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Auflagenkrise: Unruhe beim "Spiegel"

Die Auflage des Hamburger Magazins schrumpft weiter und weiter. Jetzt soll eine Kampagne helfen. Doch die kommt im eigenen Haus weniger gut an.

Der „Spiegel“ glänzt mit einer exklusiven Meldung. Er hat herausgefunden, was Angela Merkel erbleichen, Philipp Rösler erschaudern und Sigmar Gabriel frösteln lässt. Es ist: die „Spiegel“-Konferenz. „Die Konferenz, vor der Politiker zittern“, schreibt das Magazin über seine Journalistenrunde. Und behauptet dazu von sich selbst, „meist gefürchtet“ zu sein.

Zu lesen sind diese Sätze nicht im eigenen Heft, sondern in Anzeigen, die der Spiegel-Verlag im Rahmen einer großen Werbekampagne schaltet. Auch einen TV-Spot gibt es. Unter anderem ist darin „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo zu sehen, sein Auftritt lässt Erinnerungen an den früheren „Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort mit seinen „Fakten, Fakten, Fakten“-Spots wach werden.

Einen zweistelligen Millionenbetrag kostet diese Kampagne angeblich. Sie soll die „Relevanz und Qualität in den Vordergrund rücken und den ,Spiegel‘ als unverzichtbare Nachrichteninstanz im Zeitalter der Mediendemokratie festigen“, sagt „Spiegel“-Sprecherin Anja zum Hingst. Doch sie offenbart vor allem: wie sehr der „Spiegel“ um seine Relevanz kämpfen muss.

Denn Merkel & Co dürfte beim Gedanken an den „Spiegel“ vor Schreck kaum die Stulle aus der Hand fallen. Vielmehr wirkte das Blatt, das Gründer Rudolf Augstein einst „Sturmgeschütz der Demokratie“ nannte, eher harmlos – und das schlägt sich in der Auflage nieder.

Gleich kurz hintereinander erzielte der „Spiegel“ den niedrigsten Einzelverkaufswert seit Beginn der IVW-Messung Mitte der 90er Jahre: Die Ausgabe 7/2012 mit dem Titel zur NPD ging an den Kiosken nur 267 580 Mal über die Theke. Unterboten wurde dieser Tiefstwert dann durch Heft 14/2102 „Das Benzin-Kartell“, im Einzelverkauf wurden nur 262 533 Stück abgesetzt.

Die Abonnement-Zahlen sehen nicht rosiger aus. Insgesamt verkaufte der „Spiegel“ im ersten Quartal 2012 rund 933 000 Exemplare, das entspricht einem Minus von etwa 3,5 Prozent. Die Millionenmarke wird nur noch selten überschritten, zuletzt im Oktober vergangenen Jahres – ausgerechnet mit einem typischen „Focus“-Thema: Rückenschmerzen, „Der Stress mit dem Kreuz“.

„Hilfe für das Herz“, lautete der Titel Mitte März, im Februar erschien der Burn-out-Titel „Die gestresste Seele“, im Januar „Die Vitamin-Lüge“ und „Lebenskunst Optimismus“, im April gab es einen Mobbing-Titel – Nutzwertjournalismus statt Nachrichten.

Auch die Wahl des aktuellen Titels mutet, nun ja, überraschend an: „Wege zu einem würdevollen Sterben“ heißt es nach der ersten Woche, in der es in Deutschland sommerlich heiß war und viele Menschen in Pfingstferienstimmung sind. Die beigelegte DVD, branchenintern Auflagenviagra genannt, verspricht „Blicke ins Jenseits“. Wird der sonst so aufklärerische „Spiegel“ plötzlich esoterisch?

Die politischen Titel, eigentlich das Steckenpferd des „Spiegel“, wirken oft hinterhergeschrieben. Die Piraten-Partei kam beispielsweise erst aufs Titelblatt, als sie in vielen Medien längst Thema war.

Der "Spiegel" verliert an Einfluss.

