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Feindbilder: Julian Reichelt und das Mordor-Reich des Bösen im funk-Angebot von "Walulis".

© Tsp

„Besessene Jäger“: „Walulis“ stellt „Bild“ an den Youtube-Pranger

Öffentlich-rechtliches „Bild“-Bashing: funk-Angebot „Walulis“ nimmt sich die Boulevardzeitung und ihre „perfide Arbeitsweise“ vor.

Zwei Sachen sind anders als sonst: Zum einen handelt es sich bei dem Beitrag über die „perfide Arbeitsweise von ,Bild‘“ nicht um die preisgekrönte Reihe „Walulis sieht fern“, denn dieses Youtube-Video – das bereit nach einem Tag über 100 000 Mal abgerufen und angeschaut wurde – beschäftigt sich mit einem Medium, das trotz starker Online-Reichweite weiterhin zuerst als gedrucktes Medium verstanden wird. Der zweite Unterschied besteht darin, dass es nicht von Grimme-Preisträger Philipp Walulis selbst stammt, sondern von seiner Urlaubsvertretung Marcus Müller, einem der beiden Headautoren des zum öffentlich-rechtlichen Jugendangebot funk gehörenden „Walulis“-Kanals.

An „Bild“ und seiner Arbeitsweise haben sich schon ganz andere abgearbeitet, allen voran der Begründer der Undercover-Recherche Günter Wallraff. „,Bild‘ ist nach wie vor in der Rolle eines gemein- gefährlichen Triebtäters, den man ständig unter Beobachtung halten muss“, greift „Walulis“ so auch ein Zitat auf, da Wallraff dem „heute-journal“ des ZDF sagte. Überhaupt gehören TV-Clips zu den wichtigsten Werkzeugen dieses Formats, das sich aber auch aus zahlreichen anderen Quellen bedient.

Der Tagesspiegel kommt gleich zweimal zu Wort, beide Male mit Zitaten aus einem Interview mit Ex-„Bild“-Chefredakteur Udo Röbel. Der hatte sich in dieser Zeitung über die Praxis des so genannten Witwenschüttelns geäußert: „Hatte man etwa bei einem Unglück die Adresse von Hinterbliebenen herausgefunden, ist man sofort hingefahren, klar“, hatte Röbel gesagt und ergänzt: „Beim Abschied aber hat man die Klingelschilder an der Tür heimlich ausgetauscht, um die Konkurrenz zu verwirren“.

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Dass das Röbel-Interview aus dem Jahr 2002 stammt und die Anekdote zudem aus noch früheren Zeiten stammt, ändert offenbar nichts daran, dass gewisse andere Praktiken von „Bild“ nach wie vor aktuell sind. „Walulis“ zählt unter anderem die Veröffentlichung von Social-Media-Fotos von Unfallopfern und das großzügige Auslegen von Zitaten auf – so wie beim „Wald-Rambo“ aus dem Schwarzwald, dessen Vorbild laut „Bild“ der Unabomber war. Der zitierte Profiler will das so allerdings nicht gesagt haben.

Drosten: „Ich habe Besseres zu tun.“

Die Berufsethik von „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt, im Clip nachgestellt mit einer Rede bei einem nicht näher beschriebenen Medienkongress, wird so dargestellt: „Wir kennen nicht die Wahrheit. Wir sind nur ständig auf der besessenen Jagd nach der bestmöglichen Version der Fakten, aus denen zuerst die Story und dann die Geschichte wird“, beschrieb der „Bild“-Chefredakteur demnach die Herangehensweise des Boulevardmediums. Und der Erfolg gibt „Bild“ recht, so Walulis-Vertreter Müller mit Blick auf die Online-Reichweite – und die Zahl der Rügen des Presserates. Seit 1986 habe „Bild“ 202 erhalten, fast zehn Mal so viele wie die „B.Z.“.

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Als schwerstes Geschütz führt Marcus Müller die Anti-Drosten-Kampagne von Mai auf, in der „Bild“ dem Virologen eine falsche Corona-Studie unterstellt. Die zitierten Experten distanzierten sich ebenfalls umgehend von den Berichten. Das ging selbst der Chefetage von Springer zu weit. Reichelt musste im internen Podcast-Gespräch mit Vorstandschef Mathias Döpfner kleinlaut zugegeben, dass „Bild“ damit zumindest teilweise übers Ziel hinausgeschossen ist – vor allem mit einem einstündigen Ultimatum, so viel Zeit räumte das Medium Christian Drosten für eine Stellungnahme ein. Der ließ sich nicht darauf ein und konterte: „Ich habe Besseres zu tun.“

Ein aktueller Anlass oder eine sensationelle Enthüllung à la Wallraff ist im Youtube-Video des Walulis-Vertreters nicht zu finden. Hier hätte „Bild-Blog“ weiterhelfen können. Dort wird aktuell beschrieben, wie „Bild“ ohne Vorlage von Beweisen die Hisbollah für die Sprengstoff-Explosion in Beirut verantwortlich macht – womöglich auch auf der „besessenen Jagd nach der besten möglichen Version der Fakten“. Kurt Sagatz

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