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Böse Erinnerungen, schöne Gegenwart. Der Tscheche Martin Burian (Mario Adorf, Mi.) und seine Schwiegertochter Sylva (Veronica Ferres) sollen beim Karaoke auf dem Luxusdampfer mitmachen. Foto: ARD/Degeto

© ARD Degeto/Mona Film/Stefan Hari

ARD-Film: Das Albtraumschiff

Im ARD-Film „Die lange Welle hinterm Kiel“ gibt Christiane Hörbiger eine kratzbürstige Dame, die auf Rache aus ist. Mit an Bord - eine Waffe und Veronica Ferres.

Jede Medaille hat ihre Kehrseite, und kein Ereignis bleibt ohne Folgen. Sicher, das sind gleich zwei Binsen, doch bereits der Titel von Pavel Kohouts Roman „Die lange Welle hinterm Kiel“ verdeutlicht die Parabelhaftigkeit der Handlung. Dabei beginnen Buch und Film wie eine der üblichen Kreuzfahrtgeschichten. Diese hier trägt sich im Jahr 1990 zu: Die Passagiere kommen an Bord, und zwei erfahrene Mitglieder der Besatzung tauschen böse Kommentare über ihre Gäste aus. Schon bald weicht die heitere Atmosphäre auf dem Luxusdampfer bitterem Ernst. Margarete Kämmerer (Christiane Hörbiger), deren Reichtum es ihr erlaubt, alle nur erdenklichen Gemeinheiten ausleben zu können, ist wie vom Donner gerührt, als sie am Tisch hinter sich eine altvertraute Stimme vernimmt. Dort sitzt Martin Burian, der 1945 für die Erschießung ihres ersten Mannes Sepp verantwortlich war. Margarete will Rache. Und sie hat eine Pistole.

Im Unterschied zum Buch kann ein Film auf ganz andere Weise die Tiefe der Figuren ausloten. Weil Burian von Mario Adorf verkörpert wird, nimmt man diese Figur zunächst als sympathischen älteren Herrn wahr. Durch das Wissen um Burians Vorgeschichte ändert sich der Blick naturgemäß; plötzlich entdeckt man die Schattenseiten dieser Figur.

Autor Klaus Richter und Regisseur Nikolaus Leytner treiben das Spiel noch weiter. Margarete Kämmerer ist in Begleitung ihres Großneffen Sigi (Christoph Letkowski). Sie gestattet ihm einen seltenen Einblick in ihr Gefühlsleben, als sie ihm erzählt, was sich damals zugetragen hat, als die Tschechen 1945 nach der Befreiung durch die Rote Armee blutige Rache an den Sudetendeutschen genommen haben.

Entsprechende Rückblenden untermauern ihre Sicht der Ereignisse, und Rückblenden im Film dürfen einem ungeschriebenen Gesetz zufolge ja nicht lügen. Geschickt nutzt Nikolaus Leytner allerdings das gleiche Bildmaterial, um ähnlich wie einst Regisseur Akira Kurosawa in seinem Meisterwerk „Rashomon“ zu beweisen, dass eben nicht die Bilder über Lüge und Wahrheit entscheiden, sondern die Perspektive. Der Tscheche Burian ist in Begleitung seiner Schwiegertochter Sylva (Veronica Ferres). Sigi, ohnehin angetan von der älteren Frau, zieht Sylva ins Vertrauen, und nun erfährt man die andere Seite. Für Margarete mag Sepp vor allem ihr geliebter Mann gewesen sein. Für den Tschechen Burian war er ein Nazi, der unter anderem auch seinen Bruder auf dem Gewissen hatte. Böse Erinnerungen.

Richter stand bei seiner Adaption vor gleich zwei Herausforderungen: Wie der Roman von Kohout, so durfte auch der Film keine Sympathie für die eine oder die andere Seite erkennen lassen. Vor allem deshalb war Pavel Kohout ja auf die Idee mit der Schiffsreise gekommen: Auf diese Weise hatte keine seiner beiden Hauptfiguren einen Heimvorteil.

Gleichzeitig musste deutlich werden, dass beide, Tschechen wie Sudetendeutsche, sich auch heute noch unter dem Einfluss längst vergangener Trugbilder befinden, wie der Schriftsteller im Nachwort seines Romans schreibt. Fast noch entscheidender aber war noch eine zweite Aufgabe. Richter und natürlich auch Leytner mussten unbedingt vermeiden, dass Margarete Kämmerer und Martin Burian plakative Übermittler einer Botschaft und somit zu Statisten eines Thesenfilms werden.

Dass dieses den Machern gelungen ist, hat naturgemäß auch mit den Darstellern zu tun. Margarete wird als Frau eingeführt, deren Lebenselixier ihre Bosheit zu sein scheint. Das ist nun wahrlich keine Herausforderung für die großartige Christiane Hörbiger, solche Kratzbürsten hat sie gerade in den letzten Jahren zur Genüge verkörpert. Doch der Panzer bricht ja, und mit den Konturen, die man nun wahrnimmt, gewinnt auch die Figur an Tiefe.

Gleiches gilt für Mario Adorf. Das darstellerische Kräftemessen zwischen diesen beiden großen Schauspielern, die für diesen Film erstaunlicherweise zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera standen, macht „Die lange Welle hinterm Kiel“ zu einem ganz besonderen Werk. Da können Veronica Ferres und der junge Christoph Letkowski naturgemäß nicht ganz mithalten. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass die Repräsentanten der versöhnten Enkelgeneration der behaupteten Melancholie zum Trotz bei Weitem nicht so vielschichtige Persönlichkeiten sind wie die beiden Hauptfiguren.

„Die lange Welle hinterm Kiel“,

ARD, 20 Uhr 15

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