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„Im Münchner Speckgürtel findest du so etwas nicht.“ Villen wie in Kladow waren geradezu eine Ideallösung für den Dreh von "Mysterium", Staffel eins.

© BR/TV60Filmproduktion GmbH/Ralf

Berlin als ein attraktiver Drehort?: Hosemann statt Clooney

Der neue Senat nimmt sich viel vor, aber ein preisgekrönter Produzent macht in der Hauptstadt bei einer neuen Kinderserie schlechte Erfahrungen.

Eigentlich hatte der Grimme-Preis-gekrönte Münchner Produzent Marcus Roth alles richtig gemacht, als er sich im Sommer 2020 entschloss, seine neue Serie „Mysterium“ für den Kinderkanal in Berlin zu drehen. Damals klang er auch noch richtig euphorisch, lobte Berlin als Drehort und als Schauspieler-Reservoir und bekam auch recht. „Mysterium“ hievte im Alleingang die Kika-Quoten auf ein Wochenhoch, selten zuvor hatte die Mediathek so viele Abrufe zu verzeichnen.

Die Kritik lobte die neue Art, Fernsehen zu machen. „,Stranger things‘ für Kinder“, schrieb etwa kino.de. Doch wenige Tage vor dem geplanten Start der Dreharbeiten zur zweiten Staffel im November sah alles ganz anders aus. Die Produktion war kurz davor, Berlin den Rücken zu kehren. „Ich muss mir nun überlegen, ob ich in Zukunft in Berlin noch drehen will und kann“, sagt Marcus Roth.

Was bitter wäre. Denn sein ebenfalls Grimme-Preis-prämierter Regisseur Niklas Weise kommt aus Berlin, ebenso der Kameramann Ralf Dobrick und alle Schauspieler mit Ausnahme von Charlotte Schwab („Das Duo“). Die 69-Jährige lebt und arbeitet (Residenztheater) in München.

„Da lag es nahe, dass wir, besonders in Zeiten von Corona, in Berlin drehen, weil wir so auch die Reiseaktivitäten minimieren konnten.“ Zumal die Villa von Wolf Wertheim in Kladow geradezu eine Ideallösung für den Dreh im November letzten Jahres darstellte.

Spannung im "Mysterium".
Spannung im "Mysterium".

© BR/TV60Filmproduktion GmbH/Ralf

„Im Münchner Speckgürtel findest du so etwas nicht“, sagt Roth und erinnert sich gerne an die Fahrten der Crew von Kreuzberg nach Kladow und Spandau, wo in der Sandstraße auch Außenaufnahmen entstanden. „Wir brauchten im Kontrast zur 1930er-Jahre-Villa die Wohnlandschaft aus den 60er/70er Jahren, die man selten in Filmen sieht“, sagt Regisseur Weise, der sich im Klaren darüber war, „dass du nur mit gut vorbereiteten und motivierten Leuten rund hundert Minuten in 15 Drehtagen schaffst“.

Für Charlotte Schwab war das One- Shot-Drehen eine neue Erfahrung. „Das habe ich überhaupt noch nie erlebt“, schwärmte sie von Dreharbeiten, die sich auch durch die Abwesenheit einer Maskenbildnerin auszeichneten (was in Corona-Zeiten tatsächlich ein Vorteil ist). Sie ist so etwas wie der Angelpunkt in „Mysterium“, eine Art Dumbledore des Geisterhauses, in das der autistische Luca (Timon Joris Holzmann) von seiner Mutter (Jana Klinge) gebracht wird.

Der mit besonderen Gaben ausgestattete Elfjährige merkt schnell, dass in der Villa etwas nicht stimmt. Auf der anderen Seite ist er die letzte Hoffnung für Elif (Safinaz Sattar), Leonie (Lea Drinda), David (Johann Korte) und Yussuf (Shadi Eck), die in der Anderwelt gefangen sind.

„Da ist Berlin auf einmal wie viele andere Städte."

Der Zugang funktioniert durch einen mysteriösen Spiegel mithilfe eines magischen Steins. Wie die vier ihre Situation begreifen lernen und die Chancen abwägen, ob sie jemals aus ihrem unsichtbaren Gefängnis befreit werden – das verblüfft mit einer Direktheit, einer Unmittelbarkeit, wie man sie lange nicht mehr im deutschen Fernsehen gesehen hat.

