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Ultima Ratio Waffeneinsatz oder Grundsatz der Verhältnismäßigkeit? AfD-Chefin Frauke Petry wollte etwas anderes gedruckt sehen, als sie im Interview sagte.

© REUTERS

Autorisierung von Interviews: Gesagt und dann gestrichen

Was nicht passt, wird passend gemacht: Politiker wie AfD-Frontfrau Frauke Petry geben Interviews, wollen aber nur so zitiert werden, wie sie es für richtig halten. Woher kommt die Autorisierungs-Wut?

Der „Spiegel“ ist schuld. Angeblich. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurde das sogenannte „Spiegel“-Gespräch groß, ein meist politisches Interview mit einer oder mehreren Personen. Die geladenen Gäste wurden von den Redakteuren so hart angegangen, dass sie nur teilnahmen, wenn ihnen das Magazin vorab zusicherte, das Manuskript vor Veröffentlichung gegenlesen zu dürfen. Die sogenannte Autorisierung von Interviews war geboren – zumindest in Deutschland.

Interessanterweise will der „Spiegel“ mit diesen Zitier-Lorbeeren heute nicht mehr so viel zu tun haben: Der ehemalige Wirtschaftsressortleiter Thomas Tuma, aktuell stellvertretender „Handelsblatt“-Chef, veröffentlichte vor wenigen Jahren ein Essay zum Thema Autorisierung, in dem er die Wurzeln dafür beim „U.S. News & World Report“ vermutete. Laut Tuma habe sich auch der „Spiegel“ das Autorisieren nur abgeschaut – ausgerechnet von Amerikanern, was als unwahrscheinlich gelten darf. In den USA ist diese journalistische Praxis relativ unüblich. In der Regel wird ein Interviewpartner dort mit genau den Worten zitiert, die er gewählt hat.

Interview mit AfD-Chefin Frauke Petry

Stattdessen breitete sich die Autorisierung wie ein Virus vor allem in deutschen Redaktionen aus. Die ersten eiferten vermutlich dem „Spiegel“ nach, denn so wie die Hamburger zu arbeiten, galt lange als journalistische Avantgarde. Als immer mehr Redaktionen mitmachten, wurde die Autorisierung zur gängigen Praxis: Fast jeder Interviewpartner bekam seine abgetippten Aussagen noch einmal zum Gegenlesen auf den Tisch. Welcher Journalist seinem Gegenüber aber erstmals einräumte, in dem ursprünglich Gesagten wild herumstreichen zu dürfen, ist unbekannt.

Hier beginnt das eigentliche Problem. Autorisierung ist nicht mehr nur eine Frage von verständlichem Sicherheitsdenken und Kulanz. Politiker und Pressesprecher verstehen ein im Wortlaut geführtes und zusammengefasstes Interview mittlerweile eher als „Vorlage“, in das nach Belieben eingegriffen werden kann. Bestes Beispiel der jüngsten Zeit ist AfD-Chefin Frauke Petry mit ihrer Aussage zum Schießbefehl an deutschen Grenzen. Das Originalzitat Petrys im Gespräch mit Redakteuren der Rhein-Zeitung lautete: „Als Ultima Ratio ist der Einsatz der Waffe zulässig. Das haben wir gerade schon besprochen. Es ist nichts, was sich irgendjemand von uns wünscht. Es müssten alle anderen Maßnahmen davor ausgeschöpft werden.“ Gedruckt wollte Petry etwas ganz anderes sehen. Die Journalisten bekamen als „autorisierte“ und damit freigegebene Antwort diese Version: „Alle Beamten im Grenzdienst tragen eine große Verantwortung, kennen die Rechtslage und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“

Legendär: Die "taz" schwärzte ein Olaf-Scholz-Interview

So wie Petry halten es in Sachen Zitat auch genügend andere Politiker. Legendär ist daher etwa das 2003 von der „taz“ geschwärzt veröffentlichte Interview mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Er wollte seine Aussagen bis zur Unkenntlichkeit „autorisieren“. Auch das „Handelsblatt“ reagierte 2011 ähnlich und druckte nur die Fragen an den französischen Banker Baudoin Prot. Dieser hatte seine Antworten zunächst mehrfach stark überarbeitet – und anschließend ganz zurückgezogen.

Dabei gilt: Haben Journalisten das Gesagte etwa auf Tonspur, die während des Gesprächs mit Einwilligung des Interview-Partners aufgenommen wurde, ist eine Veröffentlichung möglich. Es gibt zwar das „Recht am eigenen Wort“, doch wenn belegbar ist, dass eine Aussage so gefallen ist, dürfen Journalisten sie auch „bringen“. Sogar der Deutsche Presserat hat mittlerweile in seine Leitlinien aufgenommen, dass „Interviews nicht zwingend autorisiert“ werden müssen. Stimmt der Wortlaut und werden die Aussagen des Interviewten korrekt wiedergegeben, ist eine Veröffentlichung auch ohne Autorisierung journalistisch korrekt.

Die „taz“ hat auf die Änderungswünsche von Olaf Scholz 2003 überraschend reagiert.
Die „taz“ hat auf die Änderungswünsche von Olaf Scholz 2003 überraschend reagiert.

© Repro: taz

Nur: Wer der Autorisierung eines Interviews nicht zustimmt, bekommt keines. Dieses Druckmittel setzen immer mehr Pressesprecher und Manager ein, weil sie wissen, dass es genug Medien gibt, die sich auf so einen Deal einlassen. Die neue Kommunikationschefin der Allianz, Sabia Schwarzer, will hingegen einen anderen Weg gehen und kündigte an, dass der Versicherungskonzern künftig auf Autorisierungen von Interviews komplett verzichtet. Im Promi-Sektor ist man davon weit entfernt: Dort lassen sich Stars sogar vertraglich zusichern, dass sie Einfluss auf das von ihnen gezeigte Bildmaterial haben – Verträge, die eigentlich rechtswidrig sind.

Blicken ausländische Journalisten nach Deutschland, herrscht oft Kopfschütteln über dieses Gerangel um jedes Komma. Was in den USA unüblich ist, ist in Großbritannien regelrecht verpönt: Kaum ein stolzer britischer Journalist würde sich seinen Text noch einmal vom Vorzimmer des Politikers absegnen lassen. Allerdings erscheinen in England auch seltener große Print-Interviews als hierzulande; oft werden nur einzelne Aussagen zitiert, um einen Fließtext zu stützen. In Frankreich verlangen nur der Staatspräsident und sehr hohe Politiker eine Autorisierung von Interviews, ähnlich ist es in Österreich.

Einzig die Polen sind noch rigoroser als die Deutschen. Während in Deutschland die Autorisierung zwar gängig, aber eine mehr oder weniger freiwillige Vereinbarung zweier Parteien ist, steht sie in Polen im Gesetz. Seit 1984, in Zeiten des Kalten Krieges wurden noch staatliche Zensoren bestellt. Der aktuellen polnischen Regierung mit ihrem umstrittenen Mediengesetz ist das nur recht.

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