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Schrei der Verzweiflung: Milan Schultzes (Merlin Rose) Annäherungsversuch an einen Schulfreund geht gründlich schief.

© MDR/UFA Fiction/Michael Kotschi

ARD-Film "Aus der Haut": Coming-out im Eigenheim

„Aus der Haut“ ist ein gelungenes Familiendrama von „Homevideo“-Autor Jan Braren. Es beschäftigt sich auch mit den Vorurteilen der gehobenen Mittelschicht.

Wie reagieren aufgeklärte Eltern heute, wenn ihr 17-jähriger Sohn sein Coming-out hat? „Okay. Das ist doch in Ordnung. Das freut mich für dich, dass du das rausgefunden hast. Und dass du uns das erzählst“, sagt der überraschte Vater spontan. Und die Mutter „freut sich auch“. Als beide alleine sind, ist die Begeisterung getrübt, aber nur leicht. Dass sie nie Enkelkinder bekommen würden, das sei dann doch schade, sagt Susann Schultz (Claudia Michelsen). Doch die Hoffnung überwiegt, dass sich nun alle Probleme ihres verschlossenen, gereizten und Drogen konsumierenden Sohns in Luft auflösen. „Milan schwul – endlich normal“, seufzt Gustav Schultz (Johann von Bülow). Man nimmt ihm die Erleichterung ab, aber so einfach wird die Sache natürlich nicht.

Das ARD-Drama „Aus der Haut“ an diesem Mittwoch beginnt mit einer krachenden Vorblende: Milan (Merlin Rose) hat eine Freundin, fühlt sich aber zu seinem guten Schulfreund Christoph (Leonard Proxauf) hingezogen. Als der ihn besucht, während die Eltern verreist sind, wagt Milan einen Annäherungsversuch, der allerdings gründlich schiefgeht. Christoph flüchtet, Milan setzt sich, bekifft und mit Alkohol abgefüllt, hinters Steuer, baut mit dem Auto der Eltern einen Unfall und landet im Krankenhaus. Später findet der Vater im Wrack des Autos auf dem Schrottplatz einen Abschiedsbrief.

Für "Homevideo" hat Jan Braren viele Auszeichnungen erhalten

2012 hat Autor Jan Braren mit dem Drehbuch für „Homevideo“ nahezu alle wichtigen Preise in Deutschland abgeräumt. Die Parallelen sind unübersehbar. Auch in „Aus der Haut“ erzählt Braren von der Identitätsfindung eines jungen Mannes, und erneut dient die Familie als dramatisches Spielfeld. Milan ist verwirrt, verängstigt, wütend – ein junger Mann, der unter großen Spannungen leidet, dem die eigenen Gefühle noch fremd sind und der sich zugleich davor fürchtet, dass irgendjemand von seinen Wünschen und Träumen erfährt. Zugleich rückt die Beziehung der Eltern, die sich nach den Jahren der Kindererziehung wieder mehr um ihre Karriere kümmern wollen, gleichberechtigt in den Fokus. Ärztin Susann hat eine eigene Praxis eröffnet, Architekt Gustav erwägt, eine neue Stelle im fernen Berlin anzunehmen. Der Selbstmordversuch Milans sorgt für Zweifel und Verunsicherung. Die Eltern kümmern sich, finden aber nach wie vor kaum einen Zugang zu ihrem Sohn.

Unspektakulär und realitätsnah wird erzählt, wie die Beziehungen in diesem Dreieck in Bewegung sind, wie das familiäre Gerüst wackelt. Susann trifft sich mit einem alten Freund, Gustav sucht Zuflucht in der neuen beruflichen Herausforderung, Milan hat sein erstes sexuelles Erlebnis mit dem älteren Harro (Manuel Rubey). In Sachen Spannung und Intensität kann der Film mit „Homevideo“ zwar nicht mithalten, dennoch gelingt Braren und Regisseur Stefan Schaller („5 Jahre Leben“) ein differenziertes Familiendrama aus der gehobenen Mittelschicht, mit einem überzeugenden Darsteller-Trio Rose, Michelsen, von Bülow, mit einem cleveren Ende und fernsehtypischen Schwächen wie der bisweilen etwas aufdringlichen Musik.

Die Welt der Schwulen wird klischeehaft gezeichnet

Das Milieu ist gut getroffen. Ein Coming-out muss auch für einen Jugendlichen in einem angeblich aufgeklärten Umfeld nicht zwangsläufig eine einfache Sache sein. Als Milans Homosexualität bekannt wird, zeigt sich, dass in der bürgerlichen Eigenheim-Idylle noch reichlich Vorurteile blühen. Milan bekommt dies in der Umkleidekabine der Turnhalle, Mutter Susann bei einem Elternabend zu spüren. In ihrer Scham und Verzweiflung bröckelt auch die Toleranz: „Warum kann denn unser Sohn nicht so normal sein?“, fragt sie ihren Mann. Die Welt der Schwulen ist dagegen pures Klischee: Künstler im leicht schäbigen Altbau, eine tuntige Bohème, die gerne Jungs wie Milan vernascht und dann zum Teufel schickt. Das ist doch etwas simpel und plakativ.

- „Aus der Haut“, ARD, Mittwoch 20 Uhr 15

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