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Wer ist schuld an dem Sexismus? Womöglich junge, weiße Männer, die Algorithmen so programmieren, dass nur sexualisierte Bilder gelikt werden, wie beim Food-Porn.

© arte

Arte-Doku über Instagram: Instagram macht alles gleich

Wer ist schuld an diesem Sexismus? Eine Arte-Dokumentation über die Metamorphosen der trendigen Fotosharing-App.

Als Kevin Systrom und Mike Krieger, zwei IT-Tüftler aus Kalifornien, vor gut zehn Jahren an den Start gingen, hatten sie eigentlich etwas Exklusives im Sinn. Systrom wusste noch, wie man hochwertige analoge Fotos im Chemiebad entwickelte. Dagegen hatten iPhone-Schnappschüsse seinerzeit noch eine bescheidene Qualität. Auf ihrem kostenlosen Onlinedienst sollten Nutzer daher die Möglichkeit erhalten, hochgeladene Bilder nachträglich aufzuhübschen. So, dass sie wie „echte“ Fotos aussahen.

Die mit wenigen Klicks mögliche Nachbearbeitung wurde zum Markenzeichen der neuen Plattform. Ausgefuchste digitale Filter ließen die geteilten Bilder nicht nur cool aussehen. Sie verliehen den Fotos zugleich einen unverwechselbaren Look und ließen sie alle irgendwie gleich aussehen. An den Start ging damit ein schillerndes neues Tool, das die Spielregeln digitaler Kommunikation rasant aufmischen sollte. („Instagram – Das toxische Netzwerk“, Arte, Dienstag, 21 Uhr 40)

In seiner Dokumentation auf Arte verdeutlicht der französische Filmemacher Olivier Lemaire, wie diese neue App die Ära des mobilen Internets prägte. Facebook dagegen war mit seiner Textlastigkeit und seiner komplexen Benutzeroberfläche noch ein Tool aus dem Zeitalter von Desktop-Computern.

Mit der Fixierung auf das Bild ist Instagram eines der erstes Netzwerke, die aus der Verwertungslogik des Smartphones mit integrierter Kamera hervorging. Bereits drei Monate nach dem Start zählte man über eine Million Nutzer. Die Hipster-App, auf der kunstvolle Street-Art gepostet wurde, erweckte rasch das Interesse von Prominenten. Das erste Selfie von Justin Bieber kam so gut an, dass die Anzahl der Aufrufe die Server lahmlegte.

Die Kardashian-Schwestern erahnten das Potenzial an Selbstinszenierung und wurden die ersten Ikonen des neuen Netzwerks. Schon im ersten Jahr zählte Instagram über zehn Millionen Nutzer. Die neue Fotosharing-App würde bald alle anderen sozialen Netzwerke überholen. Also unterbreitete Mark Zuckerberg 2012 den Konkurrenten ein Angebot, das diese nicht ablehnen konnten.

Problematische Form von Selbstinszenierung

Die Kaufsumme von einer Milliarde Dollar – wohlgemerkt, für eine App, die bis dahin keinen Cent Profit erwirtschaftet hatte – sorgte für ungläubiges Staunen. Doch Zuckerbergs Konzept ging voll auf. Im Zuge der Kommerzialisierung veränderte Instagram Mode, Marketing und Werbung radikal – und wurde zur Gelddruckmaschine.

Ob internationaler Markenartikler oder Handwerker um die Ecke, ob pubertierender Teenager oder Fußballstar: An zahlreichen Beispielen verdeutlicht der Film, wie jeder Schnappschuss, jeder Blick auf den Alltag sich mehr und mehr auf die Frage einengt: Ist das auch Instagram-tauglich?

Kurios ist die „Instagramisierung“ des Tourismus. Reisende jetten an exotische Orte. Nicht weil es dort schön ist. Sondern um ein Foto nachzustellen, das ein Influencer zuvor von dort aus gepostet hat. Diese Gleichschaltung hat auch den kulinarischen Bereich ergriffen: Appetitlich ist das, was einen Instagram-Look hat. Food-Porn nennt sich die obszön anmutende Aufbereitung veganer Burger für den Fast-Food-Blick auf den Smartphone-Bildschirm.

Den Fokus richtet die Dokumentation vor allem auf eine problematische Form von Selbstinszenierung. Sie zielt mehr und mehr auch auf Uniformisierung der äußeren Erscheinung ab. Laut dem Schönheitschirurgen Michael Salzhauer, genannt „Dr. Miami“, lassen Frauen immer häufiger ihren Körper einem Instagram-Foto angleichen. Diese Optimierung des Aussehens folgt einem Trend zu einer zunehmend vulgäreren, softpornoartigen Selbstdarstellung.

Wer ist schuld an diesem Sexismus? Sind es junge, weiße Männer, die Algorithmen so programmieren, dass nur sexualisierte Bilder gelikt werden? So ganz überzeugt diese These nicht. Sehenswert ist der Film, weil er eines zeigt: Die lange Zeit belächelte These von Horkheimer und Adorno, gemäß der Kulturindustrie „alles mit Ähnlichkeit schlägt“, wurde durch Instagram auf gespenstische Weise bestätigt.

Manfred Riepe

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