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Medien: Bekennerschreiben

Das neue Heft „Ich gestehe“ soll die Erlebnispresse beleben

Man muss sie suchen. Irgendwo zwischen den Frauenzeitschriften und Rätselheften. Sie verstecken sich aber nicht. Wer „Mein Bekenntnis“, „Mein Verlangen“ oder „Ich gestehe“ heißt, hat nichts zu verbergen.

Erlebnispresse heißt bei den Verlagen diese Kreuzung aus Groschenroman und Frauenzeitschrift. Mitte der 90er Jahre feierte das Genre seine größten Erfolge – die Hefte hatten Auflagen von bis zu 120 000 Stück. Zwanzig Titel gibt es mittlerweile, sie erscheinen austauschbar. Und in dieser Woche bringt der Martin-Kelter-Verlag einen weiteren heraus: „Ich gestehe“, die erste Erlebniszeitschrift im modischen Pocket-Format.

Wie das gesamte Genre setzt auch „Ich gestehe“ auf so genannte „Erlebnisberichte“, das sind eigentlich Kurzgeschichten. In ihnen wird bekannt („Ich habe immer Angst um meinen Mann“), verlangt („Magischer Maskenball – In Venedig ließ ich mich verführen!“) und gestanden („Kleptomanie: Diebstahl ist mein größtes Hobby!“). Anders als in Vorabendserien, in denen die Plots Purzelbäume schlagen, sind aber Erlebnisberichte bescheiden. Da genießen Witwen ihren zweiten Frühling oder sorgen sich Hausfrauen ums Ehebett. Der Bezug zum Alltag der Leser ist entscheidend. Auch für Krankheit und Verbrechen ist Platz, doch gilt: Liebesglück aus nächster Nähe, Drama auf Distanz. „Wir stellen Happy-End-Produkte her“, sagt Andreas Schäfer, Cheflektor beim Kelter-Verlag .

Vor dreißig Jahren kam mit der „Romanwoche“ die erste Erlebniszeitschrift heraus. Der Boom des Genres setzte aber erst vor zehn Jahren ein. Parallel zum Nachmittagstalk im Fernsehen etablierte sich die Erlebnispresse als mediales Guckloch in Nachbars Leben. Voyeurismus ohne die Gardine zu lupfen wurde möglich. Und Spitzenauflagen.

Doch dann wurde es noch stiller als sonst um die Erlebnispresse: Dutzende Nachahmer von Erfolgstiteln wie „Mein Erlebnis“ fluteten den Markt, die Auflagen schrumpften auf die Hälfte. Mit „Ich gestehe“ startet der Kelter-Verlag nun einen Wiederbelebungsversuch des Genres. Umfangreicher Serviceteil, Psychotests und Rezepte sollen das Heft in die Nähe der klassischen Frauenzeitschriften rücken. Ob sich die vorsichtige Neuerung auszahlt, ist ungewiss. Der Verlag hofft jedenfalls mittelfristig auf eine Auflage von über 40 000 Exemplaren.

Auch wenn sich die zahlreichen Hefte kaum unterscheiden, sind sie auf dem Zeitschriftenmarkt einzigartig, denn: Alle Erlebnisberichte sind frei erfunden. Geschrieben werden sie von Amateur-Autoren, die ihre Inspiration durchaus aus dem eigenen Leben nehmen. Personen und genaue Umstände sind aber immer ausgedacht, damit die Geschichten runder und spannender werden – und es auf jeden Fall mit dem Happy End klappt. „Unser Anspruch ist: Die Geschichte muss so passieren können“, umschreibt Redakteurin Gallo diesen Balance-Akt zwischen Borderline-Journalismus und Belletristik. Wie deutlich die Berichte als Fiktion gekennzeichnet sind, variiert von Heft zu Heft. Manche führen sie als „Kurzromane“ auf. Andere nennen persönliche Daten („Kosima G., Ende 30“), als gäbe es die Protagonisten wirklich.

Bleibt nach all den Geständnissen das Geheimnis der Leserschaft. Die Verlage vermuten, dass sie wie bei den Groschenromanen aus Älteren und Frauen besteht. Genaue Erkenntnisse gibt es nicht. Trotz der „schonungslosen Offenheit“ ihrer Lieblingszeitschriften geben sich die Leser bedeckt: Sie schreiben so gut wie nie Leserbriefe.

Hannah Pilarczyk

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