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Schießen und Schließen. Die israelische Armee attackierte die Radiostation Al Humia in Hebron im Westjordanland und verbot dann für sechs Monate den Sendebetrieb.

© picture alliance / dpa

Berichterstattung in Westjordanland und Gaza: Märtyrer für die einen, Mörder für die anderen

Journalisten sind immer Teil des Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis in den besetzten Gebieten.

„Wenn sich die Israelis darüber aufregen, dass wir von einem Schahid schreiben, also einem Märtyrer, wenn ein Palästinenser mit einem Messer auf einen Israeli losgeht und dabei ums Leben kommt“, sagt Nasser al Laham und lächelt süffisant, „dann werde ich die Israelis liebend gerne weiterhin ärgern.“

Al Laham ist Chefredakteur der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan in Bethlehem und schreckt vor Provokationen nicht zurück. Schahid sei eben der gängige Begriff. Al Lahams Agentur liefert Bilder, Videos und Texte auf Englisch und Arabisch, Nachrichten wie Meinungsstücke. Auch, wenn darin Terrorattacken gutgeheißen werden, sagt Nasser al Laham und beschwichtigt: „Ich veröffentliche aber auch Kommentare, die sich dagegen aussprechen.“ Auch er selbst sei dagegen, dass Jugendliche als Attentäter in den Tod geschickt werden.

Hetze? Mobilmachung? Meinungs- und Pressefreiheit! Sagt Nasser al Laham.

Die israelische Regierung sieht das anders. Premierminister Benjamin Netanjahu hat die Medien im Westjordanland und in Gaza vor allem seit Oktober 2015 immer wieder für die zunehmenden Messerattacken und andere Angriffe auf Israelis verantwortlich gemacht und sie der Anstachelung und Hetze bezichtigt. Drei Radio- und zwei Fernsehsender hat die Armee deshalb geschlossen, meldet die Organisation Mada, die Verstöße gegen die Pressefreiheit im Westjordanland und in Gaza dokumentiert. Mehrere Journalisten wurden festgenommen, 20 davon sitzen bis heute in Haft. Von den 599 Verstößen, die im Jahr 2015 von Mada gezählt wurden, kommen rund 68 Prozent von israelischer Seite.

Westjordanland und Gaza weit abgeschlagen in Rankings der Pressefreiheit

Die Eingriffe der israelischen Sicherheitskräfte, aber auch die Einflussnahme auf die Presse und deren Einschränkung vonseiten der Terrororganisation Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde sorgen dafür, dass das Westjordanland und Gaza in den Rankings der Pressefreiheit besonders schlecht abschneiden. „Nicht frei“, lautet das Urteil von Freedom House, dass die palästinensischen Gebiete auf einer Skala von 0 (gut) bis 100 (schlecht) bei 84 einstuft. Im Vergleich von 19 Staaten im Nahen Osten und Nordafrika landen sie auf Platz 14, zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Jemen.

Wo hört Meinungs- und Pressefreiheit auf? Wo beginnt Hetze? Wie ungebunden können Medien in einem besetzten Gebiet überhaupt sein? Kann von Journalisten Neutralität erwartet werden? Nein, sagt Amal Jamal, Politikprofessor an der Tel Aviv Universität und Generaldirektor von Ilam, dem Arabischen Zentrum für Entwicklung und Erforschung der Medienfreiheit in Nazareth. „Es ist letztlich eine Konfliktzone“, sagt er. Alles sei eine Sache des Blickwinkels. Was für die einen Terroristen sind, sind für die anderen Freiheitskämpfer, Sicherheitskräfte sehen die anderen als Besatzungsmacht.

Solche Begrifflichkeiten spiegeln Positionen wider, und kaum einer kommt hier ohne aus. Die Wahl von Worten ist politisch. Und letztlich gehe es auch in den Medien darum, gegen die Besatzung Widerstand zu leisten – so sieht es zumindest Musa al Shaer, Kameramann und Mitglied des Generalsekretariats des palästinensischen Journalistensyndikats. „Auch als Journalist bin ich hier zuallererst ein Mitglied unseres Volkes“, sagt er. Den Werten und Anschauungen der Menschen hier könne er sich nicht entziehen. Und einige hier sähen die Attacken eben oft als ein Mittel des Widerstandes gegen die Besatzung. „In Palästina wird kein einziger Journalist schreiben, dass ein Angreifer ein Terrorist sei.“

