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Medien: Bedingt solidarisch

Nach den Karikaturen in der „Jyllands Posten“: Wie andere dänische Zeitungen mit den Provokationen umgehen

Es sieht so aus, als ob das Trommelfeuer Wirkung zeigte. Erstes Opfer der Verwirrung, die die Beteiligten offenbar erfasst hat, wurde ausgerechnet der Redakteur, der die Vorlage für den so genannten Karikaturenstreit gegeben hatte. Am Donnerstagabend erklärte die Chefredaktion der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“, Flemming Rose sei bis auf weiteres beurlaubt. Die Vorgeschichte: der Kulturredakteur hatte am Mittwochabend via CNN verkündet, sein Blatt werde nach den Mohammed-Karikaturen demnächst auch die antisemitischen Zeichnungen veröffentlichen, die iranische Zeitungen angekündigt hatten. Das war dann offenbar doch des Guten zu viel.

Aber auch der Druck auf den Chefredakteur der Zeitung, Carsten Juste, nimmt zu. Der ehemalige Außenminister Uffe Ellemann-Jensen hat seinen Rücktritt gefordert. Juste lehnte ab, er denke gar nicht daran. Rücktritt ja oder nein, darauf hat Leif Beck Fallesen, Chefredakteur der wichtigsten Wirtschaftszeitung Dänemarks „Børsen“ eine klare Antwort: „kein Rücktritt jetzt“. Denn würde das nicht so aussehen, als gäbe man dem Mob Recht? Etwas anderes wäre es, wenn Juste von selbst zurückträte. Aber danach sieht es nicht aus.

Allerdings, sagt Fallesen, hätte Juste allen Grund dazu. Hat er nicht selbst eingeräumt, die Konsequenzen der Veröffentlichung schon von Anfang an nicht übersehen zu haben? Genau das aber sei die Aufgabe eines verantwortlichen Redakteurs. Seine Verantwortung liege eben auch darin, abschätzen zu können und zu müssen, welche Folgen eine Veröffentlichung haben könnte. Umso mehr, wenn es sich um eine beabsichtigte Provokation handele. Pressefreiheit bedeute vor allem Verantwortung, sagt Fallesen.

Carsten Juste hatte von seinen Kollegen Solidarität eingefordert. Alle Zeitungen, sagte er im dänischen Fernsehen, hätten die Karikaturen bringen sollen. Dann, so sagte er, wären die Fronten klar gewesen. Eine Idee, von der Fallesen wie die meisten seiner Kollegen nichts hält. Das wäre nicht vernünftig gewesen, sagt er, sondern hätte einer Dummheit nur eine weitere hinzugefügt. Denn eine Dummheit und nichts weniger sei die Veröffentlichung gewesen. Und warum einer missglückten Provokation eine weitere folgen lassen? Falsch verstandene Solidarität nennt Fallesen das.

Wenn es nur um die paar Tausend sich Muslime nennenden und sich radikal gebärdenden Randalierer gehe, die tagtäglich im Fernsehen zu sehen sind, dann wäre die ganze Aufregung vielleicht leichter zu ertragen, meint der Chefredakteur des Wirtschaftsblattes. Viel wichtiger aber sei es doch, die große Mehrheit der friedlichen Muslime in Dänemark nicht ohne Not gegen sich aufzubringen. Es müsse verhindert werden, dass die Dansk Folkeparti, die offen ausländerfeindlich auftritt und in Umfragen inzwischen bei 15 Prozent liegt, weiter Zulauf bekomme.

Der Ton ist rau, auch unter Kollegen. In einem Leitartikel hatte Carsten Juste Chefredakteure anderer dänischer Zeitungen als Heuchler bezeichnet. Weil sie einerseits sagten, ihnen gehe die Pressefreiheit über alles, andererseits sich feige versteckten und nicht, aus Solidarität, die Zeichnungen veröffentlichen würden.

Tørgen Seidenfaden, Chefredakteur der liberalen, in Kopenhagen erscheinenden Tageszeitung „Poliktiken“, ist einer dieser „Heuchler“. Ein unsinniger Vorwurf, sagt Seidenfaden, gehe es doch nicht um Pressefreiheit, sondern um Verantwortung. „Politiken“ habe einzelne Zeichnungen sogar wiederholt gezeigt. Nicht um Solidarität mit „Jyllands Posten“ zu bekunden, sondern um den Lesern die Chance zu geben, selbst zu beurteilen, um was es denn eigentlich gehe. „Der Leser versteht das“, sagt Seidenfaden, „im Gegensatz zu ,Jyllands Posten‘ sind wir noch nicht einmal bedroht worden.“ Keine Solidarität in der Sache, aber eine rein praktische Solidarität gibt es doch. Als die Kollegen von „Jyllands Posten“ nach einer Bombendrohung ihre Redaktion verlassen mussten, konnten sie ihre Zeitung an den Computern von „Politiken“ fertig stellen.

