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ARD/ZDF online: Klugheit 2.0

Alles, nichts, oder? Der Streit um ARD/ZDF im Web muss die Debatte um Grenzen und Abgrenzung überwinden. Es geht um die richtigen Schwerpunkte - wie wäre es beispielsweise mit einer e-Universität mit anderen Medien und Institutionen?

Nehmen wir für einen Moment an, ARD und ZDF wären tatsächlich öffentliche Angelegenheiten. Wir könnten mitreden, mitgestalten. Die Öffnung zu den Zuschauern, Hörern und Lesern würde gesucht. Es ginge um Dialog, ja lebendige Demokratie. Betrachten wir die Sender einmal nicht als Anstalten, die vor allem in Konkurrenz zu anderen Medienhäusern stehen, sondern als Diener einer demokratischen Öffentlichkeit. Das hätte weitreichende Konsequenzen für die Onlinestrategie beider Institutionen. Nicht auf „Sendungsbezug“ und „Begrenzung“ wäre zentral zu achten, sondern auf die jeweilige öffentliche Sinnstiftung.

Boulevardsendungen von ARD und ZDF können im Fernsehen noch durch den „audience flow“ legitimiert werden. Sie gelten als Mittel, die Zuschauer „abzuholen“, um sie dann auch der Information zuzuführen. Das Netz funktioniert anders. Da solle man das machen, was man am besten kann, der Rest sei Verlinkung, sagt der Google-Apologet Jeff Jarvis. Selbst wenn man ihm so absolut nicht folgt, offenkundig ist: Boulevard können die anderen besser. Im Netz gibt es genug davon: international vom TMZ.com bis Perez Hilton; national von Bunte.de bis zur „Panorama“-Rubrik von „Spiegel online“. Da sind Onlineauftritte von „Brisant“ und „Leute heute“ schlicht überflüssig.

Die politische Öffentlichkeit aber kann man nicht in gleicher Weise getrost dem Markt überlassen. Vieles ist schon möglich: Wer interessiert ist, kann im Blog lesen, wie der „Tagesschau“-Chefredakteur die Kachelmann-Berichterstattung rechtfertigt. Er kann im Youtube-Kanal von Maybrit Illner per Video Fragen hochladen, beim „Hartaberfair“-Faktencheck Daten beispielsweise zur Verschuldung nachschlagen oder bei „Anne Will“ mitdiskutieren über die Gesundheitsreform. Jede Redaktion hat ihren Internetauftritt. Es gibt viele Angebote, aber keine Bündelung. So sei eben das Web2.0, glauben einige. Falsch. Gerade im Datenhaufen kommt es auf die Struktur der Zugänge an. Würden ARD und ZDF alle Kraft auf die Portale tagesschau.de und heute.de legen – sie könnten tatsächlich wie die BBC in Großbritannien die Konkurrenz massiv bedrängen. So aber sind diese Seiten ein Angebot unter vielen. Zum Glück, werden manche Verleger sagen. Dabei könnte eine gut strukturierte öffentliche Debatte auch für sie sinnvoll sein, verstünden sich ARD und ZDF nicht zuerst als Konkurrenten, sondern als Plattformanbieter. Warum finden die Großdebatten zu den wenigen wichtigen Themen – sagen wir: Afghanistan, Schulden und Steuern, Euro-Stabilität, Gesundheitsreform – nicht zentral auf tagesschau.de oder heute.de statt. Die Grundidee des Netzes ist die Verlinkung. Noch aber werden die Onlineredaktionen allenthalben angewiesen, vor allem intern zu verlinken, um die User nur ja auf der eigenen Seite zu halten.

Kein Wunder, dass alle relevanten journalistischen Seiten ihren Traffic vor allem über Google bekommen. Da die Nachrichten-, Magazin- und Talkredaktionen ohnehin mit dem journalistischen Material aus Zeitungshäusern und Magazinen arbeiten, warum soll es zur Großdebatte nicht eine redaktionell gewichtete Verlinkung zu „Spiegel“ und „Bild“, „SZ“ und Tagesspiegel, „FAZ“ oder „FTD“ geben, die den Verlagen zugleich eine faire Verwertungschance eröffnet? Und könnten nicht auch die Watchfunktionen gegenüber Abgeordneten und Behörden im öffentlich-rechtlichen Webangebot viel stärker betont und ausgebaut werden?

Der ARD-Programmdirektor Volker Herres nannte Lena ein „ARD-Gesicht“. Prompt tat diese kund, das „TV Total“-Studio sei ihre Heimat. Die Chefs von ProSieben konnten feixen. Da ist es wieder, das alte Konkurrenzdenken. Vielleicht war aber die Kooperation von ARD und ProSieben ein Vorbote für ein neues Selbstverständnis der ARD. Sie könnte den Gedanken, vor allem eine Plattform zu sein, prägnant umsetzen.

Als das Fernsehen Massen- und Leitmedium wurde, boomte auch die Idee, es für Kultur und Bildung zu nutzen. Im Telekolleg gab es sogar zertifizierte Abschlüsse. Auf dem Weg zur Unterhaltungsmaschinerie haben die Sender diese Ansätze liquidiert. Heute ist Bildung noch wichtiger und deren Vermittlung viel besser möglich. Man stelle sich nur einmal vor, es gäbe gut ausgestattete Redaktionen, die nichts anderes täten, als bereits vorhandenes Material zu Nanotechnik und Reichsgründung, Stauffenberg oder Konrad Lorenz multimedial aufzubereiten. Es stünde zum Download bereit für Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen; selbst die erste e-Universität wäre kaum ohne ARD oder ZDF denkbar. Jetzt müsste in ganz neuer Dimension – eben multimedial – mit der Renaissance des Bildungsauftrags begonnen werden. Natürlich wieder in Kooperation mit Fachverlagen, anderen Medien, privaten und öffentlichen Institutionen.

Dazu müssten allerdings andere Prioritäten gesetzt werden. Das öffentlich-rechtliche Onlineideal würde nicht lauten: möglichst alles irgendwie mitzumachen, sondern Schwerpunkte zu setzen, um gezielt das Mitmachen zu fördern.

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