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Medien: Auftritt schlägt Inhalt

Am Donnerstag treffen Bush und Kerry beim ersten TV-Duell aufeinander

Nanu? Bis zur Präsidentschaftswahl in den USA sind es nur noch knapp fünf Wochen. Der Dreck, mit dem sich beide Lager bewerfen, lässt sich in Kübeln bemessen. Doch plötzlich ändert sich der Ton. Die Qualitäten des Gegners werden gepriesen. „John Kerry ist ausgezeichnet, wahrscheinlich der beste Redner, der je für dieses Amt kandidiert hat“, sagt Matthew Dowd, der Chefstratege der Wahlkampagne von George W. Bush. „Ohne Witz: Ich glaube, der ist besser, als Cicero war.“ Dowds Kollege von den Demokraten, Joe Lockhart, streut ähnliche Huldigungen über den Amtsinhaber. „Bush darf keiner unterschätzen. Der hat in seinem Leben jede große Debatte gewonnen.“

Dass solche Äußerungen gerade jetzt fallen, ist kein Zufall. Am Donnerstag findet das erste Fernsehduell zwischen Bush und Kerry statt. Und zum Sieger wird gekürt, wer besser abschneidet, als man gedacht hatte. Also werden die Erwartungen an den eigenen Kandidaten niedrig gehängt und die rhetorischen Qualitäten des Gegners glorifiziert. Vor vier Jahren, als er gegen Al Gore antrat, schaffte es Bush, in den TV-Debatten als Außenseiter zu gelten. Dann schlug er sich beachtlich – und prompt hieß es, Gore habe verloren.

Auf allen TV-Kanälen wird die Spannung vor dem ersten Aufeinandertreffen der beiden Rivalen unablässig geschürt. Besonders begehrte Talkshowgäste sind Kommunikationswissenschaftler. Sie dozieren über Haarschnitt, Körpersprache, Kleidung, Mimik, Gestik, Redestil. Analogien aller Art werden bemüht, etwa aus dem Boxsport: Kerry ist der Tänzer, Bush der Puncher. Kerry doziert gern und entfaltet seine Fachkompetenz. Bush schlägt mit kurzen, prägnanten Sätzen zu.

Amerika hat die Fernsehduelle erfunden, zur Kunstform erklärt und ein Spektakel daraus gemacht. Ihre Bedeutung lässt sich kaum überschätzen. Zwei Grundregeln müssen Bush und Kerry beachten. Erstens: Auftritt ist wichtiger als Inhalt. Was die Kandidaten zu sagen haben, wissen die meisten Wähler. Deren Parolen sind oft genug gehört worden. Die Details der Parteiprogramme interessieren nicht. Im Gedächtnis der Zuschauer bleiben nicht kluge Exegesen haften, sondern rasche Repliken, Nervosität, ein Witz, eine treffende Metapher.

Zweitens: Die Medienwahrnehmung der Duelle ist wichtiger als die Publikumswahrnehmung. Untersuchungen belegen, dass viele Zuschauer nicht wissen, wer besser war. Umfragen, die direkt im Anschluss gemacht werden, weichen oft beträchtlich von jenen ab, die zwei Tage später erhoben werden. Die Erklärung dafür ist einfach: Wenn die Kommentatoren des bevorzugten Senders oder die Leitartikler in der eigenen Tageszeitung zu dem Ergebnis kommen, Kandidat x habe gewonnen, dann schließen sich viele Mediennutzer diesem Urteil an, obwohl ihr ursprünglicher Eindruck ein anderer war.

Die Fernsehduelle produzieren oder verstärken eine politische Stimmung, und diese Stimmung entscheidet die Wahl. Mit großem Ernst und ungeheurer Intensität bereiten sich Bush und Kerry daher auf ihren Auftritt vor. Seit Monaten studiert Kerry die Reden seines Kontrahenten. Ein Staranwalt hat die Sparringspartnerrolle von Bush übernommen. Bushs „Gegner“ ist Senator Judd Gregg, der bereits vor vier Jahren Al Gore gespielt hatte

Die Vorbereitung auf die Rededuelle gleicht einer Wissenschaft. Wochenlang wurde bei den Verhandlungen gefeilscht. Der Vertrag besteht aus 32 Seiten. Das Stehpult darf während der 90 Minuten nicht verlassen werden. Das Publikum muss sich ruhig verhalten. Kein Applaus. Notizen dürfen nicht mitgebracht, aber angefertigt werden. Die Temperatur im Raum ist festgelegt. Weil Bush der Amtsinhaber ist und in den Umfragen führt, hat er mehr zu verlieren als Kerry. Deshalb konnte sein Team in den Verhandlungen drohen: Entweder ihr übernehmt unsere Bedingungen, oder wir reduzieren die Zahl der Duelle. Damit es bei drei Debatten bleibt, gab das Kerry-Team in vielen Details nach. So setzte das Bush-Lager durch, dass das Licht, das die Überschreitung der Redezeit anzeigt, im Publikum sichtbar und von einem lauten Ton begleitet wird. Warum das wichtig ist? Kerry antwortet oft in langen, manchmal umständlichen Sätzen. Das soll für die ganze Nation augen- und ohrenfällig werden.

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