„Mir kam es auf die Wahrhaftigkeit der Figuren an, dass die Figur lebendig ist, und nicht, dass der Satz so wie im Drehbuch gesagt werden muss“, sagt Niklas Weise und verweist auf Autoren-Regisseure wie Ken Loach, Mike Leigh und die Dardenne-Brüder.

„Da kommt es auf die Qualität des Ausdrucks an. Die Schauspieler sollten Erfahrungen aus der eigenen Biografie holen, um damit in der Figur anzudocken, sich also auch vor der Kamera instinktiv stimmig zu verhalten.“ Schauspielerin Lea Drinda, nach ihrem Auftritt in der Amazon-Neuverfilmung „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ schon als neue Jean Seberg gefeiert, hat sogar einen berühmten Vorfahren: „Mein Großvater Horst Drinda war Schauspieler in der DDR. Er spielte an der Volksbühne und am Deutschen Theater in Berlin. Leider war ich vier Jahre alt, als er verstarb.“

Nun nutzt Lea Drinda, die ihre autistischen Züge positiv betrachtet, ihren Beruf auch, um sich selbst zu erkunden: „Ich kann mir aus allen Situationen etwas Neues basteln oder ziehen. Ich will mir diese Form des Andersseins auch unbedingt bewahren.“

Ihr Kollege Johann Korte begann in Corona-Zeiten selbst Filme zu drehen und trainiert nebenbei eine Jugend-Handballmannschaft. Safinaz Sattar hinterlässt einen sehr nachhaltigen Eindruck in diesem Quartett, das mit Shadi Eck (im Kino in „Liebesdings“) eindrucksvoll komplettiert wird. Mit Neuzugang Marc Hosemann („4 Blocks“), der eine ganz neue Welt in dieser Kika/BR-Produktion „Mysterium“ präsentiert, wurde nun ein neuer Schauplatz fällig.

Doch den zu finden, tat sich Produzent Marcus Roth sehr schwer. „Da ist Berlin auf einmal wie viele andere Städte. Angefragte Drehorte wie Tempelhof und Tegel werden, aus was für Gründen auch immer, nicht genehmigt.“

„Man ließ uns wissen, dass wir uns das ohnehin nicht leisten könnten."

Nach der Absage von Tempelhof habe er gehofft, im stillgelegten ICC bis Mitte Dezember die zweite Staffel von „Mysterium“ drehen zu können, nachdem dort ein Kunstfestival stattgefunden hatte. Die Absage der Stadt sei von oben herab gewesen.

„Man ließ uns wissen, dass wir uns das ohnehin nicht leisten könnten, weil das Objekt 5000 Euro am Tag kosten würde und wir mindestens sieben Tage dort drehen müssten, das macht 35 000 Euro. Das kann ich aber nicht bezahlen, Das könnte in dem Zwang, sieben Tage dort drehen zu müssen, nicht einmal der ,Tatort‘ bezahlen“, so Roth weiter.

Für Netflix möge das egal sein, mal eben für hundert Tage da reinzugehen. „Ich als Münchner Produzent muss mir nun überlegen, ob ich in Zukunft in Berlin noch drehen will und kann. Dass ein öffentlich-rechtliches Projekt nicht auf öffentlichem Grund drehen darf, ist schwer zu begreifen. Natürlich kommt einem da die Gentrifizierung in den Sinn.“ Inzwischen hat der Produzent in seiner Not den Drehort eines privaten Investors gebucht, der das SEZ ebenfalls zu saftigen Tarifen vermietet, die aber immer noch günstiger und flexibler sind als die städtischen Forderungen.

Im neuen Koalitionsvertrag des Berliner Senats heißt es, die „filmfreundliche Stadt“ wolle ausdrücklich Kinder-Dokumentar und künstlerischen Film fördern, sie erhielten „einen besonderen Stellenwert“.

Für Marcus Roth „klingt das natürlich sehr gut“. Die Frage sei nur, „wie es gelebt wird und ob so ein kleines und ambitioniertes TV-Projekt wie unseres da mitgemeint ist. Denn wir sind ohne Förderung finanziert und damit nicht so im institutionellen Fokus wie ein Kinoprojekt. Vielleicht würden städtische Stellen anders agieren, wenn wir George Clooney im Cast hätten.“ Es seien aber „nur" Berliner Schauspieler.

Soll heißen: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Aber mit diesem „Mysterium“ kennt man sich in Berlin ja bestens aus. Und einen echten Vorteil bietet die Hauptstadt derzeit tatsächlich (noch) gegenüber München: Die Inzidenzen sind hier weitaus niedriger.

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