Seidenfaden hält die Veröffentlichung der Karikaturen bei „Jyllands Posten“ nicht für einen Zufall. Das hatte Methode, sagt er, eine klar und eindeutig so gewollte fremdenfeindliche Aktion. Eine beabsichtigte Provokation gerichtet gegen alle Muslime in Dänemark. Sollte Juste zurücktreten? Nein, sagt Seidenfaden, das wäre das falsche Signal zur falschen Zeit an die falschen Leute.

Ist es nicht vielleicht ein Neuanfang, sagt Seidenfaden, wenn jemand einen Fehler einsieht? Wie immer die Angelegenheit auch ausgehen wird, sagt Seidenfaden, die Pressefreiheit in Dänemark werde nicht etwa geschwächt, sondern ganz im Gegenteil gestärkt. Neue Regeln oder Gesetze, wie es manche forderten, würden nicht gebraucht. Es gehe ausschließlich darum, die Pressefreiheit verantwortungsvoll anzuwenden. Was sagt er zu dem Argument mancher Muslime, sie fühlten sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt und hätten das Recht, sich zu wehren? Natürlich dürfe die Presse in einem säkularen Staat auch religiöse Gefühle angreifen, sagt Seidenfaden, das gelte für alle Religionen. Beschränkungen dürfe man sich nicht auferlegen.

Etwas ganz anderes sei die bewusste und geplante Beleidigung, die offene Provokation. Und dass die Veröffentlichung der Zeichnungen genau das gewesen sei, nämlich eine für jedermann in Dänemark erkennbare, zielgerichtete Provokation, davon sei er überzeugt.

Werfen wir einen Blick zurück zum Ausgangspunkt der Affäre. Da gibt es die Behauptung, einige der Zeichner, die aufgefordert worden waren, Zeichnungen zu einem geplanten Kinderbuch über das Leben des Propheten Mohammed beizusteuern, hätten deshalb Nein gesagt, weil sie um ihr Leben fürchteten. Das habe wiederum der Kulturredakteur von Jyllands Posten, Flemming Rose, der von dem Projekt wusste, nicht akzeptieren wollen und daraufhin die Mohammed-Zeichnungen für seine Zeitung in Auftrag gegeben.

Ist es nicht merkwürdig, sagt Seidenfaden, dass seine Reporter bis heute nicht einen dieser Zeichner hätten aufspüren können? Die Frage lautet: Hat es sie überhaupt gegeben? Seidenfaden ist sich da ganz und gar nicht sicher. Eine frei erfundene Vorgeschichte also, um die Publikation der Karikaturen und damit die gewollte Provokation zu rechtfertigen? Das Kinderbuch über den Propheten ist inzwischen erschienen – mit Zeichnungen. „Und es verkauft sich rasend“, sagt Seidenfaden.

Bjarne Lønborg ist Chefredakteur von Flensborg Avis, der Zeitung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Ein Mann, der gelernt hat, mit Provokationen zu leben, von denen es im deutsch-dänischen Verhältnis schon einige gab. Lønborg ist sich sicher: Die Veröffentlichung von „Jyllands Posten“ verletzt in keinem Fall die Grenzen der Pressefreiheit in Dänemark. Man müsse zwar sensibel vorgehen und die Konsequenzen bedenken, wenn man vorhabe, Grenzen zu verletzen. Aber so weit sei es nicht gekommen. Die Zeitung habe weder Grenzen überschritten noch das Recht gebrochen.

„Ein gefährliches Spiel“ nennt Lønborg die Aktion, aber offenbar ohne jeden fremdenfeindlichen Hintergrund. In keinem Leitartikel der letzten Jahre habe er eine fremdenfeindliche Argumentation erkennen können. Lønborg glaubt nicht, dass Chefredakteur Juste jemals an eine Kampagne gegen Muslime auch nur gedacht habe. Er selbst hätte die Zeichnungen nicht veröffentlicht. Weil er Karikaturen über Tragödien, und nichts anderes sei der Terror der Islamisten, nicht für angebracht hält. Eine Frage der Ethik.

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