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Alter schützt vor Liebe nicht? Witwer Georg (Matthias Habich) fährt Sylvia (Angela Winkler) im schicken Oldtimer spazieren.

© dpa

ARD-Film "Das Gewinnerlos": Falten bedeuten nicht Einfalt

Der Film „Das Gewinnerlos“ setzt erfreulicherweise die Wiederbelebung des Ü-70- Menschen im Fernsehen fort - und zeigt: Echtes Glück hat nur der Unglückliche.

Da tanzen sie wie zwei Rumpelstilzchen ums lodernde Gartenfeuer. Georg Freudenreich (Matthias Habich), der grantige Witwer, und sein Schwager Heinrich (Peter Franke). Ach, wie schön, dass jeder bald weiß, dass sie dank ihres gemeinsamen Lottogewinns so einsam und zornig weiterleben können wie bisher. Der ehemalige Brückenbauer Freudenreich, der eigentlich Jammerreich heißen müsste, weil er unbedrängt von seinen Kindern in seiner verlotternden Villa weiterleben und dort tun möchte, was er am liebsten tut: mit Gott und der Welt über den Tod seiner Frau hadern. Und Heinrich, der im Heim lebt und nun mit der neuen Freiheit des Geldes auf innere Befreiung hofft, hat gut tanzen, weil er sich nicht einzugestehen braucht, dass sein inneres Glück nichts mit Kohle zu tun hat. Geld, so hofft er, macht Verdrängen leichter.

Das dramaturgische Katharsisgebot gilt lebenslänglich

Aber die spontane Fete der alten Zausel ist so irreal inszeniert (Regie: Patrick Winczewski), dass der Zuschauer ahnt: Die Glücksfee wird nicht kommen und alles gutmachen. Die gehobene Fernsehunterhaltung mag keine niederen Wunder mehr, sie will auch ein bisschen erziehen, sonst werden einige der Kritiker böse. Lessing und sein dramaturgisches Katharsisgebot gelten lebenslänglich. Auch der alte Mensch darf nicht ohne innere Reinigung einfach per Lottoschein ins Land des späten Glücks entkommen. Auch er muss von Illusionen Abschied nehmen, bereuen, trotz seines Ü-70-Status an sich arbeiten und die Weisheitsbelehrungen des Unterhaltungsfernsehens über sich ergehen lassen, bis er als geläuterter Degeto-Senior glücklich und artgerecht vergreisen darf.

Also: Der Lottoschein ist weg. Hat Schwager Heinrich ihn versust? Freudenfeuer aus. Das Licht der Vernunft an. Und einen Moment lang schwant dem Zuschauer Dunkles: Jetzt hebt eine vielleicht triefige Belehrung darüber an, dass Glück nur als inneres Glück funktioniert und man durch Gefühlsbereicherung viel reicher wird als durch alles Geld. Und dass man wie bei Max und Moritz dieser Weisheit Lehre mit Vergnügung hören solle, auf dass alle moralinen Lehrer Lempel zufrieden sind.

Die Verstorbene erscheint dauernd aus dem Jenseits

Zum Glück kämpft das Drehbuch von Edda Leesch („Wohin der Weg mich führt“, „Als meine Frau mein Chef wurde“) gegen die Klischees des „Problemfernsehens mit Ermahnungscharakter“ an und landet nicht im „Tragik-Kitsch“ („FAZ“), wie es im März Habich und Thekla Carola Wied im ZDF-Demenzdrama „Sein gutes Recht“ widerfuhr.

Ein erlesenes Ensemble verhindert die sentimentalische Überwältigung des alten Menschen: neben Habich und Franke Angela Winkler und Dietrich Mattausch. Habich („Friedrich Freiherr von der Trenck“, „Klemperer – Ein Leben in Deutschland“) spielt von Anfang an den trauerkranken Witwer als äußerlich vitalen Antihelden, der die von seinen besorgten Kindern geschickten Makler mit dem Gewehr bedroht – kohlhaas-trotzig ungerecht und mit verwundetem Herzen zugleich, weil der Tod ihm seine Frau genommen hat. Dass die Verstorbene dem widerborstigen Witwer dauernd aus dem Jenseits erscheint, ist vielleicht kein so guter Drehbucheinfall in diesem sonst ganz diesseitigen Stück.

