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Nach seinem Foul an Patrick Battiston (blau) galt Toni Schumacher (rot) bei den Franzosen als Fußball-Nazi.

© imago sportfotodienst

Arte-Doku über Fußball-Rivalität: Deutschland und Frankreich - "Ziemlich beste Gegner"

Ins Koma gerannt: Mit „Ziemlich beste Gegner“ dokumentiert Arte die reiche deutsch-französische Fußball-Geschichte. Man denke nur an Schumacher und Battiston.

Clément Tomaszewski trägt gerne Blau – vermutlich auch dann, wenn kein Fernsehteam in der Küche seines Hauses in Antibes anwesend ist. Seine Leidenschaft für „Les Bleus“, die französische Fußball-Nationalmannschaft, koste ein Vermögen, klagt seine Frau Élliete. „Aber wir sind doch Erinnerungsmillionäre“, beschwichtigt Clément beim Gemüseschnippeln. Tomaszewski ist als Frankreichs größter Fan zu einiger Prominenz gekommen. Er reist zu jedem Spiel der Blauen, sein Hahn Balthazar gilt seit dem WM-Sieg 1998 im eigenen Land als das Maskottchen der Équipe tricolore. Allerdings ist der erste Balthazar angeblich gekidnappt worden. Von einem Adler. Bei einem Grillfest.

Ob man Tomaszewski diese Geschichte vom Wappentier der Deutschen, das den gallischen Hahn raubt und verspeist, glauben darf, spielt eigentlich keine Rolle, so fabelhaft ist sie. Sie passt auch zum französischen Trauma, dem WM-Halbfinale 1982 in Sevilla, einem epischen Fußball-Drama.

3:1 führte „Les Bleus“ bereits in der Verlängerung und verlor doch noch im Elfmeterschießen. Außerdem hatte Torhüter Toni Schumacher den Franzosen Patrick Battiston ins Koma gerammt – das üble Foul und Schumachers zur Schau gestellte Gleichgültigkeit weckten bei den Nachbarn böse Erinnerungen und führten zu entsprechenden Schlagzeilen.

Schumacher war so etwas wie der Fußball-Nazi, Wochen später musste ein öffentlich zelebrierter Handschlag zwischen Battiston und ihm wieder für Entspannung sorgen. „Ich bin weltbekannt, weil ich mit einem deutschen Torwart zusammengeprallt bin“, erinnert sich Battiston mit ironischem Unterton in Albrecht Knechtels Dokumentation „Ziemlich beste Gegner“.

Die ehemaligen Erzfeinde sind, was ihre gemeinsame Fußball-Geschichte betrifft, tatsächlich „Erinnerungsmillionäre“, und das nicht nur im Guten. Ehrengast bei der letzten Länderspiel-Begegnung am 13. November 2015, die zu den Zielen der islamistischen Attentäter in Paris gehörte, war auch Just Fontaine, der bis heute mit 13 Toren Rekordtorjäger bei einer WM ist. Vier davon erzielte er 1958 im Spiel um Platz drei – gegen Deutschland. Fontaine stand für den Film ebenso Rede und Antwort wie zahlreiche andere prominente Ex-Spieler, von Karlheinz Förster bis Jürgen Klinsmann, von Alain Giresse bis Bixente Lizarazu.

„Ich bin stolz, Berliner zu sein“

In den Mittelpunkt rückt Knechtel den in Mannheim geborenen Deutsch-Franzosen Gernot Rohr, der als Spieler und Trainer bei Girondins Bordeaux zur Ikone wurde. Dank Rohr, dessen Großonkel Oskar „Ossi“ Rohr bereits als deutscher Nationalspieler nach Frankreich wechselte und deshalb zum Vaterlandsverräter abgestempelt wurde, gelingt in dem Film die Verbindung von geschichtskundigem Fachwissen und Lebensgefühl. In einer der beeindruckendsten Szenen sieht man Frankreichs sozial engagierten Rekordnationalspieler Lilian Thuram bei einer Diskussion mit Schülern über Homosexualität und Rassismus.

In Frankreich galten die Fußballer schon nach dem WM-Sieg 1998 als Vorbild in Sachen Integration, und mit der Nachwuchsakademie Clairefontaine setzte der französische Verband Maßstäbe. Bei der WM 2010 in Südafrika zerlegte sich das französische Team dagegen durch interne Streitigkeiten selbst, 2014 war im Viertelfinale Endstation – gegen Deutschland. Heute seien die Deutschen bei der Integration erfolgreicher, sagt Willy Sagnol, einst Publikumsliebling beim FC Bayern.

Danach spielt Knechtel den Archivschnipsel ein, der Jérôme Boateng bei der WM-Feier 2014 auf der Fanmeile zeigt. „Ich bin stolz, Berliner zu sein“, ruft Weltmeister Boateng unter dem frenetischen Jubel der Menge. Klingt super, aber den breiten multikulturellen Konsens gab es schon damals vermutlich nur im Taumel des WM-Sieges.

„Ziemlich beste Gegner“; Arte, Dienstag, 20 Uhr 15

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