, ganz leise wird das alles in der einfühlsamen Inszenierung von Martin Enlen erzählt. Äußerlich geschieht nichts. Alles Geschehen ist hier im Inneren verankert. Eine äußere Metapher lediglich für den sich abzeichnenden Bruch im Leben der Nachbarn ist Jans dringendes Bedürfnis, die beim Einzug neu gepflanzte Blutbuche unbedingt zu versetzen. Dann läge weniger Schatten auf der Terrasse. Es ist die erste von vielen Veränderungen, die Jan initiieren wird. Doch die umgepflanzte Rotbuche, sie schlägt im nächsten Frühjahr nicht mehr aus. Es kommen keine leuchtend blutroten neuen Blätter mehr. Die Äste bleiben kahl. Der Baum ist tot.

TV: „Ich war eine glückliche Frau“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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