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Gesicht und Geschichte. Ein Bild aus der Ausstellung „Kunduz, 4. September 2009“. Eine Explosion riss dem 27-jährigen Mann die rechte Hand ab.

© Marcel Mettelsiefen

Bilder-Macht: Zwischen Abstumpfung und Aufklärung

Konflikte wie in Ägypten produzieren symbolträchtige Bilder. Nur: Wie drastisch dürfen diese Bilder sein? Diese Frage beschäftigt nicht nur eine Ausstellung im Münchner Literaturhaus.

Seine Augen sind verschlossen, der Kopf zur Seite gedreht, das Oberteil von Blut verschmiert – der junge Tunesier ist tot, gestorben zu Beginn der Unruhen, die sein ganzes Land verändern sollten. Und seitdem er so abgelichtet wurde, tot, mit verdrehtem Kopf da liegend, ist der Tunesier auch ein Symbol. Für die umstürzlerischen Vorgänge im Nahen Osten. Für die Revolution der Bürger. Für die Grausamkeit des Regimes. Ein Symbol, das die „tageszeitung“ am 11. Januar auf ihre Titelseite nimmt. „Greetings from Tunisia“ steht neben dem Foto geschrieben, der Tod als Teil einer montierten Postkarte.

Das Bild des Tunesiers schlug Wellen. Den Beschwerdebrief einer Leserin veröffentlichte die „taz“ im eigenen Blog, in den Kommentaren tobte unter den Lesern der linken Zeitung eine Diskussion, die zwischen Moral und Pressefreiheit oszillierte, auch die Bildredaktion meldete sich zu Wort: Tunesien entwerfe von sich noch immer das Bild einer ungetrübten Postkartenidylle, man sehe sich deshalb in der Pflicht, dem andere Bilder entgegenzusetzen – „aber ein Zweifel bleibt, auch bei uns“. Der Zweifel, ob es drastische Bilder braucht, um drastische Ereignisse zu verdeutlichen. Die Frage, wo die Grenze verläuft zwischen Informationsbedürfnis und Voyeurismus. Und vielleicht sogar die Befürchtung, dass ein solcher Abdruck eher zur Abstumpfung, denn zur Aufklärung führt.

Umbrüche, wie sie Tunesien erlebt hat, wie sie Ägypten derzeit erlebt, produzieren symbolträchtige Bilder am laufenden Band. Bilder von fahnenschwenkenden Aktivisten, von aufgeheizten Kundgebungen, aber eben auch von Verletzten, Toten, Entstellten. Bilder haben Macht, und keiner weiß das besser als die Medien selbst. Und: Bilder machen Auflage.

München, Mitte vergangener Woche. Im Literaturhaus wird die Fotoausstellung „Kunduz, 4. September 2009“ eröffnet. Der Fotograf Marcel Mettelsiefen und „stern“-Redakteur Christoph Reuter haben in einer fünfmonatigen Recherchen den Bombentoten von Kunduz nachgespürt, denjenigen, die beim Bundeswehrangriff auf zwei Tanklaster vor eineinhalb Jahren getötet wurden. Die beiden Journalisten wollten ihnen ein Gesicht und eine Geschichte geben.

Marcel Mettelsiefen hat es vorgezogen, Lebende zu fotografieren, um den Toten nahezukommen. Gemeinsam mit Christoph Reuter spürte er die Angehörigen der Opfer auf und fotografierte sie, kurz nachdem sie auf Passbilder ihrer verstorbenen Verwandten geblickt hatten. Es sind Bilder entstanden, die die Leiden des Krieges in den Augen der Angehörigen versammeln. Bilder ohne Blut, ohne Drastik. Mit viel Einfühlungsvermögen.

„Die Bilder berühren uns, weil sie das Leid der Angehörigen in unsere Sprache übersetzen“, sagt Roger Willemsen, der als langjähriger Afghanistanreisender bei der Eröffnung in München spricht. Ein abgerissener Fuß würde in Deutschland das Leid Afghanistans weitaus abstrakter illustrieren als das von Trauer zerrissene Gesicht eines Angehörigen. Der Schmerz nach einem Verlust ist uns vertraut, deshalb treffen Mettelsiefens Bilder so ins Schwarze. „Natürlich geht es blutiger und grausamer, solche Bilder erzielen dann einen Effekt – aber keine Wirkung“, sagt Willemsen.

