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Medien: Banker gegen Denker

Serge July, Mitbegründer der „Libération“, muss das Blatt verlassen. Finanzier Rothschild will es so

Der eine wollte „mal das Metier wechseln“, der andere hoffte im Pakt mit ihm sein Lebenswerk zu retten. Nun muss Serge July, der Mitbegründer und Herausgeber der linksliberalen Tageszeitung „Libération“, auf Drängen des Bankiers Edouard de Rothschild, seit einem Jahr Hauptaktionär des finanziell angeschlagenen Pariser Blattes, seinen Schreibtisch räumen. Er gehe „gezwungenermaßen“, teilte July einer verblüfften Redaktion mit, um den notwendigen Entscheidungen über die Sanierung nicht im Wege zu stehen. Rothschild habe sein Ausscheiden und das des Verlagschefs Louis Dreyfus zur Voraussetzung für frisches Geld gemacht.

Die Krise bei „Libération“ ist nicht die erste, aber die vielleicht größte in der Geschichte des Blattes, das July und andere Maoisten in der Folge des Mai 1968 vor 33 Jahren mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre als anti-autoritäre Alternative zur etablierten Presse gegründet hatten. Und sie folgt nur ein Jahr, nachdem die längst zu einer seriösen linksliberalen Stimme mutierte Zeitung ausgerechnet von einem Rothschild gerettet worden war.

Wie alle französischen Zeitungen leidet auch „Libération“ unter sinkenden Auflagen und schwindenden Anzeigenerlösen. Die Zahl der verkauften Exemplare liegt aktuell bei 140 000. Auf 14 Millionen Euro beliefen sich die angehäuften Schulden, als sich July Anfang 2005 an Rothschild wandte. Der Bankier brachte 20 Millionen Euro auf und hält seither 38,8 Prozent der Kapitalanteile. Mit dem Geld wurden die Schulden getilgt und ein Sozialplan zur Abfindung von 55 ausgeschiedenen Mitarbeitern finanziert. Doch die Lage besserte sich nicht. In den ersten vier Monaten 2006 verzeichnete „Libération“ ein neues Minus von 3,4 Millionen.

Als Mäzen will Rothschild jedoch nicht noch einmal dienen. Er pocht auf Ergebnisse. In einem Brief an die anderen Aktionäre, die Filmgesellschaft Pathé, die Finanzgruppe 3i und die Gesellschaft der Redakteure, kritisierte er vergangene Woche in scharfen Worten Julys Geschäftsführung und verlangte einschneidende Änderungen. Das Blatt stehe „sehr nahe vor dem Aus“. Auf zehn Millionen Euro wird der dringend benötigte Finanzbedarf veranschlagt.

Für die Redakteure ist der Bruch zwischen Rothschild und July ein Schock. In einer Resolution, abgedruckt auf der Titelseite vom Mittwoch, feierten sie den 63-Jährigen als Garanten ihrer Unabhängigkeit gegenüber politischen und wirtschaftlichen Interessen. Wer sein Nachfolger werden soll, ist noch völlig offen. Vorsorglich erinnerten sie den Hauptaktionär daran, dass die Nominierung eines neuen Herausgebers der Zustimmung der Redaktion bedarf. Die hält zwar nur noch 18,5 Prozent des Kapitals der Zeitung, die ihr einmal ganz allein gehörte, verfügt aber bei den Stimmen über eine Sperrminorität.

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