Sicher, der „Spiegel“ berichtet weiter groß und gründlich über politische Themen, seltener aber übernimmt er eine Vorreiterfunktion, setzt ein Thema, das die politische Agenda bestimmt.

Das mag einerseits daran liegen, dass sich das Umfeld geändert hat. War der „Spiegel“ früher das Medium, das wohl die meisten investigativ arbeitenden Journalisten beschäftigte und damit erste Anlaufstelle für all diejenigen war, die geheime Dinge publiziert sehen wollten, unterhalten heute fast alle Magazine von „Focus“ und „Stern“ über die „Zeit“ und viele Zeitungen bis hin zur „Bild“ Investigativressorts. Jeden Tag gibt es dazu verbreitet durchs Netz eine Flut an Nachrichten. Ein Thema zu setzen, das eine ganze Woche die Schlagzeilen bestimmt, ist kaum noch möglich.

Andererseits aber geht eine Titelschwäche auch immer auf den Chefredakteur zurück. Im Februar 2011 war die „Spiegel“-Doppelspitze aufgelöst worden, Mathias Müller von Blumencron konzentriert sich seither als Chefredakteur auf die Bereiche Online und Digital, Georg Mascolo führt das Blatt alleine – und steht immer mehr in der Kritik.

Ihm fehle das Händchen, die Fantasie für die richtige Titelauswahl, heißt es aus der Redaktion. Dass sich Mascolo nun in der neuen Kampagne sowohl auf dem Anzeigenmotiv als auch im Spot als „gefürchteter“ Mann inszenieren lässt, kommt bei vielen Mitarbeitern deshalb gar nicht gut an. „Peinlich“ sei der Auftritt mit Blick auf die aktuelle Situation des „Spiegel“. Chefredakteur Mascolo selbst will sich dazu auf Anfrage nicht äußern.

Doch nicht allein wegen der Titelschwäche knirscht es derzeit hinter den Kulissen des Hamburger Nachrichtenmagazins. Erst vor wenigen Wochen soll es einen heftigen Krach zwischen den beiden Chefredakteuren gegeben haben, nachdem Mascolo anregte, eine Bezahlschranke für das bisher kostenlose Spiegel Online einzuführen.

Denn während das Nachrichtenportal wächst, schrumpft die Auflage des Magazins. Ein Plus von zehn Prozent verzeichnete die Website im ersten Quartal 2012 im Vergleich mit dem Vorjahresquartal, der „Spiegel“ dagegen ein Minus von zehn Prozent im Einzelverkauf.

Nun müssen fast alle Magazine und Zeitungen gegen sinkende Auflagen kämpfen. Doch während andere Häuser darauf setzen, dass Print und Online gemeinsam wachsen können, ist Spiegel-Online für so manchen „Spiegel“-Redakteur der Feind im eigenen Bett.

Die Webseite rücke dem Blatt zu nahe mit seinen Hintergrund-Stücken und Kolumnisten. Den Lesern falle es zunehmend schwerer, zwischen Print- und Onlineausgabe zu unterscheiden. Viele Menschen würden nicht mehr das Heft kaufen, weil sie denken, dass sie auf der Website alle Inhalte lesen können, ist offenbar die einfache Annahme.

Zwischen Print und Online wird deshalb eine Gütertrennung eingeführt. Dienten ausgewählte Texte aus dem Heft bisher noch als Appetizer für die Printausgabe, sollen sie auf Spiegel Online jetzt nur noch äußert reduziert eingesetzt werden.

Eine Bezahlschranke aber wird vorerst nicht kommen. Die Leser würden Spiegel Online zu Zehntausenden davonlaufen – und sich sicher nicht geradewegs in die Arme des „Spiegel“ retten.

Spiegel Online schwächen zu wollen, um das Auflagen- und Relevanzproblem des Blatts zu lösen, ist zu kurz gedacht. Der „Spiegel“ muss sich auf sich selbst konzentrieren, außergewöhnliche Geschichten liefern – und Politiker mit mehr als der eigenen Konferenz zum Zittern bringen.

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