Ganz so rigide sieht es der Presserat – ethische Richtschnur der deutschen Medien – nicht. Es heißt in Ziffer 11 des Pressekodex: „Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid.“ Doch die „unangemessen sensationelle Darstellung“ ist interpretierbar. Oft lehnt das Expertengremium Beschwerden von Lesern ab, weil es in abgedruckten Bildern Dokumente der Zeitgeschichte erkennt. Bilder, die drastisch sein müssen, um Drastisches darzustellen.

Beispiel Liberia. Die „Bild“-Zeitung berichtete Mitte 2003 vom Bürgerkrieg in dem afrikanischen Land, titelte „Blut-Hölle Afrika“ und setzte das großformatige Bild eines Soldaten darunter, der den abgeschlagenen Kopf eines Rebellen triumphierend in die Luft hielt. Aus dem Stumpf rann Blut, die Augen des Soldaten waren verdreht, der Kopf geschändet. Leser beschwerten sich beim Presserat, Zeitungen wie die „FAZ“ empörten sich („Kein Zweifel: Das ist die Hölle. Nur zeigen darf man sie so nicht.“) – der Presserat wies die Beschwerde ab, der „schockierende Inhalt des Fotos“ könne bei Lesern eine erhöhte Aufmerksamkeit für Krieg und Gräuel wecken.

Das Bild des blutenden Rebellenkopfs zeigte eine neue Qualität der Grausamkeit im schwelenden Bürgerkrieg: Ein Nachrichtenwert an sich – und damit zu rechtfertigen. Eine Prämisse, die sich viele Publikationen auferlegt haben. Auch Hans-Ulrich Stoldt, Deutschland-Chef des „Spiegel“, vollzieht die Bildauswahl nach dem Kriterium. Grundsätzlich würde im „Spiegel“ zwar auf „besonders grausame Bilder“ verzichtet. Allerdings: Wenn es „im Sinne einer umfassenden Information oder Dokumentation nicht zu umgehen“ sei, drucke das Nachrichtenmagazin auch drastischere Fotos. Reportagefotograf Mettelsiefen hat sich dazu entschlossen, nicht mehr alles zu fotografieren, was er auf Kriseneinsätzen zu sehen bekommt. Der Jagd nach dem sensationsträchtigsten Bild hat er den Rücken gekehrt. „Wenn es sich in mir sträubt, drücke ich nicht ab.“ Er möchte Bilder zum Nachdenken liefern.

Im Münchner Literaturhaus möchte Roger Willemsen von einer Begegnung in Afghanistan berichten. Er war mit seinem Begleiter unterwegs, als sie auf einen Jungen trafen, der, vom Bauchnabel abwärts nackt, alleine auf einer offenen Straße stand. Ein Junge, der im Gesicht verwildert, in den Augen verängstigt war und in seiner Furcht nach einem Stein griff, um ihn auf die Fremden zu werfen. Willemsens Begleiter näherte sich dem Jungen, sprach ihm behutsam zu, nahm den Stein aus seiner Hand und versuchte ihm stattdessen Rosinen und Nüsse in die noch immer geöffnete Hand zu geben – als Zeichen des Friedens. Doch der Junge, Angst und Desorientiertheit in den Augen, stand da und rührte sich nicht. Roger Willemsen stand da und sah, was der Krieg aus den Menschen macht.

Es ist ein leises Bild, das sich in den Kopf des Publizisten eingebrannt hat. Ein Bild, das dem Publikum im Münchner Literaturhaus für den Moment den Atem verschlägt, das nachdenklich macht. Eben das, was Bilder aus Kriegsgebieten bewirken sollten.

Die Kunduz-Ausstellung im Internet: www.literaturhaus-muenchen.de

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