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Sich ganz auf den Feind einstimmen, das war die Aufgabe von NSA-Mitarbeiter Jeffrey M. Carney. Für die Stasi zu spionieren, gehörte nicht dazu.

© MDR/Astfilm

Arte-Dokumentation: Der Spion, der von der NSA kam

In der Arte-Mediathek ist die unglaubliche Geschichte des Sergeant Jeffrey Carney zu sehen, der in den Achtzigern für die Stasi arbeitete und 1991 von der NSA in Tempelhof entführt wurde.

Es gibt noch Hoffnung für Edward Snowden. Hoffnung darauf, in vielen Jahren vielleicht wieder ein freier Mann sein zu können, der sich unbehelligt in der Öffentlichkeit bewegen kann. So wie Jeffrey M. Carney, der NSA-Mann, der in den 1980er Jahren heimlich für die ostdeutsche Stasi gearbeitet hatte und dafür später einen hohen Preis zahlen musste, wie die Arte-Dokumentation „Ein Stasi-Maulwurf bei der NSA – die unglaubliche Geschichte des Sergeant Carney“ erzählt, die jetzt hier in der Arte-Mediathek zu sehen ist.

Im Jahr 1983, als Jeffrey M. Carney einen für ihn schicksalhaften Fehler beging, war die NSA noch das, was man einen Geheimdienst nennen kann. Eine weithin unbekannte Einrichtung, die selbst bei Insidern nur „No such agency“ hieß. Umso größer war der Wert des NSA-Mitarbeiters für das Ministerium für Staatssicherheit. Erstmals erfuhr die Stasi durch ihn, welche Aufgabe der Lauschposten am südlichen Stadtrand von West-Berlin tatsächlich hatte.

Die Geschichte, die Filmautor Jürgen Ast erzählt, ist tatsächlich unglaublich. Das fängt damit an, wie aus dem überzeugten amerikanischen Patrioten, der für die NSA den Funkverkehr der Armeen des Warschauer Pakts belauschte, ein Stasi-Spion mit dem Codenamen „Kid“ wurde, weil er als Homosexueller Angst vor Entdeckung und Rausschmiss hatte und in einem alkoholisierten Moment der Schwäche sein Heil in Ost-Berlin suchte, dort von der Stasi ausgequetscht, umgedreht und als Spion zurück in den Westen geschickt wurde. In der Hochphase des Kalten Krieges, als der Westen mit seinen Pershing-II-Raketen dem Osten und den SS-20 entgegenstand, versorgte Carney die Stasi mit Material, das selbst Oberspion Markus Wolf in Staunen versetzte.

Aus dem jungen Mann auf dem Foto seines Militärausweises, der unerschrocken in die Zukunft blickt, ist inzwischen ein Mann in den mittleren Jahren geworden, mit deutlich untersetzter Statur und einem runden Gesicht. Ohne jede Gemütsregung erzählt er in der Dokumentation, wie er sein Land verraten hat und später selbst verraten wurde. Sein Deutsch, das er einst lernte, um den Funkverkehr der NVA-Luftwaffe belauschen zu können, ist nach wie vor ausgezeichnet, nur ein leichter Akzent ist herauszuhören.

Von Mexiko via Kuba nach Ost-Berlin

Einen vergleichbaren Top-Spion habe die USA in Ostdeutschland nie gehabt, erklärt ein CIA-Mann in Asts Dokumentation. Später wird Carney nach Texas versetzt, kann die Stasi weiter mit wichtigen Informationen versorgen. Als er jedoch kalte Füße wegen eines bevorstehenden Lügendetektortests bekommt, flüchtet er nach Mexiko, die Amerikaner sind ihm auf der Spur. Die verliert sich jedoch, als Carneys Hotel bei einem Erdbeben in Mexiko City verschüttet wird. Via Kuba gelangt Carney, der nun zu Jens Karney wird, nach Ost-Berlin, belauscht US-Botschaftsangehörige mit elektronischen Hilfsmitteln – bis schließlich die Mauer fällt. Nun beginnt jener Teil, der am unglaublichsten ist. In einer absolut illegalen NSA-Aktion wird Karney auf offener Straße entführt. Nicht während des Kalten Krieges, nicht während der Zeit, als Ost und West noch geteilt waren, sondern in einem wiedervereinigten Berlin, das Teil eines souveränen Staates ist, ohne Wissen der Polizei. Die Regierung habe weggesehen, heißt es in der Dokumentation. Jürgen Ast hat mit vielen Beteiligten gesprochen, sowohl auf amerikanischer Seite als auch mit ehemaligen Mitgliedern des Ministeriums für Staatssicherheit. Doch für diese Aussage wollte offenbar niemand sein Gesicht in die Kamera halten.

Jens Karney, der nun wieder zum Deserteur und Spion Jeffrey M. Carney geworden ist, wird in Tempelhof von den Amerikanern zuerst ausgequetscht und dann mit dem Flugzeug in die USA transportiert. Weil er dort doch noch umfänglich kooperiert, kann er einen Deal aushandeln und muss nur zwölf der 38 Jahre, zu denen er verurteilt wird, absitzen.

Ob ein solcher Deal für Snowden eine Hoffnung wäre? Und ob ihm eine solche Übereinkunft überhaupt angeboten würde? Dass dieser einst ähnlich in der Versenkung verschwinden könnte wie Carney/Karney ist unwahrscheinlich. 21,6 Millionen Google-Treffer ergibt die Suche nach Edward Snowden, 473 000 für den Spion Jeffrey M. Carney, und nur 18 800 für den Mann, der jetzt unter dem Namen Jens Karney in Ohio lebt.

„Ein Stasi-Maulwurf bei der NSA – die unglaubliche Geschichte des Sergeant Carney“

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