Die beiden Pechvögel kaschieren das entgangene Lottoglück

Auf Franke als Schwager wartet eine schauspielerisch äußerst schwere Aufgabe. Die Turbulenzen um den Lottogewinn öffnen eine innere Wunde: seine homosexuelle Veranlagung nie ausgelebt zu haben. Im Heim gibt es einen schwulen Tanzlehrer (Mattausch), der Heinrichs Tragödie spürt und sich ihm zuwenden möchte. Der Film hält sich klugerweise mit erotischen Details zurück und liefert die betagten männlichen Liebesbackfische nicht dem Voyeurismus aus.

Das durch rätselhafte Schlamperei entgangene Lottoglück versuchen die alten Pechvögel zu kaschieren. Nichtsahnende Firmen empfehlen sich bei den falschen Lottokönigen mit Gratisgeschenken, teure Lokale schmeißen kostenlose Bewirtungen, die Tochter Freudenreichs freut sich darauf, ihre Lebenspläne im Ausland zu verwirklichen und die Sorge um den betreuungsbedürftigen Vater mit dem Lottogeld loszuwerden. Dann bricht das Pseudoglück endgültig zusammen. Eine irre Alte, die als selbstberufene Putzfrau durch Heinrichs Heim wienert und unbefugt mit Ersatzschlüssen die Zimmer öffnet, hat die Lottoquittung unwiederbringlich entsorgt. Der aufgescheuchte Freudenreich hat nun alles verloren, will schon seine Tochter informieren, da zieht er einen wirklichen Hauptgewinn, den es ohne Schein gibt: Die Ex-Schauspielerin Sylvia (Angela Winkler), wie der Schwager Heiminsassin, macht sich an Georg heran und rettet durch tollkühnes Theater den trotzigen Trauerkloß vor den Ängsten der Tochter. Die Mimin Sylvia behauptet kurzer Hand, sie sei schon lange Georgs heimliche Liebe. Das beruhigt die Tochter. Zwar ohne Lottomillionen, aber mit Partnerin kann sie den Alten alleinlassen.

Die widerspenstige Zähmung mündet in Liebe

Die nun folgende Zähmung des widerspenstigen Witwers, die zum Schluss – wie kann es anders sein? – in Liebe mündet, ist eine wunderbare Katharsis-Vorführung der wunderbaren 68er Schauspielerin Winkler („Die verlorene Ehre der Katharina Blum“). Sie fesselt den Zuschauer mit dem Selbstfindungstheater, das Theaterspielen loszuwerden. Paradox, aber beeindruckend. Sylvia war nämlich nie, die sie war, sie wollte Liebe und Geborgenheit mit Schauspielerei erzwingen, was immer in der Einsamkeit endete. Auch jetzt bei Heinrich scheint das so, wäre da nicht der Moment, in dem alle Selbstschutzmauern des Alters spät, aber nicht zu spät, zusammenbrechen. Winkler zaubert diesen Moment zart und unwiderstehlich als wahre Wahrheit auf ihr zerträumtes Gesicht.

„Das Gewinnerlos“ setzt erfreulicherweise die Wiederbelebung des Ü-70- Menschen im Fernsehen fort. Falten bedeuten nicht mehr nur Einfalt. Das Grimme-Preis ausgezeichnete „Alterglühen“, ein hellsichtiges Blind-Dating-Spiel über die Kompliziertheit der Liebeschancen in den letzten Jahren – auch hier spielten Habich und Winkler groß auf – sowie der jüngste gezeigte Film „Global Player – Wo wir sind isch vorne“ mit dem schwäbischen Urgestein Walter Schultheiß als einsichtsfähigem Firmenpatriarch – belegen die Absicht, den alten Menschen in das Spiel der Selbstfindung einzubeziehen und ihn nicht vorzeitig im Kitschgrab zu beerdigen. Wenn das kein Gewinnerlos ist.

„Das Gewinnerlos“, ARD, Freitag, um 20 Uhr 15

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