Journalisten als Teil des Konfliktes, palästinensische Reporter, die bei der Arbeit in einem besetzten Gebiet an Grenzen stoßen: Chefredakteur Nasser al Laham weiß, was das bedeutet. Von seinem Schreibtisch aus blickt er hinüber zur jüdischen Siedlung Har Homa, einige hundert Meter Luftlinie entfernt. „Wenn dort draußen vor unserer Haustür etwas passiert, ein Unfall, eine Messerattacke, dann kann ich meine Leute dort nicht hinschicken“, schimpft er. „Denn die Soldaten lassen palästinensische Journalisten nicht durch. Wir dürfen auch nicht bei Gerichtsverhandlungen dabei sein. Wir können nicht frei recherchieren, sondern müssen auf Aussagen und Materialien von israelischen Organisationen wie Betselem und Breaking the Silence zurückgreifen.“

Auch diese Formen des Verstoßes gegen die Pressefreiheit werden von Mada dokumentiert und vom Journalistensyndikat verurteilt. Das Syndikat setzt sich für seine 1600 Mitglieder und auch andere Journalisten ein, hilft mit einem Rechtsanwalt und organisiert Proteste. So zum Beispiel gegen die Verhaftung des Journalisten Omar Nazzal. Seit vier Monaten sitzt er einer Haftanstalt nahe Ramallah, weil er für den Sender Palestine Today gearbeitet hat. „Nur drei Monate lang, er hatte längst gekündigt“, versichert al Shaer. Palestine Today steht dem islamischen Dschihad nahe und wurde von der Armee wegen Hetze geschlossen. Dabei habe Omar nichts mit dem islamischen Dschihad zu tun, versichert auch Maan-Chefredakteur Nasser al Laham. Warum er dann festgenommen wurde? Darauf wisse wohl keiner eine Antwort, ist al Laham überzeugt. Es könnte jeden treffen, israelische Willkür.

Die Armee sieht das anders. Eingegriffen werde, um Anschläge zu verhindern – wenn es um gezielte Anstachelung geht. „Stellen wir fest, dass jemand zum Mord an einem Juden aufruft, dann spielt es keine Rolle, ob er Erdbeeren anbaut, auf der Bank arbeitet oder angeblich Journalist ist. Und oftmals wird Hetze eben nur als Presse getarnt“, sagt Armeesprecher Arye Shalicar. Die Geheimdienste beobachteten die palästinensischen Medien genau, und in vielen Fällen würden Medienanstalten und Journalisten vorher gewarnt. „Wenn man es mit Radikalislamisten zu tun hat, weiß man, da gibt es sowieso nicht viel zu reden.“

Palästinensische Medien werden von politischen Bewegungen geführt

Dass der geschlossene TV-Sender Palestine Today dem islamischen Dschihad, also einer islamistischen Terrororganisation, nahestand, sorgt in den palästinensischen Gebieten kaum für Aufregung. Im Gegenteil: Dass Medien von politischen Bewegungen geführt werden, ist nicht ungewöhnlich, sagt auch Musa al Shaer. Zeitungen als Sprachrohre für politische Zwecke: „Al-Hayat al-Jadida“ für die Palästinensische Autonomiebehörde, „Filistin“ und „Al Risala“ für die Hamas.

Hinzu kommen Eingriffe in die Arbeit anderer Medien: Die Organisation Mada dokumentiert Verhaftungen, Verhöre, auch körperliche Angriffe und die Behinderung der Informationsbeschaffung: Rund 32 Prozent der Eingriffe in die Pressefreiheit im Jahr 2015 kamen von palästinensischer Seite. Grund sei der mangelnde Glaube an die Presse- und Meinungsfreiheit vonseiten der Behörden und palästinensischen Sicherheitskräfte und die Ablehnung von Kritik. Meinungsäußerung Andersdenkender werde als Gefahr für Sicherheit gesehen.

Journalisten wie Musa al Shaer und Nasser al Laham sind überzeugt, dass alles anders wird, wenn die palästinensischen Gebiete erst einmal frei sind. Al Laham will sich von niemandem einschränken lassen – auch nicht von Palästinensern. „Ich werde dagegen kämpfen und kein sadistisches Regime akzeptieren.“

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